Auf der Ebene der staatlichen Akteure mischen natürlich Syrien mit, die USA, Grossbritannien, Frankreich, Türkei, Russland, Iran, Saudi Arabien, Qatar, Vereinigten Arabische Emirate, Jordanien und Israel. Und das sind nur die Staaten die aktiv am Geschehen beteiligt sind.
Auf der Ebene der nicht-staatlichen Akteure mischen Personen aus Syrien mit, den USA, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich, Belgien, Niederlande, Dänemark, Schweden, Türkei, Irak, Iran, Jordanien, Tschetschenien, Dagestan, Jordanien, Saudi Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Qatar, Kuwait, Tunesien, Libyen, Mauretanien, Marokko, Algerien, Ukraine/Russland (je nachdem zu welchem Land man die Tataren der Krim-Halbinsel dazuzählen möchte), Uiguren aus der chinesischen Provinz Xinyang. Eine schier unglaubliche Anzahl von Herkunftsländern! Nicht weniger unglaublich ist die Vielfalt an Motiven die die Männer aus diesen verschiedenen Ländern nach Syrien getrieben hat und weiterhin treibt: der Sturz von Bashir al-Assad, die Errichtung eines Kalifats, die Vertreibung von "Ungläubigen" (Christen, Schiiten, Kurden, Alewiten, Drusen) von muslimischen, d.h. aus wahhabitischer Sicht sunnitischen Boden, hochbezahlte Söldner, Abwehr der Übergriffe dieser wahhabitischen Extremisten, Schutz der schiitischen Bevölkerung und Heiligtümer, Schutz der kurdischen Bevölkerung und Heiligtümer.
Selbstverständlich kämpfen diese nicht-staatlichen Akteure nicht in einem homogenen Block, sondern sind wiederum in dutzende Gruppierungen unterteilt die den diversen Motiven Rechnung tragen.
Während bis vor Kurzem nur Syrien als staatlicher Akteur gegen einige dieser nicht-staatlichen Gruppierungen vorging, sind es nun eben auch hauptsächlich die USA die den Löwenanteil an Luftschlägen gegen die gleichen Ziele austeilen, die zuvor schon von Syrien unter Beschuss genommen wurden. Ob die Luftschläge der USA (mit kosmetischer Unterstützung einiger Kampfjets aus Saudi Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Qatar und Jordanien) überhaupt legal sind, ist mehr als zweifelhaft. Anders als der Irak bat Syrien nicht um Hilfe, doch der Protest in Damaskus über die Verletzung der syrischen Souveränität hält sich verdächtig in Grenzen. Im Gegenteil, die syrische Zeitung Dimashq Now lobte sogar die Bombenangriffe der USA auf Ziele der ISIS, Jabhat al-Nusra und sogar Ahrar al-Sham als einen "historischen Moment, in welchem die Freude auf den Gesichtern der meisten Syrer zu sehen war nachdem sie internationale Unterstützung zur Auslöschung des Krebsgeschwürs gefunden haben, welcher sich im erkrankten Körper Syriens ausgebreitet hat."
