Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein, als diese lauten Seufzer der momentanen Erleichterung. Die französischen Wähler haben vieles anderes, aber ganz sicher kein "klares Bekenntnis zu Europa" abgegeben. Viel mehr haben sie eine deutliche und spürbare Botschaft an die Adresse von Brüssel und auch Berlin entsandt, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Von 47 Millionen Wahlberechtigten Franzosen, haben 5,4 Millionen (11.5 Prozent) einen ungültigen oder leeren Stimmzettel abgegeben und weitere knapp 12 Millionen (25.4 Prozent) Wahlberechtigte Franzosen sind lieber zu Hause geblieben, als über "Europa" abzustimmen. Das bedeutet, dass von 47 Millionen möglichen Stimmen, über 17 Millionen (36.9 Prozent) weder Macron, noch Le Pen wählen wollten.
Von den übrig gebliebenen 29,657 Millionen Stimmen, gingen dann schliesslich etwas über zehn Millionen (33.94 Prozent) Stimmen an Marine Le Pen. Anders ausgedrückt wählten demzufolge nur 19,59 Millionen Wahlberechtigter Franzosen Emmanuel Macron, und davon mit Sicherheit nicht Wenige, die ihn als das kleinere Übel gegenüber Le Pen betrachteten und nicht wirklich mit seiner "Vision" für Frankreich übereinstimmen. Wie auch immer. Wie dann bei einer Unterstützung von nur 41.68 Prozent der französischen Wählerschaft für Macron von einem "klaren Bekenntnis" gesprochen werden kann, bleibt ein Rätsel. Dieses Rätsel wird noch grösser werden, wenn die Franzosen im Herbst wieder zur Wahlurne gerufen werden, dann für die Parlamentswahlen.
Solche unbequemen Tatsachen spielen in Berlin und Brüssel aber sowieso eine eher ungeordnete Rolle. Man biegt sich die Realität schon so zurecht, wie es eben gerade gebraucht wird. Darin hat man ja auch schon viele Jahre Erfahrung. Hauptsache ist, dass aus deutscher Sicht Frankreich weiterhin hinter Deutschland und der in Schieflage stehenden Europäischen Union steht. Deshalb reist Emmanuel Macron auch zuerst nach Berlin, bevor er sich um seine Probleme zuhause kümmern wird.
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