Dienstag, 11. Juni 2013

US-"Friedensinitiative": Eine Falle für Palästina

Obwohl der amerikanische Aussenminister John Kerry offensichtlich sehr bemüht ist etwas Schwung in einen "Friedensprozess" zu bringen, den er selbst als "so gut wie gar keinen Prozess" nannte. Und damit hatte John Kerry den Nagel absolut richtig auf den Kopf getroffen: es gibt keinen Friedensprozess!

Das Drama um den nicht vorhandenen "Friedensprozess" näherte sich dann schliesslich am Weltwirtschaftsforum in Jordanien seinen vorläufigen Höhepunkt, als John Kerry einen nicht näher erläuterten Plan vorstellte, welcher Investitionen über 4 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von drei Jahren in Palästina vorsieht.  Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas war da, auch der israelische Präsident Shimon Peres. Aber kein einziger Offizieller aus der Regierung von Binyamin Netanyahu. Zwar wurde der greise Shimon Peres von den Medien gefeiert wie ein Popstar nachdem er (wieder mal) "deutliche Worte des Friedens" fand, doch scheint niemanden interessiert zu haben dass Peres keinerlei Macht und Einfluss über die Zukunft weder seines Landes hat, noch über die Verhandlungen mit den Palästinensern. Und wie um dieses Bild genau zu bestätigen, folgte der Kommentar aus Jerusalem von Yuval Steinitz postwendend: "Ich wusste nicht dass Peres Sprecher der Regierung geworden ist."
Der Tourismus-Minister Uzi Landau formulierte seine Kritik noch etwas unverhohlener: "Wer auch immer möchte dass daraus etwas wird (aus den Friedensgesprächen), sollte von der Idee eines Palästinensischen Staates fernbleiben." Es hagelte noch weitere Kritik an der Rede von Shimon Peres und insbesondere seiner Bezeichnung von Mahmoud Abbas als "Partner für Frieden". Der einzige der nichts dazu zu sagen hatte, war der Ministerpräsident selbst.

Netanyahu weiss ganz genau dass diese Initiative der USA, die bereits von den arabischen Staaten ein erneutes und für Israel noch besseres Friedensangebot hervorbrachte und sogar vom israelischen Präsidenten Peres begrüsst wurde (Peres nannte das Angebot eine "strategische Möglichkeit"), ein ernsthaftes Problem für seinen zionistischen Traum darstellt. Netanyahu weiss aber auch, dass das israelische Volk diesem Friedensangebot ebenfalls äusserst passiv gegenübersteht, nicht etwa weil sie keinen Frieden wollen oder dem Angebot nicht trauen, sondern schlicht und ergreifend weil sie müde von diesem Drama sind. Den meisten Israelis ist es völlig egal was auf der anderen Seite des Zauns passiert, da wo ein Volk unterdrückt und aufs Übelste von der israelischen Regierung diskriminiert wird. Und angesichts der eigenen rechten Regierungskoalition, welche ohnehin nichts von einer Zwei-Staatenlösung oder Siedlungsstop (von Räumungen gar nicht erst zu sprechen) wissen will, spielt Netanyahu auf Zeit.

Um aber nicht als der bad guy dazustehen, schweigt er sich über das Friedensangebot der arabischen Staaten aus, welche Israel anerkennen würden und sogar die unbeliebten Gebietstausche akzeptiert haben, und schlägt statt dessen ein Modell des "Wirtschaftlichen Friedens" vor. Das allerdings ist nicht Neues. Netanyahu wirft dieses Modell immer wieder seit 2008 auf, nur um einer ernsthaften Verhandlung aus dem Weg zu gehen. Das Modell des "Wirtschaftlichen Friedens" stammt noch aus der Zeit unmittelbar nach dem sogenannten "Sechstagekrieg" vom Juni 1967 und wurde von Moshe Dayan entworfen. Die Meinung hinter dieser "Friedensvorstellung" war es, die Palästinenser mit wirtschaftlichen Verbesserungen schlicht ruhig zu stellen um sie von einem politischen Weg abzubringen. An der Besatzungspolitik Israels aber würde sich nichts ändern. Und tatsächlich ging diese Rechnung für eine Weile auf, als die Palästinenser als Billiglohnkräfte nach Israel strömten und somit indirekt der israelischen Wirtschaft unter die Arme griffen, aber auch in ihrem Leben einen gewissen Lebensstandard erreichen konnten. Doch eine Besatzung bleibt eine Besatzung, trotz einer Verbesserung im eigenen Geldbeutel. Schliesslich kam es wie es bei jeder Unterdrückung kommen musste: das palästinensische Volk erhob sich gegen die Besatzungsmacht.

Dieses System des "Wirtschaftlichen Friedens" trat dann nach der Beendigung des ersten Volksaufstandes gegen den Staat Israel, (nicht zu verwechseln mit den palästinensischen Volksaufständen von 1929 und 1936-1939 gegen die Briten und die jüdischen Einwanderer), der Ersten Intifada, wieder in Kraft. In den ganzen Jahren vom Oslo-Abkommen bis zu den Camp David Verhandlungen im Jahr 2000 konzentrierte sich die Besatzungspolitik darauf, die Palästinenser einigermassen bei Laune zu halten. Erst nachdem sich immer mehr abzeichnete dass die Hoffnung der Oslo-Verträge mit der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Yitzak Rabin durch einen jüdischen Rechtsradikalen ebenfalls beerdigt wurde, heizte sich die Stimmung innerhalb der palästinensischen Bevölkerung immer mehr auf. Mit dem Ausbruch des zweiten Volksaufstandes gegen die Besatzungsmacht Israel, der sogenannten Al-Aqsa Intifada, endete diese wirtschaftliche Ausbeutung der Palästinenser abrupt. Israel holte sich stattdessen aus dem asiatischen Raum die dringend benötigten Billiglohnkräfte, allerdings merkte man schnell dass diese unterm Strich bedeutend teurer waren da man ihnen Wohnraum, Sozialversicherung etc. zur Verfügung stellen musste.

Also kam es Netanyahu gerade Recht, dass er diese Idee des "Wirtschaftlichen Friedens" bereits 2008 wieder zum Thema machen konnte noch bevor er überhaupt wieder zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Der einzige Unterschied von damals zu heute war es, dass die USA nicht auf dieses Pferd in ihrer Strategie aufgesprungen sind. Doch seit dem Weltwirtschaftsforum in Jordanien scheint Washington dieser Prämisse folgen zu wollen, auch wenn John Kerry offiziell beteuert dass dieser Weg nicht den eigentlichen politischen Prozess ersetzen soll.

Für die Palästinenser ist dieser Investitionsplan aber ein einziges politisches Debakel. Denn obwohl selbst die Weltbank in ihrem Jahresbericht von 2012 zum Schluss kommt, dass die "unzähligen Schichten von physischen, administrativen und Sicherheitsrestriktionen den privaten Sektor belasten" und hebt hervor, dass die "geografische Fragmentierung (des palästinensischen Gebietes) einen schädlichen Effekt auf die Wirtschaft" ausübt. Und zum Schluss hiess es: "Selbst mit finanzieller Unterstützung (à la US-Pläne über die 4 Milliarden USD), kann kein anhaltender Wirtschaftswachstum erreicht werden ohne die Barrieren zu entfernen, welche die Entwicklung des Privaten Sektors verhindern."

Angesichts dieser Feststellung einer Organisation wie die Weltbank, dass also selbst mit finanzieller Unterstützung kein Wachstum in Palästina möglich ist solange Israel auch weiterhin den Unterdrückungsapparat bedient, darf man sich nicht wundern wenn die Palästinenser nicht gerade mit viel Enthusiasmus diesem neuesten Vorstoss made in USA entgegen sehen. Selbst wenn viele Menschen diesen Weltbankbericht nicht kennen, ist aber doch jedermann klar dass eine Investition in dieser Grössenordnung nur dann getätigt wird, wenn die Rahmenbedingungen stabil und sicher sind. Ohne eine politische Lösung und ohne einen israelischen Rückzug aus der West Bank sind diese Rahmenbedingungen aber nicht erfüllt und die Investition dadurch von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Das alles hindert John Kerry aber nicht im Geringsten daran, diesen Plan mit grossem Trara anzukündigen. Damit bringt er nicht etwa Israel oder Netanyahu in Zugzwang endlich etwas gegen die Siedlungen oder Repressalien zu unternehmen, ganz im Gegenteil. Damit bringt Kerry einzig und allein die politische Führung der Palästinenser in massive Verlegenheit. Denn das bisschen politische Kapital welches sich Mahmoud Abbas mit der internationalen Aufwertung Palästinas zur "Beobachternation" erspielt hat, darf und wird er nicht für ein bisschen Geld hergeben wenn er noch den letzten Funken Vertrauen, welches die palästinensische Bevölkerung der West Bank noch in die "Autonomiebehörde" hat, nicht verspielen möchte. Das Volk weiss was es möchte: einen eigenen Staat ohne israelische Schikanen und endlich in Ruhe und Frieden das Leben leben. Dieses Ziel wird aber nicht erreichbar sein ohne eine politische Lösung, erst Recht lässt sich dieses Ziel nicht erkaufen.
Abbas kennt also das Volksmandat und er weiss auch, dass die Zeit des Geplänkels mit Israel für ihn zu Ende ist. Zu lange haben die Menschen das alles mitgemacht und mitangesehen. Auf der anderen Seite erwarten die USA und Europa aber, dass er nun diesen erneuten Vorstoss der Amerikaner zumindest nicht von Anfang an ablehnt und der "Initiative" eine Chance gibt. Schon fast um Hilfe schreiend bat er Shimon Peres, nachdem John Kerry seinen Investitionsplan vorgelegt hatte, er möge doch Netanyahu davon überzeugen das Friedensangebot der Arabischen Liga zumindest durchzulesen.
Er weiss dass ihm in Jordanien die Amerikaner eine Falle gestellt haben. Wenn er diesen absurden Plan als solchen bezeichnet, wird er umgehend von den Mitgliedern der israelischen rechtsgerichteten Regierung wie Netanyahu, Naftali Bennett, Uzi Landau oder Moshe Ya`alon beschuldigt, wieder mal eine "Friedenschance" verpasst zu haben. Noch im gleichen Atemzug würden sie anklagend in Richtung Washington melden, dass Israel einfach keinen Partner für Frieden hat. Dort dürfte das alles aber weder unerwartet kommen noch etwas gänzlich Neues sein: immerhin warnte ausgerechnet Shimon Peres den amerikanischen Präsidenten Barack Obama während seiner Israel Reise im März davor, dass Netanyahu es sehr schwer haben würde einen Schritt vorwärts im Friedensprozess zu machen, weil seine Koalitionsmitglieder nichts davon wissen möchten!
Und die Amerikaner, nun ja, angesichts solcher Bekundungen wie "solange es die USA gibt, kann sich Israel der bedingungslosen Unterstützung sicher sein, egal was passiert", wird Washington in dieses Klagelied miteinstimmen. Präsident Obama wird es sicher nicht noch einmal wagen offen auf diese Diskrepanz hinzuweisen. Statt dessen werden die USA lieber so weiter machen wie es stellvertretend für die gesamte Situation der Plan einer neuen Brücke am israelischen Checkpoint Qalandia zeigt:
Auf der Hauptstrasse zwischen Jerusalem und Ramallah gibt es jeden Tag kilometerlange Staus wegen des Checkpoints Qalandia. Doch anstatt dass hier Washington Druck auf Israel ausübt um das Problem der Mauer und der Militärcheckpoints anzugehen, finanzieren die USA über den Aufbauarm USAID eine neue Brücke um die Verkehrssituation zu entspannen.




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