Kaum vorstellbar dass man heute solche Schlagzeilen aus pro-syrischen Medien hört, wo man noch letztes Jahr selbst beinahe das Ziel von US-Bomben geworden wäre. Und um die ganze Sache noch etwas komplizierter und das Chaos in Syrien perfekt zu machen, muss man sich folgendes mal vor Augen führen: noch heute wollen jene Staaten die die USA im aktuellen Bombardement gegen die Gegner des Staates Syrien unterstützen - welche sie zuvor noch selbst unterstützt haben - den Sturz der Regierung Assad. Sie bombardieren aber nicht nur die wahhabitischen Extremisten der ISIS bzw. IS, sondern auch die wahhabitischen Extremisten der Jabhat al-Nusra sowie die Jihadisten der Ahrar al-Sham. Allesamt Gruppierungen die noch bis vor Kurzem von den gleichen Staaten gefördert wurden und so erst diese Schlagkraft in finanzieller wie auch militärischer Sicht erlangt haben, um eben eine reale Bedrohung für die Assad-Regierung darzustellen. Und jetzt werden genau diese Gruppierungen angegriffen. Während sich die IS-Führung auf die Bombenangriffe vorbereitet hat, traf es die anderen beiden Gruppierungen (Jabhat al-Nusra und Ahrar al-Sham) für sie völlig überraschend, da sie der Meinung waren dass die USA sie von einem lästigen Gegner (IS) befreien werden und sie anschliessend in ihrem Kampf gegen Assad unterstützen werden. Interessanterweise wurden Jabhat al-Nusra Hochburgen wie zum Beispiel bei Aleppo bombardiert, jedoch die Region um das westliche Bekaa-Tal, welches an den von Israel besetzten Golan-Höhen angrenzt und mit Unterstützung der Israelis durch wahhabitische Extremisten der Jabhat al-Nusra (JaN) kontrolliert wird, völlig in Ruhe gelassen. Als ein syrisches Kampfflugzeug diese Stellungen der JaN angreifen wollte, wurde es von Israel innerhalb des syrischen Luftraumes abgeschossen, und nicht "über den Golanhöhen" wie die Frankfurter Rundschau behauptete. Allein die Begründung die man von israelischer Seite übernommen hat ist schon haarsträubend genug, nämlich dass der syrische Jet "rund 800 Meter in den Luftraum Israels eingedrungen sei", aber dass diese Angaben ohne jegliche Hinterfragung übernommen werden zeigt die Qualität der Berichterstattung.
Bei dem syrischen Kampfjet handelte es sich um eine russische Suchoi SU-24, ein eigens für den Tiefflug konzipierter Bomber der mit bis zu Mach 1.4 im Tiefflug Ziele auf dem Boden bombardieren kann.
Auch wenn der Jet nicht mit Maximalgeschwindigkeit (Mach 1.4 = 1715km/h) geflogen ist, so ist er aber aller Wahrscheinlichkeit nach über 1000 km/h geflogen um so schnell wie möglich den Bogen über das Bekaa-Tal zu schaffen um nicht, und wenn, dann nur sehr kurz in den israelischen Luftraum einzudringen. Selbst wenn die Angabe von diesen 800 Metern stimmen sollte, was wie gesagt aufgrund der Schleife durchaus sein kann, so waren diese 800 Meter aber ein Wimpernschlag auf dem israelischen Radar und in keinster Weise eine Bedrohung für Israel. Man könnte nun argumentieren ob Wimpernschlag oder nicht, es war eine Verletzung des israelischen Luftraumes (sofern diese Angaben natürlich überhaupt der Wahrheit entsprechen). Warum aber werden von diesen Medien nicht dieselben Luftraumverletzungen erwähnt, die von Israel im Libanon und Syrien durchgeführt werden und letztes Jahr im Mai sogar in heftigen Luftschlägen endeten?
(Ein)Blick in das Chaos
Obwohl es das erklärte Ziel der Amerikaner war Präsident Bashir al-Assad zu stürzen und man auch kurz davor stand die Kriegsmaschinerie letztes Jahr in Gang zu bringen, machen die Amerikaner sehr zur Verwunderung der stärksten Widersacher Assad`s nun genau das Gegenteil. Und was wahrscheinlich noch viel schwerer wiegt, die ideologischen Paten und Beschaffer von Gestern nehmen an diesen Luftschlägen teil.
Die Frage nach dem Warum ist wieder mal mehr als angebracht. Fakt ist, dass US-Präsident Barack Obama nicht allein dastehen und dieser Kampagne wenigstens den Anschein einer Legitimation durch die arabischen Länder verleihen wollte. Dass es sich dabei um die repressivsten Regime der Welt handelt die nur auf ihr eigenes Überleben bedacht sind, spielt keine Rolle. Dass kein Aufschrei aus den Hauptstädten oder der UNO kam, zeigt einmal mehr die zynische Doppelmoral die angewendet wird. Wie hätten genau die gleichen Länder reagiert, wenn zum Beispiel eine "Koalition der Willigen", bestehend aus Iran, Russland, China und Indien in Syrien losgeschlagen hätten? Auch diese Länder haben legitime Interessen in Syrien die es gemäss der angewendeten westlichen Logik zufolge zu verteidigen gelten würde.
