Ich werde hier die einzelnen Punkte dieses Strategiepapiers der CDU/CSU vollständig aufschreiben, um den womöglich entscheidenden Weg des momentan mächtigsten Staates der Europäischen Union zu dokumentieren. Die Hervorhebungen von gewissen Stellen sind durch mich erfolgt, um auf besondere Punkte hinzuweisen.
Ukraine-Strategiepapier vom 30. September 2015 der CDU/CSU
Für eine aktive europäische Ukraine-Politik
- Auch wenn der Waffenstillstand im Osten der Ukraine hält: Das politische Ziel und das Handeln Moskaus sind darauf ausgerichtet, die Ukraine zu destabilisieren und ihre Annäherung an die EU zu verhindern.
- Damit fordert Moskau zugleich die EU heraus, ob sie zu ihren Vereinbarungen mit der Ukraine steht. Der russische Präsident Putin will eine vermeintliche Schwäche der EU geopolitisch ausnutzen. Er hält die EU nicht für einen relevanten Partner.
- Es geht um die Frage, ob die EU den politischen Willen und die Stärke hat, sich mit politischen und diplomatischen Mitteln gegenüber Moskau zu behaupten und zugleich die Reform- und Modernisierungsbemühungen Kiews so zu unterstützen, dass sie zu einer Erfolgsgeschichte werden.
- Die Ukraine trotz russischer Annexion der Krim und militärischer Intervention Russlands im Donbass zu einer Erfolgsgeschichte zu machen, ist eine strategische Herausforderung für die EU.
- Wir haben uns mit dem Assoziierungsabkommen nicht nur bereit erklärt, die Ukraine immer enger an die EU heranzuführen und die dafür notwendigen Reformen zu unterstützen. Wir haben mit dem Assoziierungsabkommen die Verantwortung übernommen, die Souveränität und die europäische Entscheidung der Ukraine zu verteidigen. Wir sind gefordert, eine positive ökonomische und institutionelle Entwicklung im Rahmen eines Modernisierungsprogramms so zu unterstützen, dass die Ukraine den Destabilierungsaktivitäten Russlands widerstehen und ihr großes Potenzial so entfalten kann, dass sie sich zu einem Wertepartner entwickeln kann, sofern sie auch zu den dazu unabdingbaren inneren Reformen bereit ist.
- Eine Ukraine, die keine europäische Entwicklung nimmt, sondern - wirtschaftlich und politisch schwach - zwischen der EU und Russland in einem Zwischeneuropa hin- und her gerissen ist, wird ihre destabilisierende Wirkung haben - unmittelbar auf seine Nachbarn wie Georgien und Moldau, aber auch auf ganz Europa. Eine dauerhafte politische und wirtschaftliche Instabilität der Ukraine und die damit verbundene Perspektivlosigkeit für große Teile der Bevölkerung könnten zu einer massiven Flüchtlingswelle führen, der nicht nur die EU-Nachbarstaaten ausgesetzt wären. Zugleich werden dann vor allem gut ausgebildete Ukrainer das Land verlassen und für die Modernisierung fehlen. Wir müssen darauf hinwirken, mögliche neue Fluchtursachen gar nicht erst entstehen zu lassen.
- Europa kann von einer modernen Ukraine nicht nur wirtschaftlich profitieren. Das Land hat ein großes technologisches Potenzial, gut ausgebildete Facharbeiter und Ingenieure und wichtige Bodenschätze. Das Land ist potenziell für Investoren sehr interessant, wenn die anderen Investitionsfaktoren - wie die Bekämpfung von Korruption - stimmen.
- Unsere Unterstützung des europäischen Weges der Ukraine, wird auch ausserhalb der EU sehr genau beobachtet. Es geht dabei auch um die Selbstbehauptung Europas als Wertegemeinschaft und Verkörperung von soft power in der Welt.
