Dienstag, 21. Oktober 2014

Ölpreisverfall ist kein US-Saudi Komplott gegen Russland und Iran

In den letzten Tagen hört und liest man immer wieder, dass der rapide Preisverfall von Öl und Gas etwas mit einer "Geheimabsprache" zwischen den USA und Saudi Arabien zu tun hat, um in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Washington und Moskau eine Waffe einzusetzen, die nicht nur Moskau schadet, sondern auch Teheran. Zugegeben, diese These wurde viel mehr in den USA behandelt als in unseren deutschsprachigen Medien, dennoch hält sie sich in einigen Blogs erstaunlich lange am Leben.
Das liegt daran, weil diese These durchaus ein realistisches Szenario wäre und ganz gewiss alles andere als illusorisch ist.

Das grösste Problem an dieser These ist aber ein Aspekt, der nicht mitberücksichtigt wurde: es trifft nicht nur Russland oder den Iran, sondern auch die USA selbst!
Und man kann sich nur sehr schwer vorstellen wie die Obama-Administration ein Geheimabkommen mit Saudi Arabien getroffen haben soll, welches mit voller Absicht die wirtschaftliche Stabilität der USA gefährden könnte. Es muss andere Gründe für diesen Preisverfall geben als diese These des US-Saudi Geheimabkommens.

Nebst dem einfachsten ökonomischen Grundsatz von Angebot und Nachfrage, spielt auch die europäische Rezession und das verlangsamte Wirtschaftswachstum in China eine wesentliche Rolle in dem Preisverfall. Seit die USA zu einem Ölgiganten aufgestiegen sind, mit einer Förderung von 8.7 Millionen Barrel pro Tag im September 2014 (im Vergleich: Saudi Arabien mit 9.7 Millionen Barrel; Iran mit 3.2 Millionen Barrel; Russland mit 10.09 Millionen Barrel), war es nur eine Frage der Zeit bis es ein Überangebot an Öl auf dem Markt geben und die Preise dadurch unter Druck geraten würden. Tatsächlich äusserte sich bereits im Juli der Leiter der Commodities Abteilung der Banc of America, Francisco Blanch, dass "solch ein grosses Wachstum in der Energieversorgung die Preise runter bringen sollte", doch dass die geopolitischen Umstände ausserhalb der USA dies nicht zulassen würden.

Die Zeichen für einen Preisverfall des Ölpreises waren also schon seit längerem sichtbar, aber die Preis- und Produktionspolitik der OPEC liess die Anpassung nicht zu. Und natürlich spielte auch die geopolitische Situation eine Rolle in der Strategie der OPEC. Die These des "Geheimabkommens" zwischen Washington und Riad besagt, dass die geopolitische Situation sich insofern verändert hat, als dass mit dem Preisverfall Russland zur gewünschten Politik der USA gezwungen wird und im Gegenzug die Saudis natürlich auch etwas erhalten was sie gerne hätten: Bashir al-Assad.
Folgt man dieser These, dann entspräche dieses Ergebnis genau jener Interpretation der Dinge, die einige Analysten aus dem Besuch von US-Aussenminister John Kerry kurz vor dem Start der Luftangriffe im Irak und Syrien in Saudi Arabien zogen. Wie ich aber bereits in dem Bericht "Einblick in das syrische Chaos" geschrieben habe, vertrete ich eine andere Meinung diesbezüglich und kann daher auch nicht diese These mit dem "Geheimabkommen" zwischen den USA und Saudi Arabien stützen.

USA ist das wirkliche Ziel
Natürlich würde der Al-Saud Klan nichts lieber sehen als dass die USA den syrischen Präsidenten Bashir al-Assad aus seinem Palast in Damaskus bomben würden, wie sie es bereits mit Saddam Hussein im Irak getan haben. Und für einen kurzen Augenblick im Sommer 2013 sah man sich in Riad diesem Ziel schon fast zu greifen nah, als die USA anfing die Kriegsmaschinerie langsam aber sicher in Bewegung zu setzen. Doch im allerletzten Augenblick entzog das britische Parlament der Regierung solch ein Mandat, und Barack Obama nutzte diese Chance und spielte den Ball schnell auf die Seite des Kongresses, wo die Kongressabgeordneten bereits mit Telefonanrufen ihrer Wählerschaft überschattet wurden um ja nicht für einen erneuten Krieg in der Region zu stimmen. Die saudischen Herrscher und Strategen hinter dem Drahtzieher des von Saudi Arabien gesteuerten Terrorregimes der wahhabitischen Extremisten, Prinz Bandar bin Sultan, mussten hilflos zuschauen wie ihre Pläne zunichte gemacht wurden. Dabei bestätigte sich nur weiter der Eindruck den sie ohnehin von Obama hatten, als er ihrer Meinung nach den ägyptischen Diktator Hosni Mubarak ohne mit der Wimper zu zucken fallen liess als die Revolution in Ägypten ausbrach.
Das Obama im letzten Moment den Angriff auf Syrien abblies, war eine schwere strategische Niederlage für die Saudis.

Die aus saudischer Sicht zweite, äusserst schmerzvolle Niederlage folgte nur kurze Zeit später, als im November das Genfer Abkommen zwischen dem Iran und den Ländern des P5+1 (Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, China + USA) unterzeichnet wurde. Allein die Tatsache, dass die USA bereits Monate zuvor geheime Treffen mit iranischen Unterhändlern führten und weder Israel noch Saudi Arabien darüber informiert hatten, jagte den Saudis einen grossen Schrecken ein. Als dann nicht einmal die israelischen Sabotageakte gepaart mit saudischen Milliarden die Unterzeichnung des Genfer Abkommens verhindern konnten (siehe hier, hier und hier), war spätestens jedermann klar dass die Monopolstellung Saudi Arabiens als wichtigster Partner der USA im Persischen Golf seit 1979 (zuvor war es der Iran und Saudi Arabien eher der Juniorpartner) zu bröckeln beginnt.
Im Artikel "Warum Iran für gewisse Kreise als Feind nützlicher ist als Freund" vom 21.12.2012 habe ich die Gründe dargelegt weshalb Saudi Arabien alles unternehmen wird, um eine potentielle (und damals noch völlig hypothetische) Annäherung zwischen den USA und dem Iran zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt erschien das was wir heute erleben, direkte und schon fast freundschaftliche Gespräche auf hoher Regierungsebene (Aussenministerebene) zwischen den beiden Ländern absolut undenkbar. Und das galt nicht nur für die Amerikaner und die Iraner, sondern eben auch für alle Länder des Mittleren Ostens.

Iran`s Aussenminister Mohammad Javad Zarif mit US-Aussenminister John Kerry am 14.07.14 in Wien (Photo des US-State Department)

Das wichtigste Mittel des Al-Saud Klans in der Durchführung ihrer Pläne war von Anfang an das Erdöl und später natürlich die Milliarden Einnahmen davon. Indem Ibn Saud den Amerikanern in den 1930er Jahren das gab was die Briten nicht haben wollten, nämlich die Ölkonzession für die gigantischen Ölfelder in der von Schiiten bewohnten Region im Osten des erst kürzlich eroberten Gebietes auf der Arabischen Halbinsel (es ist eine Ironie der Geschichte dass britische Geschäftsmänner bereits die Konzession erhalten haben und sie aufgrund einer Fehleinschätzung über die Ölvorkommen wieder verkauft haben), schuf er den Grundstein für die saudisch-amerikanische Beziehung.  Später wurden die Milliardeneinnahmen aus der Erdölförderung dafür benutzt, um die Herrschaft des Al-Saud Klans zu sichern und sich das Überleben durch die Vereinigten Staaten von Amerika garantieren zu lassen. Im Gegenzug holte sich Washington immer wieder saudische Milliarden für verdeckte Operationen, die entweder vor dem US-Kongress geheim gehalten werden sollten oder einfach die Kosten abgewälzt werden sollten solange auch Saudi Arabien davon profitieren konnte. Zudem kaufte Saudi Arabien im grossen Stil amerikanische Waffensysteme und natürliche andere US-Produkte, unabhängig davon ob vieles davon überhaupt für die klimatischen Besonderheiten von Saudi Arabien geeignet war oder nicht, um sich so eine gewisse und wechselseitige Abhängigkeit zu schaffen.

Das konnte aber nur solange gut gehen bis Saudi Arabien das liefern konnte was die USA dringend gebraucht haben: Erdöl und Geld.

Fast gleichzeitig mit den geopolitischen Niederlagen im Jahr 2013 machte sich noch eine andere Angst in Riad breit. Eine Angst die Präsident Barack Obama in seiner fünften State of the Union Ansprache (Rede zur Lage der Nation) im Januar 2014 nur weiter bestärkte:
"Es wurde mehr Öl zu Hause produziert als wir vom Rest der Welt einkaufen. Die gesamte Energiestrategie die ich vor ein paar Jahren angekündigt habe funktioniert, und heute ist Amerika näher an der Energieunabhängigkeit (dran) als wir es Jahrzehnte (lang) waren."
Mit dem technischen Fortschritt in der Ölförderung wie dem fracking entwickelten sich die Vereinigten Staaten innerhalb von kürzester Zeit von einem Importabhängigen Land zu einem der grössten Öl- und Gasproduzenten der Welt. Insbesondere die angestrebte Energieunabhängigkeit die Obama in seiner Rede ansprach ist es die Riad grösste Sorgen bereitet. Damit würde der Al-Saud Klan mit einem Schlag eines der wichtigsten Druckmittel verlieren die man in Washington verfügt und so viele Jahre lang erfolgreich umgesetzt hat: Erdöl.
Meldungen aus den USA beweisen, dass diese Furcht vor dem Verlust dieses Druckmittels nicht unbegründet ist:
"Die Tage als die Ölproduzierenden Diktaturen des Mittleren Ostens und ihre Freunde in der OPEC einfach ihre Macht über einen zitternden, Öldurstigen Westen ausüben konnten sind auf dem Weg ein Relikt der Vergangenheit zu werden."
 Damit einhergehend wächst naturgemäss auch die Sorge wegen dem Geld. Denn sollte Amerika Energieunabhängig werden, kann und wird der produzierte Energieüberschuss exportiert und würde damit zur direkten Bedrohung für die Herrschaft der Al-Saud`s werden. Mit dem Verlust von Marktanteilen, welcher zwangsläufig folgen würde, käme Saudi Arabien finanziell wahnsinnig unter Druck da das Erdölgeschäft über 40% des Bruttoinlandprodukts und fast 90% der Exporteinnahmen ausmacht. (Zum Vergleich: Iran 20% des BIP`s und knapp 80% der Exporteinnahmen, beides inkl. Gas ; Russland: knapp 30% des BIP`s und 50% der Exporteinnahmen, beides inkl. Gas / Stand 31.12.2013).

Die aktuelle ökonomische wie auch geopolitische Lage erlaubt es Riad nun, den Spiess etwas umzudrehen um den Amerikanern zu zeigen dass man alles andere als "ein Relikt der Vergangenheit" werden möchte. Durch den allgemeinen Rückgang der Ölnachfrage, der Rezession in Europa und den aktiven Konflikt zwischen USA und Russland in der Ukraine sowie in Syrien und der Atomverhandlung mit dem Iran, ergeben sie einige Gründe weshalb ein Preisverfall der Erdöls äusserst opportun erscheint. Aus Europa werden die Saudis mit Sicherheit keine Klagen wegen niedriger Ölpreise zu hören bekommen, und wenn es Russland schadet werden sich die politischen Klagen aus Washington zumindest vorübergehend im Zaun halten.

Aber der Druck auf das Weisse Haus wird unweigerlich steigen. Sollte es Saudi Arabien tatsächlich mit der Ankündigung ernst meinen, solange den Markt mit Öl zu überfluten bis der Preis auf 76-77 USD pro Barrel Öl gefallen ist, dann wird die amerikanische Ölförderung zu einem Milliardengrab für sehr viele Grossinvestoren die in den letzten 4 Jahren 250-300 Milliarden US-Dollar in die amerikanische Ölförderung gesteckt haben. Denn im Gegensatz zur Ölförderung im sandigen Boden der arabischen Petromonarchien oder auch im Iran, sind die Produktionskosten der amerikanischen Förderung deutlich höher (etwa das 2,5fache bis 3fache). 