Dass die USA mit der Right-To-Protect (R2P)-Doktrin (das selbsterteilte "Recht" auf einen Militäreinsatz in anderen Ländern um eine in Bedrängnis geratene Volksgruppe vor der eigenen Regierung zu beschützen) nicht lange auf irgendwelche internationalen Mandate warten, ist ja bekanntlich nichts Neues. Dass nun aber auch arabische Staaten teilnehmen, ist schon eine äusserst bemerkenswerte Wendung. Denn diese Staaten (Saudi Arabien, Vereinigten Arabische Emirate, Jordanien) sind nicht dafür bekannt selbst etwas gegen eine äussere Bedrohung zu unternehmen. Die Luftschläge Saudi Arabiens gegen Positionen der Huthi-Rebellen im Jemen zählen nicht dazu, da diese Rebellen keine Bedrohung für Saudi Arabien darstellen. Im Gegenteil, sehr zum Missfallen des Herrscherklans Al-Saud beschwerte sich der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert Gates darüber, wie Saudi Arabien von oberster Stelle versucht hat die USA in einen Krieg gegen den Iran zu drängen. Gates schrieb in seinen Memoiren, dass der saudische König Abdullah verlangte, dass "die Vereinigten Staaten ihre Söhne und Töchter in einen Krieg gegen den Iran entsenden um die saudische Position im Golf und in der Region zu beschützen, als ob wir Söldner wären. Er verlangte von uns amerikanisches Blut zu vergiessen, aber zu keiner Zeit machte er Andeutungen darüber dass saudisches Blut vergossen werden könnte."
Gates erwähnte auch, dass weniger überraschend auch Israel nach dem gleichen Motto handelt und die USA immer wieder in Bedrängnis bringt, indem Washington Kriege führen muss die es eigentlich gar nicht will.
Es muss also was passiert sein dass sich ausgerechnet diese Länder an dieser Kampagne beteiligen. Gemäss dem Wall Street Journal versprach US-Aussenminister John Kerry bei seinem Besuch in Saudi Arabien König Abdullah etwas, was den Saudis brennend am Herzen lag und sie schliesslich zum Einlenken bewegte. Auch wenn das Wall Street Journal seit der Übernahme 2010 durch Rupert Murdoch zu einer Propagandazeitung verfallen ist und die Berichte sehr oft nur noch mit Vorbehalt zu geniessen sind, solange man sich nur an die harten Fakten hält und den Rest erst einmal ausser Acht lässt, dann erfährt man trotzdem dass a) John Kerry im Palast des saudischen Königs am Roten Meer in Jeddah war und b) dass es dort zu einer Übereinkunft kam, die unmittelbar danach zu den Luftschlägen führten. Im Artikel des WSJ heisst es:
"Die Saudis haben ihren amerikanischen Gegenstücken noch vor dem Besuch mitgeteilt, dass sie bereit sind um Luftunterstützung zu bieten. Aber nur wenn sie davon überzeugt sind, dass die Amerikaner für eine nachhaltige Anstrengung in Syrien bereit sind."Um noch etwas Öl ins Feuer zu giessen kurz bevor John Kerry nach Jeddah kam, warnte der saudische König die Amerikaner davor, dass die "ISIS in zwei Monaten in Amerika sein werden wenn wir sie ignorieren".
Aber was bedeutet diese "nachhaltige Anstrengung" die von den Amerikanern in Syrien verlangt wurde? Sehr viele Analysten gehen davon aus, dass damit der Sturz von Assad gemeint ist sobald der Islamische Staat zerstört wurde. Immerhin gibt es nach wie vor mehr als genug Stimmen im Kongress die nach wie vor genau das fordern, und jene Staaten die seinen Sturz bisher forderten werden dieses Ziel sicher nicht abgeschrieben haben. Auch der Umstand dass der US-Kongress erst vergangene Woche einen Fonds über 500 Millionen US-Dollar zur Ausbildung von 5000 "moderaten Rebellen" in Saudi Arabien abgesegnet hat, könnte den Umstand erhärten dass es das Endziel der USA ist, den syrischen Machthaber zu stürzen. Nun haben aber auch die US-Militärs bemerkt dass die Zahl wohl etwas zu gering angesetzt ist um die Befürworter eines Sturzes von Assad zu besänftigen, und erhöhten die "benötigte" Zahl auf 15`000 Mann. Allerdings gibt es für die restlichen 10`000 Mann keine Finanzierung aus Washington, und mit der abgesegneten Summe von 500 Millionen blieben da nur noch 33`000 US-Dollar pro Mann übrig.
Ich sehe allerdings die Dinge etwas anders, was auch von amerikanischen und iranischen Quellen im Grundsatz bestärkt wurde. Mit 5000 Rebellen kann Assad nicht gestürzt werden, auch nicht wenn die USA seine Luftabwehrstellungen und Kommandozentralen zerstören würde. Ausserdem versicherten US-Diplomaten am Rande der UN-Vollversammlung in Verhandlungen den Iranern, dass Assad nicht das Ziel der Angriffe sei. Natürlich besteht das Risiko dass es nur ein kurzfristiges Versprechen sein kann, aber es ist ein kalkulierbares Risiko.
Kalkulierbar deshalb, weil mit der Bombardierung nicht nur der wahhabitischen Extremisten des Islamischen Staates (IS), sondern auch von Jabhat al-Nusra und Ahrar al-Sham jene Gruppierungen ausgeschaltet werden sollen, die zuvor eigens für den Sturz von Assad unterstützt wurden und zu den stärksten Gegnern der syrischen Armee wurden. Aber auch eine grosse Anzahl von nominell schwächeren Gruppierungen wie die anfänglich als Heilsbringer gefeierte Freie Syrische Armee (FSA) und dutzende andere verurteilen die Luftangriffe. Diese Tatsache ist ein Eingeständnis dass die bisherige Politik versagt hat.
Ausserdem wissen die Strategen im Pentagon ganz genau was ihnen im Irak passiert ist. Der mächtigste Militärapparat der Welt wurde im Irak besiegt, und das obwohl man zuvor die staatlichen Strukturen von Saddam`s Irak zerstört hat und mit zehntausenden eigenen Soldaten vor Ort war. Dieses Szenario wird sich auch in Syrien wiederholen sollte Washington sein Versprechen in Syrien brechen, davon ist man in Washington überzeugt.
Wer aber soll dann das Machtvakuum füllen wenn die stärksten Gegner Assad`s auf dem Schlachtfeld tatsächlich erheblich geschwächt wurden und gleichzeitig aber Assad ins Visier genommen werden sollte? Etwa diese 5000 "moderaten Rebellen" die ausgebildet werden sollen, die aber bei näherem hinschauen gar nicht mehr so moderat aussehen? Ausgerechnet die New York Times zeigt einen Anführer dieser "moderaten Rebellen", einen gewissen Scheich Tawfiq Shahabuddin, im türkischen Reyhanli wo er in einer geheimen, von der CIA angeführten Militärkommandozentrale seinen Tee zu sich nimmt.
Bild aus der NY Times von Bryan Denton zeigt Scheich Shahabuddin
Allein schon die äussere Erscheinung von Shahabuddin ist alles andere als "moderat", sondern gehört absolut in die Kategorie Salafist. Auch der Name seiner Organisation, die Nureddin Zengi Bewegung, ist bereits schon Programm. Nureddin Zengi war ein Herrscher der Zengiden Dynastie in Syrien aus dem 12. Jahrhundert, die die christlichen Kreuzritter bekämpften und schreckliche Massaker an den Christen begingen. Von "moderat" kann also keine Rede sein.
Dieses Machtvakuum wird also jemand anders füllen müssen. Jemand der weder direkt mit der Regierung von Assad assoziiert werden kann, noch einer anderen islamischen Sekte als den Sunniten angehört. Dieser jemand wird zwangsläufig aus dem sunnitisch-konservativen Lager kommen müssen um den Syrern die bisher unter dem Einfluss der wahhabitischen Ideologie (durch die Herrschaft der Wahhabiten) standen und dieser Lehre nicht gänzlich abgeneigt waren, Rechnung tragen zu können. Das wiederum setzt voraus, dass Bashir al-Assad und seine engsten Vertrauten aus der Regierung zurücktreten werden müssen, aber der Sicherheitsapparat und die Baath-Regierung bleiben bestehen (ähnlich wie das der Fall in Ägypten war seit dem Sturz von Mubarak).
Dieses Szenario wird ausgerechnet durch jenen Kongressakt bekräftigt, der die 500 Millionen US-Dollar für "moderate Rebellen" zur Verfügung stellen will. Das Ziel wofür dieses Geld aufgewendet werden soll wird folgendermassen deklariert:
"Verteidigung des syrischen Volkes vor den Angriffen des Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL), und die Absicherung des Territoriums welches durch die syrische Opposition kontrolliert wird. Schutz der Vereinigten Staaten von Amerika, ihrer Freunde und Alliierte, und das syrische Volk vor der Bedrohung die von Terroristen in Syrien ausgeht. Bedingungen zur ausgehandelten Beilegung des Konflikts in Syrien sollen geschaffen werden."Kein Wort steht da von einer Bedrohung die von der syrischen Regierung für das Volk ausgeht, sondern das Volk soll vor der Bedrohung der Terroristen auf syrischem Territorium beschützt werden. Und, der Konflikt soll durch Verhandlungen beigelegt werden, nicht durch Waffengewalt.
Ganz ähnlich äusserte sich Robert S. Ford, den Barack Obama nur kurz vor dem Ausbruch der "Revolution" in Syrien zum US-Botschafter in Damaskus ernannte und erst Ende Februar 2014 von dieser Position zurücktrat, als er sagte dass man mit den "moderat bewaffneten Oppositionsführern" die einen politischen Arm den "unzufriedenen Regimeunterstützern" hinstrecken, einen "gemeinsamen politischen Standpunkt für eine neue, ausgehandelte nationale Einheitsregierung, mit oder ohne Assad" finden soll.
Das ist ein ganz anderer Standpunkt als die bisher vertretene Linie aus Washington, in der Assad gar keine Rolle spielte. Und das Wichtigste kommt noch als Robert S. Ford Bezug auf eine Meinung eines "prominenten amerikanischen Beobachters" nimmt, der meinte dass es eine Torheit wäre zu glauben, dass man Assad stürzen könnte wenn man moderate Rebellen unterstützt.
"Aber der Sturz (von Assad) war vorher nicht unser Ziel, uns sollte es auch jetzt nicht sein", sagte der Mann der von Ende 2010 bis Februar 2014 US-Botschafter in Syrien war.
Ob Bashir al-Assad im Amt bleiben wird oder nicht, wird wie korrekterweise von Ford festgehalten hauptsächlich vom Iran abhängen. Iran`s Unterstützung für Assad ist nicht in Stein gemeisselt und hängt auch nicht prinzipiell von der Person Bashir al-Assad ab, wie der iranische Präsident Hassan Rouhani in einem Interview mit CBSNews angedeutet hat. Das heisst möchten die USA mit ihrem Plan Erfolg haben, werden sie den Iran brauchen. Genauso wie sie den Iran gebraucht haben um sich im Irak vom demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Nouri al-Maliki zu entledigen (erst nachdem Teheran Maliki fallen lassen hat ist er zurückgetreten obwohl er es vorher trotz Druck der Amerikaner strikt ausgeschlossen hat) und genauso wie sie den Iran gebraucht haben um in Afghanistan für einen geordneten Übergang von Hamid Kharzai zu Ashraf Ghani zu sorgen. Und was man nicht vergessen darf, Obama möchte bis Ende Jahr den grössten Teil der US-Kampftruppen aus Afghanistan abziehen und die übrigen 9800 Soldaten spätestens 2016. Auch dafür wird Washington auf Teheran angewiesen sein, um eine halbwegs stabile Zentralregierung in Kabul gegen die Taliban halten zu können.