- Es ist nicht gesichert, dass der europäische Weg der Ukraine gelingt. Der Westen darf nicht mit der Illusion leben, dass die politischen Kräfte in der Ukraine allein willens und aus eigener Kraft in der Lage zu allen notwendigen Reformen sind.
- Da die gesamte EU herausgefordert ist, müssen wir versuchen, die Ukraine noch mehr zu einem Anliegen aller Europäer und damit beispielsweise auch der EU-Mittelmeerpartner machen. Und das muss einschliessen, dass sich diese Partner mehr als bisher sicher sein müssen, dass ihre drängenden Anliegen auch Anliegen der mitteleuropäischen und östlichen EU-Partner sind.
- Die Bundesregierung hat die Initiative zur Lösung der Krise in der Ukraine übernommen. Diese Führungsrolle sollte Deutschland hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung der Ukraine verstärken. Dies muss in enger Kooperation mit Frankreich, aber vor allem auch mit Polen geschehen. Als Nachbar ist Polen für viele Ukrainer Orientierung für eine europäische Transformation.
- Als EU-Ratspräsident kommt Donald Tusk eine Schlüsselrolle zu. Er und die EU-Kommission sollten in Kiew gegenüber Präsident und Regierung die notwendigen Reformen und deren konsequente und zügige Umsetzung einfordern.
- Die Transformation der Ukraine ist angesichts der desolaten Wirtschaftslage dringend nötig. Dies erfordert ein deutlich höheres Tempo von Reformen und deren Umsetzung. Das gilt insbesondere für eine umfassende Justizreform und die wirksame Bekämpfung der Korruption - beides Schlüsselvoraussetzungen für eine erfolgreiche Modernisierung und ausländische Investitionen.
- Die von der EU mit dem Assoziierungsabkommen eingegangene Verantwortung gibt uns nicht nur das Recht, sondern verpflichtet uns, die für die Transformation erforderlichen Reformen und deren Umsetzung von Kiew nachdrücklich einzufordern und dabei die erforderlichen Konditionen zu setzen.
- Die Ukraine benötigt zur Modernisierung der Infrastruktur, der Verwaltung und Justiz, der Bildungseinrichtungen und der Industrie nach Schätzungen europäischer Förderbanken einen Finanzbedarf von über 100 Milliarden Euro.
- Zu den hierfür notwendigen Finanztransfers kann es jedoch nicht ohne die vorherige Umsetzung nachhaltiger Reformen und eine völlig veränderte Rechts- und Verfassungspraxis kommen. Das heisst: strikte Konditionalität bis ins Detail und lückenlose Kontrolle der Umsetzung der Reformen müssen unverzichtbare Bedingungen für die Geldvergabe sein.
- Es ist notwendig, alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen für die weitere Entwicklung des Landes in die Verantwortung zu nehmen. Der Maßstab sind die Regelungen des Assoziierungsvertrages, der die Transformation nach europäischem Modell vorsieht, bei Abschaffung des alten postsowjetischen Systems der fehlenden Trennung wirtschaftlicher und politischer Interessen. Dazu muss auch gehören, dass der Einfluss der Oligarchen auf Staat und Regierungshandel signifikant eingeschränkt wird und die dafür erforderlichen Initiativen und Gesetze entschlossen umgesetzt werden.
- Wenn mit der Dezentralisierung die Kommunen und Kreise erheblich mehr Rechte und Möglichkeiten erhalten, müssen die Ukrainer in der Lage sein, mit ihren neuen Verantwortlichkeiten umzugehen. Dafür brauchen die Menschen vor Ort Rat von erfahrenen Praktikern. Wie bei der Wiedervereinigung könnten wir in der Kommunal- und Finanzverwaltung erfahrene Persönlichkeiten für eine begrenzte Zeit zur Beratung in die Ukraine entsenden.
- Wir sind Partei an der Seite der Ukraine, darüber dürfen wir keinen Zweifel aufkommen lassen.