Diese hohen Produktionskosten für das fracking waren gerechtfertigt und brachten den Produzenten und Investoren höchst ansehnliche Renditen solange die Preise über 100USD/Barrel lagen. Aber bei einem Preis unter 80USD/Barrel wird es so gut wie keine Gewinne mehr geben und aufgrund der Unrentabilität einige Produzenten vom Markt fegen, und andere dazu zwingen die Ölförderung massiv zurückzuschrauben in der Hoffnung auf bessere Preise. Beide Szenarien sind den Saudis willkommen.



Auch wenn der Al-Saud Klan mit den niedrigen Ölpreisen nach wie vor hohe Gewinne einfährt verglichen mit den Produktionskosten und über ein finanzielles Polster von 740 Milliarden US-Dollar verfügt, lange wird man diese niedrigen Preise nicht aushalten können. Auch der saudische Multi-Milliardär Prinz Al Waleed bin Talal warnte vor den Konsequenzen eines solchen immensen Preisverfalls für einen Staat, dessen "Staatsbudget für 2014 zu 90% von (geplanten) Erdöleinnahmen abhängt." Dazu kommt, dass das Al-Saud Herrscherhaus die Bevölkerung ständig bei Laune halten muss um keine Bedrohung im Stile einer Revolution aufkommen zu lassen. Und dafür benötigt man einen Ölpreis zwischen 80-85 USD/Barrel um die ganzen Projekte und Subventionen auch zu bezahlen die man im Budget einkalkuliert hat. Das finanzielle Polster von 740 Milliarden US-Dollar wäre sehr schnell aufgebraucht wenn man dadurch nicht nur die sinkenden Staatseinnahmen auffangen müsste, sondern auch die zahlreich budgetierten Projekte und Subventionen.

Ein weiteres Zeichen dass das Ziel nicht Russland oder der Iran ist und deshalb das "Geheimabkommen" an sich obsolet ist, ist die Tatsache dass kurz nachdem Saudi Arabien für ihre wichtigsten Kunden in Asien die Preise reduziert hat, auch der Iran nachgezogen ist. Und nicht nur nachgezogen, man hat die Preise der Vereinigten Arabischen Emirate für das leichte und schwere Rohöl sogar unterboten, um die Marktanteile zu behalten oder sogar leicht auszubauen. Und das sind dann Preise, wo sich die amerikanischen Mitbewerber äusserst schwer tun um noch profitabel mithalten zu können.
Auch der Punkt den manche Kommentatoren aufgeworfen haben dass Saudi Arabien den produzierten Überschuss als Ersatz für russisches Öl nach Europa liefern könnte, ist bei näherem Betrachten nichts weiter als ein Wunschdenken. Saudi Arabien fördert "süsses" Rohöl, während Russland "saures" Rohöl fördert und nach Europa verkauft. Das bedeutet dass die europäischen Abnehmer von russischem Öl über Raffinerien verfügen, die auf das "saure" Öl ausgelegt sind und gar nicht das "süsse" Öl aus dem Persischen Golf aufnehmen können. Natürlich könnten die Raffinerien auf das "süsse" Öl umgestellt werden, aber das würde Millioneninvestionen nach sich ziehen und wäre nicht über Nacht machbar.

Das wirkliche Ziel hinter der saudischen und kuwaitischen Marktüberflutung sind also die amerikanischen Ölproduzenten denen man die Grenzen aufzeigen möchte. Dass Iran und Russland sich momentan in einer delikaten geopolitischen Situation befinden und sie die Einnahmenverluste mit Sicherheit belasten werden, ist nur eine zusätzliche Befriedigung für den Al-Saud Klan. Die Freude könnte aber von kurzer Dauer sein wenn die "Ölwaffe" zu einem "Ölboomerang" für Saudi Arabien wird.

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