Man kann es schön malen wie man möchte: die besseren strategischen Karten hält Teheran in der Hand und das wissen die Strategen in Washington. Es liegt also in ihrem Interesse die gemachten Versprechen gegenüber dem Iran auch einzuhalten. Natürlich kann das weder Obama noch sonst irgendwer im offiziellen Amerika zugeben, aber ein anderes Sprachrohr der Amerikaner kann das durchaus. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte am 18. September im Gespräch mit dem iranischen Aussenminister Mohammad Javad Zarif in New York, dass er an "Iran`s konstruktive Rolle im Konflikt im Irak und Syrien" glaube. So einen Satz hätte Ban Ki Moon niemals ohne Abstimmung und Genehmigung der Amerikaner gesagt.
Die arabischen Staaten
Wie schon weiter oben erwähnt, glaube ich nicht daran dass John Kerry bei seinem Besuch in Jeddah den Sturz von Assad versprochen hat wie das vom Wall Street Journal impliziert wird. Wovor sich der korrupte Clan der Al-Saud am meisten fürchtet ist die eigene Stellung in Saudi Arabien. Man will nicht eines Morgens aufwachen und feststellen dass aus dem Königreich Saudi Arabien ein Islamischer Staat Arabien geworden ist. Denn wie ich schon in anderen Artikeln geschrieben habe, gibt es in Saudi Arabien sehr wohl Sympathisanten mit den Ideen der ISIS. Der selbsternannte "Kalif Ibrahim" der ISIS, verlangte von allen Jihadisten dass sie sich dem Islamischen Staat anschliessen um das von Prophet Muhammad vorgesehene Kalifat wiederauferstehen zu lassen. In seiner Rede an die islamische umma bediente sich der "Kalif" einer äusserst geschickten Rhetorik die mit Sicherheit einen Nerv bei vielen Sympathisanten insbesondere auf der Arabischen Halbinsel getroffen hat, und den despotischen Herrschern kalten Schauer den Rücken herabjagte. Insbesondere dieser Teil der Rede dürfte für diesen kalten Schauer verantwortlich sein:
"Wir machen den Muslimen klar dass mit der Deklaration des Kalifats, es die Aufgabe aller Muslime ist dem Kalifen Ibrahim die Treue zu schwören und ihn zu unterstützen (möge Gott ihn beibehalten). Die Legalität aller Emirate, Gruppen, Staaten und Organisationen wird durch die Expansion der Autorität des Kalifen und der Ankunft seiner Truppen zu ihren Gebieten aufgehoben. Imam Ahmad (möge Gott seiner gnädig sein) sagte, wie es von Abdus Ibn Malik al-Attar überliefert wurde, "Es ist für niemanden der an Allah glaubt erlaubt zu schlafen, ohne denjenigen als seinen Anführer zu berücksichtigen der die Herrschaft über sie mit dem Schwert erlangt hat, bevor er Kalif geworden ist und Amirul-Mu`minin (Der Anführer der Gläubigen) genannt wird, unabhängig davon ob dieser Anführer gerecht oder sündhaft ist. Der Kalif Ibrahim (möge Gott ihn beschützen) hat alle Voraussetzungen für einen Kalifen erfüllt so wie es die Gelehrten verlangten."Davor fürchten sich die Herrscherhäuser in Riad, Abu Dhabi, Doha, Manama und Kuwait City. Ihre Herrschaften wurden allesamt durch das Schwert erstellt und durch das britische Empire (und heute durch die USA) beschützt. Und nun kommt einer der sich selbst zum Kalifen ernannt hat und behauptet, dass diese Herrscher nicht legitimiert sind und bei Ankunft seiner Truppen die Herrschaft des Kalifats auch auf diese Gebiete übergeht. Für Wahhabiten die in ihren Madrassen und Moscheen seit Jahrzehnten hören wie verkommen der westliche Lebensstil und die darin vertretenen Werte sind, und dabei noch die im unermesslichem Reichtum schwelgenden Herrscher zum Vergleich heranziehen, werden es nicht schwer haben diese Diskrepanz festzustellen. Viel mehr wurde diese Diskrepanz schon seit Jahrzehnten festgestellt und mündete 1979 in der Besetzung der Grossen Moschee von Mekka, doch was bisher fehlte war ein Mittel sich dieser Herrscher bzw. des sozialen Ungleichgewichtes zu entledigen. Mit der Ankunft des "Kalifen Ibrahim" besteht zumindest das Risiko (oder die Möglichkeit; abhängig davon von welcher Seite man es betrachten möchte), dass sich daran etwas ändern könnte.