- Zugleich haben wir ein großes Interesse an einem Neuanfang in den Beziehungen zu Russland. Denn es gibt zu viele Themen und Herausforderungen, die wir besser mit einem Partner Russland regeln können. Aber auch Russland muss dazu bereit sein. Für einen Neuanfang ist es unabdingbar, dass auch Moskau seine Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen vollständig erfüllt, damit dann die Wirtschafts-Sanktionen aufgehoben werden können.
Liest man sich dieses Strategiepapier vor, dürfte einem sicherlich auffallen dass jegliche Kritik - abgesehen der Erwähnung der Korruption und des Einflusses auf die Politik durch die Oligarchen - an der Ukraine fehlt. Kein Wort wird über die "Reform 2020" des Präsidenten Petro Poroschenko erwähnt, wonach die Ukraine bis dahin zu einem "Militärstaat" transformiert werden und die ganze Wirtschaft zu diesem Ziel eingespannt werden soll. Oder das ein Oligarch an der Spitze des Staates steht, von denen man sich doch eigentlich entledigen möchte.
Desweiteren fällt einem auch auf, dass im letzten Punkt von einem Neuanfang in den Beziehungen zu Russland die Rede ist. Diese Wortwahl in einem Strategiepapier der "Regierungspartei" ist äußerst interessant. Denn um von einem Neuanfang überhaupt sprechen zu können bedurfte es zuvor eines Abbruchs der Beziehungen zu Russland. Und davon ist zumindest offiziell nie die Rede gewesen, noch wurde beispielsweise der deutsche Botschafter aus Moskau abgezogen um diesen Abbruch diplomatisch zu untermauern. Von was für einem Neuanfang spricht die CDU/CSU also?
Weiterhin wird unter Punkt 19 absolut klar gemacht, dass Deutschland "Partei an der Seite der Ukraine" ist, und sich somit offen zum Komplizen eines Regimes in Kiev macht, das erst letzte Woche offiziell die zwischenstaatliche Beziehung zu Russland nochmal verschärft hat: in der Militärdoktrin wurde Russland von einem Gegner zu einem Feind eingestuft.
Dmytro Kuleb: zuständig im Aussenministerium für "Strategische Kommunikation"
Andrij Melnyk: Ukrainischer Botschafter in Berlin
Ausserdem macht sich Deutschland so auch zum Komplizen eines Regimes, das berüchtigte Anführer im Zweiten Weltkrieg zu Helden der Ukraine erklärt hat, und das zu Ehren der "Helden" des sogenannten Anti-Terror-Kampfes gegen die Bürgerinnen und Bürger im Donbass ein Denkmal in Zaporischi eingeweiht hat. Zu der Einweihungszeremonie durch einen Vertreter des Verteidigungsministeriums waren zwar keine anderen Vertreter der diversen "Freiwilligenverbänden" wie so schön bei uns genannt werden, doch ihre Fahnen wurden bei dieser Zeremonie stellvertretend gehisst. So zum Beispiel die Fahne des rechtsextremen und der nationalsozialistischen Ideologie nahestehenden Pravyy Sektor (Rechter Sektor) und des in den USA als Naziverbund deklarierte AZOV-Brigade.
Einweihungszeremonie des Denkmals für gefallene "Helden des ATO"
Und diesem Regime soll laut dem Strategiepapier von CDU/CSU 100 Milliarden Euro überwiesen werden, wenn auch vordergründig Bedingungen an die Überweisung gestellt werden. Wie aber die Erfahrung mit den Geldern des IWF an die Adresse der Ukraine gezeigt hat, finden sich immer Mittel und Wege diese Bedingungen schön zu reden oder anzupassen, um die eigenen strategischen Ziele in der Ukraine durchzusetzen um das deutsche Momentum nicht an Washington zu verlieren. Dies bekräftige Bundeskanzlerin Angela Merkel nochmal mit ihrem Besuch bei Petro Poroschenko in Kiev, am 27. September 2015.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen