Freitag, 9. August 2013

Friedensprozess oder Farce?

Was haben der Friedensprozess, der von US-Aussenminister John Kerry einberufene Sondervermittler Martin Indyk und die kürzliche Einstufung der Europäischen Union des "militärischen Flügels" der Hezballah als Terrororganisation gemein?

Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel. Für die meisten Menschen in Europa und insbesondere in den USA war es ohnehin keine Frage ob die Hezballah eine Terrororganisation ist oder nicht, für sie ging die Trennung zwischen einem "militärischen Flügel" und dem Rest der Organisation entschieden zu weit. Ihrem Verständnis nach hätte die ganze Organisation entsprechend eingestuft werden müssen. Warum aber entschied sich Brüssel genau jetzt zu diesem Schritt, wo man doch seit Jahren darüber streitet und dem Druck der USA und Israels genau das zu tun ausgesetzt war?

Genau hier schliesst sich dann der Kreis auf die Frage, was Indyk, der Friedensprozess und die Hezballah gemein haben. Was in den Medien jeweils als einzelne und voneinander getrennte Aktionen dargestellt wird, ist in Wirklichkeit miteinander verwoben wie ein undurchdringliches Spinnennetz. Das der "militärische Flügel" vom EU-Rat in die Liste der Terrororganisationen aufgenommen wurde, hängt unmittelbar mit dem Friedensprozess, aber auch mit der EU-Entscheidung zusammen, den längst überfälligen Schritt zu unternehmen um israelische Unternehmen welche sich auf palästinensischem Boden befinden, zu sanktionieren. Das heisst es werden von der EU keine Fördermittel und keine Investitionen mehr getätigt, wenn sich das entsprechende israelische Unternehmen entweder auf besetztem Gebiet in der West Bank oder Ost-Jerusalem befindet oder es produzierte Ware in die EU exportieren möchte.
In Israel löste diese Entscheidung aus Brüssel heftige Kritik, aber auch Angst aus. Ministerpräsident Netanyahu schimpfte dass er "keinerlei Verordnungen aus dem Ausland zu unseren Grenzen akzeptieren" werde, der Wohnungsminister Uri Ariel (selbst ein rechtsgerichteter Siedler) sprach gar von "Rassismus der EU gegen Juden".

Die israelische Justizministerin Tzipi Livni, und gleichzeitig auch Chefunterhändlerin Israels für den erst frisch in die Wege geleiteten Friedensprozess, sah in dieser Entscheidung der EU nicht nur eine Bedrohung für Israel, sondern auch eine Chance. Eine Chance dahingehend, die USA UND die EU in gewisser Weise zu erpressen. Livni forderte von US-Aussenminister John Kerry eine Kompensation für die ihrer Meinung nach ungerechte Behandlung durch Brüssel. Da kam die Abstimmung im Europäischen Rat in Brüssel ob Hezballah als Terrororganisation bezeichnet werden soll oder nicht gerade Recht. Israel forderte diesen Schritt schon seit Jahren und setzte sämtliche Lobbyisten in Washington und Brüssel dafür ein. Doch die Europäer waren sich bisher alles andere als einig darüber. Auch die Probeabstimmung vom 18.07.2013 ergab kein einstimmiges Resultat.
Als Tzipi Livni über das Resultat dieser Probeabstimmung informiert wurde, telefonierte sie umgehend mit John Kerry und forderte von Washington die Muskeln spielen zu lassen, andernfalls könnte sich diese gesamte Situation in welcher sich Israel befindet, negativ auf den Friedensprozess und Israels Gespräche mit den Palästinensern auswirken. Was Livni also damit androhte war nichts anderes als das Israel vom Verhandlungstisch weglaufen könnte und somit John Kerry persönlich, aber auch den Vereinigen Staaten von Amerika einen enormen Schaden zufügen würde. 
Denn für die USA geht es in diesem Prozess um nichts anderes als der Welt zu beweisen, dass Washington doch noch was in dieser Region bewegen kann. Wenn aber eine Partei einfach vom Verhandlungstisch wegläuft, bedeudet dass das endgültige Aus für die politische Supermacht USA in einer der wichtigsten Regionen der Welt! Das ist mitunter auch der Grund, weshalb überhaupt beide Seiten an den Gesprächen teilnehmen. Denn substantiell hat sich nichts verändert, Israel baut weiter fleissig weitere Siedlungen auf palästinensischem Grund und Boden oder ändert den Status von Siedlungen welche bisher selbst von Israel als illegal bezeichnet wurden.
Um einen Reinfall nach sechsmaligen Reisen in den Nahen Osten zu verhindern, übte also John Kerry mächtig Druck in Brüssel aus. Und tatsächlich, man fand einen Weg wie man fast alle Parteien zufrieden stellen konnte. Anstatt das die gesamte Hezballah Organisation als Terrorgruppe gebrandmarkt wird, nahm Brüssel "nur" den "militärischen Flügel" auf.  Was genau damit gemeint ist, welche Personen oder Abteilungen, ist aus dem Brüssler Dokument nicht ersichtlich. Muss es auch nicht, denn dieser Schritt hatte höchstens symbolischen Charakter. Als Grund für die Aufnahme des "militärischen Flügels" nannten die EU-Ratsmitglieder die angebliche Verwicklung der Hezballah an dem Bombenanschlag im bulgarischen Burgas auf einen Bus mit israelischen Touristen, obwohl es dazu keinerlei Beweise gab. Auch die Involvierung von Truppen der Hezballah in Syrien ist den Europäern ein Dorn im Auge, läuft diese Entwicklung doch genau in die entgegengesetzte Richtung wie es einige EU-Länder gerne hätten. Konfrontiert mit diesen Diskrepanzen, antwortete der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin, Reinhold Lopatka, dass es tatsächlich "keine neuen Erkenntnisse über die Rolle der Hisbollah bei dem Anschlag in Bulgarien" gibt. Es wäre das Verhalten, das eigene Selbstverständnis der Partei Gottes, welches den EU-Aussenministern nicht gefällt, deshalb auch dieses "Signal". 
Noch bevor die EU ihre Entscheidung überhaupt veröffentlicht hat, musste die niederländische EU-Botschafterin im Libanon, Angelina Eichhorst, bereits zwei Besuche in Beirut abstatten: einmal bei der Hezballah selbst (bei Ammar al-Musawi) und bei Mohammad Fneish, dem Staatsminister für administrative Reformen (ebenfalls ein Politiker der Hezballah).
Eichhorst relativierte in diesen Gesprächen schnell die Entscheidung Brüssels und machte klar, dass die "EU keine Probleme hat mit der Hezballah in irgendeiner künftigen Regierung zusammen zu arbeiten" und "finanzielle Unterstützung wird fortgesetzt, von welcher das Ministerium von Minister Fneish eine grossen Anteil erhalten wird, und wir möchten dass diese Kooperation fortgesetzt wird." Und obwohl die EU-Botschafterin auch in diesen Gesprächen als Grund Hezballah`s angebliche Beteiligung am Bombenanschlag von Burgas angibt, sagte sie im privaten dass es aber dazu keine konkrete Beweise gibt. Fneish antwortete darauf, dass diese Entscheidung der EU Israel nur politische Rückendeckung bei einem künftigen Angriff auf den Libanon liefern wird (weil Israel dann behaupten kann man greift doch eine terroristische Gruppierung an, aus legitimen Gründen der Selbstverteidigung!). Eichhorst gab darauf zurück, dass "diese Entscheidung nichts mit dem Widerstand gegen Israel oder der Libanesischen Souveränität zu tun hat".


 Israel testet neue Verhältnisse mit Hezballah

Obwohl diese Information nichts mit dem Friedensprozess zu tun hat, hat es doch sehr viel mit der EU-Entscheidung zu tun, Hezballah`s "militärischen Flügel" auf die Terrorliste zu setzen. Denn wie bereits oben beschrieben, wird Israel diese neuen Tatsachen versuchen auszutesten. Und genau das geschah in der Nacht vom 6. August. 
Eine israelische Kommandoeinheit drang auf libanesischer Seite ein und versuchte eine Operation durchzuführen. Was genau geplant war ist nicht bekannt. Denn bereits nach nur wenigen Minuten auf libanesischem Territorium geriet die israelische Kommandoeinheit in eine Falle der Hezballah. Zwei Explosionen erschütterten die Strasse wo sich die Eindringlinge befanden und verletzten nach israelischen Angaben vier Soldaten. Nach einem etwa zehnminütigem Schusswechsel musste die Operation abgebrochen werden und die Kommandoeinheit zog sich wieder auf israelisches Territorium zurück.
Dieser Zwischenfall bewies den Menschen im Libanon einmal mehr, dass wenn es um die Verteidigung Libanons geht, auf keinen anderen Verlass ist als auf die Hezballah.


Martin Indyk wird wieder Sonderbeauftragter für Friedensgespräche

Ein weiteres Zugeständnis welches US-Aussenminister John Kerry machen musste, war die Einberufung von Martin Indyk zum Sonderbeauftragten für die Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern. Aber warum ausgerechnet Martin Indyk? Der Mann, der schon bereits mit den Camp David Gesprächen von 2000 beauftragt war und schliesslich spektakulär gescheitert ist. Der Mann, der die gesamte Schuld für das Scheitern von Camp David Yassir Arafat in die Schuhe schob, obwohl sämtliche Parteien mit Bill Clinton vereinbart haben dass es keine Schuldzuweisungen geben wird sollte sich ein Scheitern abzeichnen. 

Und dennoch nannte die palästinensische Führung die Ernennung von Indyk als ein positives Zeichen. Wie kann das nur möglich sein?
Das liegt hauptsächlich an der paradoxen Realität des amerikanischen politischen Systems. Was wie ein schlechter Film klingt, ist leider tatsächlich traurige Wahrheit. Wie bereits oben beschrieben geht es den USA primär darum der Welt, und insbesondere den arabischen Ländern der Region, zu beweisen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika noch über genügend Macht und Einfluss verfügen um in einem der wichtigsten und ältesten Konflikten der Moderne etwas zu bewegen. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas weiss das, Israels Ministerpräsident Binyamin Netanyahu weiss das auch. Aber wo Abbas`eigenes Überleben von Amerikas goodwill abhängt, verhält es sich bei Netanyahu deutlich anders. Er weiss dass seine Wählerinnen und Wähler von ihm eine taffe Haltung gegenüber den Amerikanern fordern, und er weiss auch dass es Millionen von Zionisten in den USA gibt, die jeder Administration im Weissen Haus die Hölle heiss machen wird wenn sie der Meinung sind, das Israel in irgendeiner Art und Weise ungerecht behandelt wird.
Und das heisst also für Obama, obwohl er alles versucht hat um die Erwartungen so niedrig wie möglich zu halten, das schwierigste Glied der Kette in die richtige Bahn zu lenken. Und genau DAS gibt Israel ein Druckmittel welches es auch ohne zu zögern einsetzt.
Wenn also John Kerry einen Sonderbeauftragten eingesetzt hätte, von dem Israel nicht absolut überzeugt gewesen wäre dass er nicht eindeutig pro-Israel geeicht ist, hätte es keine direkten Gespräche zwischen Palästinensern und Israelis gegeben. Wichtig ist aber in dieser Konstellation, dass die Vorgesetzten von diesem Sonderbeauftragten starke Persönlichkeiten sind und sich nicht vom Druck der zionistischen Lobby beeindrucken lassen, noch sich von dem Sonderbeauftragten beeinflussen lassen wie das leider der Fall während Bill Clinton`s Zeit war und schliesslich zum ultimativen Scheitern von Camp David im Jahr 2000 führte.
Es ist also kein Zufall das Martin Indyk von den Israelis als Wunschkandidat für die amerikanische Seite nominiert wurde, es kann niemand daran zweifeln dass er nicht pro-Israel eingestellt ist. Aber er kann auch berechtigte Kritik an Israel ausüben, was ihm den Zorn von einigen hartgesottenen zionistischen Lobbyisten wie der Zionist Organisation of America eingebracht hat.