Allein dieses Risiko sorgt dafür, dass die einstigen Schützlinge plötzlich öffentlich von den Herrschern verteufelt werden und den Menschen, die insbesondere in den kleineren Emiraten das Glück haben sich zu den Sunniten zählen zu können und ein durchaus luxuriöses Leben führen, vor Augen führen was sie erwarten würde wenn die "wilden Horden" des Islamischen Staates ersteinmal tatsächlich vor der Türe stehen.
Die Teilnahme an den Luftschlägen hat also so gut wie gar nichts mit Assad zu tun, sondern ist primär aus innenpolitischen Gründen als Notwendigkeit zu betrachten um der eigenen Bevölkerung zu beweisen, dass man alles tut um sie vor den "wilden Horden" zu beschützen: sogar die eigenen sunnitisch-wahhabititischen Brüder zu töten die plötzlich eine Gefahr für sie darstellen.
Selbstverständlich würden die Petroherrscher nichts lieber sehen als den Sturz von Assad. Aber wie schon weiter oben dargelegt, ist dieser Plan grandios gescheitert und kostete mehr als 200`000 Menschen das Leben und machte über 6 Millionen Menschen zu Flüchtlingen.
Was sie aber dennoch erreichen wollen ist ein nunmehr abgeschwächter Plan. Wenn Assad selbst abdankt, haben sie ihr Gesicht gegenüber der historischen Verantwortung und vor dem eigenen Volk gewahrt und können sagen, dass erst ihre Politik dazu geführt hat dass der "Schlächter von Damaskus" wie sie Assad nennen, schliesslich doch noch von der Bildfläche verschwinden musste. Ausserdem werden sie mit Sicherheit alles erdenkliche unternehmen, um Einfluss bei der Wahl derjenigen Person zu haben, die in einer künftigen Regierung die Belange der sunnitischen Bevölkerung vertreten soll.
Israel
Die Rolle von Israel darf in diesem hochkomplexen Chaos nicht ausser Acht gelassen werden. Auf der anderen Seite der von Syrien besetzten Golan-Höhen duldet und unterstützt Israel die wahhabitischen Extremisten der Jabhat al-Nusra (JaN), und das obwohl JaN von den USA als Terrororganisation eingestuft wurde und Israel dadurch nicht mehr länger für US-Waffen- und Zahlungen klassifiziert wäre. Zuletzt kam ihnen Israel sogar militärisch zu Hilfe geeilt als ein syrischer Kampfjet Stellungen der JaN bombardieren wollte und schoss den Jet über syrischem Territorium ab.
Während die USA Stellungen der Jabhat al-Nusra in anderen syrischen Landesteilen bombardierte, blieben die gleichen Extremisten an der von Israel besetzten Grenze ominöserweise verschont. Dass Israel diese wahhabitischen Extremisten duldet und unterstützt ist längst kein grosses Geheimnis mehr, aber an die grosse Glocke möchte man diese Sache dann doch nicht hängen.