Eine der wichtigsten Fragen wird sein, ob tatsächlich über den endgültigen Status und pragmatisch/realistische Vorschläge gesprochen werden kann wie es John Kerry versicherte, oder ob sich Israel wie immer in der Vergangenheit mit unrealistischen Vorstellungen und Forderungen durchsetzen kann und die Schuld dabei den Palästinensern in die Schuhe geschoben wird. Oder wie es der ehemalige Aussenminister unter Präsident George H.W. Bush, James Baker III., formulierte, die "tote Katze vor die Türe gelegt wird". James Baker III. war der letzte Mann der tatsächlich bereit gewesen wäre das Kind beim Namen zu nennen wenn seine Bemühungen aufgrund des israelischen Taktierens gescheitert wären und er war auch der letzte Aussenminister, der die pro-Israel eingestellten Unterhändler in Schach hielt um das zu erreichen was er sich vorgenommen hat. (Baker ist es zu verdanken dass die Madrid Konferenz von 1991 überhaupt zustande kam und er war es auch, der Dennis Ross noch im Griff hatte. Ross war nach der Bush-Administration auch in der Clinton-Administration wieder mit den Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinsern beauftragt, jedoch gab es diese Kontrolle über ihn nicht mehr da Clinton selbst überzeugter Zionist war bzw. ist.)

Die andere nicht weniger wichtige Frage wird sein, wie die jeweiligen Bevölkerungen auf diese Gespräche reagieren. Netanyahu kündigte bereits an, dass jegliche erzielte Übereinkunft der Gespräche durch eine Volksabstimmung zuerst legitimiert werden muss. Die Palästinenser selbst stehen bereits den Gesprächen äusserst kritisch gegenüber, angesichts der Erfahrungen aus der Vergangenheit und den Realitäten auf dem Boden ist das aber auch nicht verwunderlich. Nicht zu Unrecht fragen sich die Menschen, was diese Verhandlungen und Gespräche überhaupt bringen wenn doch gleichzeitig die israelische Regierung bisher illegale Siedlungen legitimiert und ein Grossteil der israelischen Minister sich offen gegen jegliche Zwei-Staaten Lösung stemmt.

Die palästinensische Bevölkerung würde es viel lieber sehen wenn praktische Schritte eingeleitet werden würden, wie beispielsweise eine Anklage gegen Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Das wären Schritte die effektive Konsequenzen nach sich ziehen würden, positive wie auch negative. Viele fragen sich wieder zu Recht, wieviel Schlimmer es denn noch werden kann als es ohnehin schon ist. Bei einer Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof drohte Washington bereits die Einstellung der Hilfsgelder für die Palästinenser. Aber wäre das denn wirklich so schlimm? Israel müsste seinen Verpflichtungen als Besatzungsmacht wieder vollumfänglich nachkommen und die Kosten dafür selbst tragen, und sich nicht für die illegale Besatzung auch noch von den USA und der EU bezahlen lassen.
Die neuen Friedensgespräche verschieben diese Möglichkeit zumindest bis auf Weiteres, sie verschieben auch die palästinensische Aspiration zur Aufnahme als vollwertiges UN-Mitglied vor der UN-Vollversammlung in New York im September. Dieses Detail dürfte Israel und den Amerikanern mit Sicherheit nicht entgangen sein.


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