Verletzte Kämpfer der JaN werden über die Grenze gelassen um sie kostenlos in israelischen Militärkrankenhäusern medizinisch zu verarzten, um sie anschliessend wieder zurück in den Kampf gegen die syrische Armee und die Kämpfer der Hezballah zu schicken. Diese ganze Sache wurde erst durch einen UN-Bericht ans Tageslicht gebracht, bei welchem die seit 1974 an der Waffenstillstandslinie zwischen dem besetzten Golan und Syrien stationierten Blauhelme berichteten dass "durch die ganze Beobachtungszeit hindurch, UNDOF (U.N Disengagement Observer Force) bewaffnete Mitglieder der Opposition beobachtet hat wie sie mit der IDF (Israel Defence Force) über die Waffenstillstandslinie hinweg interagieren. Bei einer Gelegenheit beobachtete UNDOF die IDF auf der Alpha Seite (israelische Seite) wie sie zwei Boxen der bewaffneten Opposition auf der Bravo Seite (syrische Seite) übergab."
Der israelische Sprecher der IDF, Peter Lerner, meinte dazu nur lapidar: "Wir geben Menschen medizinische Hilfe die sie dringend brauchen. Wir überprüfen diese Leute nicht und fragen nicht nach woher sie kommen oder für welche Gruppe sie kämpfen, oder ob sie Zivilisten sind."
Ministerpräsident Binyamin Netanyahu und Verteidigungsminister Moshe Ya`alon beim Besuch eines "syrischen Oppositionskämpfers" in einem Militärlazarett auf den Golan-Höhen
Die Times of Israel berichtete ebenfalls über die Kollaboration zwischen Israel und der Freien Syrischen Armee (FSA), wie man Waffen und medizinische Hilfe im Austausch für die Absicherung der israelischen "Grenze" erhalten hat.
Meiner Meinung nach ist die Tatsache dass Israel hier offensichtlich freie Hand im Umgang mit den wahhabitischen Extremisten gewährt wurde der Tatsache geschuldet, dass damit ein Notfallplan gesichert bleibt sollte die Entwicklung in Syrien nicht wunschgemäss verlaufen. Jabhat al-Nusra kontrolliert ein relativ grosses Gebiet zwischen Damaskus bis zu den Golan Höhen und ringt bei Qunaitra um die Sicherstellung eines lückenlosen Korridors für die logistischen Nachschubwege an die Front mit Kämpfern der Hezballah. Über diesen Korridor werden aber nicht nur Waffen oder Nahrungsmittel transportiert, sondern es schleichen immer mehr wahhabitische Extremisten über das Bekaa-Tal in den Libanon hinein, welches über die Qalamoun Berge mit Qunaitra verbunden ist. Die heftigen Kämpfe von Arsal/Libanon im Sommer zwischen der libanesischen Armee und Jabhat al-Nusra und ISIS Extremisten sind direkte Auswirkungen dieser Kontrolle der JaN über diesen Korridor.
Die aus der Sicht von Hezballah strategisch wichtige Position der Shebaa-Farm haben sie bereits an Jabhat al-Nusra verloren, und man muss kein Prophet sein um hier eine gewisse Absicht zu erkennen. Israel drohte nur Tage nach dem Ende des brutalen Gaza Krieges diesen Sommer der Hezballah mit einem noch brutaleren Krieg, bei dem man hauptsächlich mit grosser Gewalt zivile Ziele bombardieren will um die vermuteten Raketenstellungen zu zerstören. Sollte Israel also tatsächlich einen Krieg gegen die Hezballah vom Zaun brechen, könnte die schiitische Partei sehr wahrscheinlich keinen Kampf auf zwei Fronten führen, zumal Israel eine ganz andere Qualität im Krieg aufweisen würde als es ISIS oder JaN jemals könnten. Für die Jabhat al-Nusra wäre in diesem Szenario der Weg nach Damaskus durch Israel freigeschaufelt, was aus taktischer Sicht durchaus Sinn ergibt und angesichts der bisherigen Kollaboration zwischen Israel und der von den USA als Terrororganisation eingestuften JaN auch nicht weit hergeholt ist. Und Israel hätte zwei Fliegen mit einer Klappe erwischt. Allerdings könnte Israel auch in Versuchung geraten, diesen absolut vom israelischen Militär herbeigesehnten Krieg dazu zu benutzen, um ein Abkommen zwischen den USA und Iran in der Atomfrage zu vereiteln. Gemäss den Memoiren von Robert Gates wäre das alles andere als auszuschliessen.
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