Donnerstag, 28. November 2013

Die Chance für einen neuen Mittleren Osten

Allen Unkenrufen zum Trotz: letztes Wochenende wurde in Genf möglicherweise der Weg zu einem historischen Wechsel im Mittleren Osten geebnet. Das Abkommen, oder genauer gesagt das Zwischenabkommen welches zwischen dem Iran und den Ländern des P5+1 (USA, Russland, Grossbritannien, Frankreich, China und Deutschland) unterzeichnet wurde, ist an sich bereits ein äusserst bemerkenswerter Erfolg gewesen.
Der spektakuläre Pfusch der Franzosen der vor zwei Wochen noch den Abschluss zum Scheitern brachte und die Amerikaner kalt erwischte ist Vergangenheit, ebenso ist der nicht weniger spektakuläre Empfang des französischen Präsidenten kurz daraufhin in Israel Vergangenheit. Von den ganzen Drohungen und Schreckenszenarien aus Saudi Arabien und Israel abgesehen, reagierte die Welt sehr positiv und erleichtert auf dieses Abkommen. Es gibt nun solche Menschen die behaupten, dass dieses plötzliche Einlenken Irans nur deshalb zustande kam, weil der Westen solche drakonische und illegale Sanktionen verhing, dass die Machthaber in Teheran gar nicht anders konnten als diesem Druck nachzugeben.
Diese Aussage stimmt soweit nur zu einem kleinen Teil! Diese Sanktionen wurden erst vor kurzer Zeit verhängt. Der Iran hat aber den USA bereits vor 10 Jahren ein umfassendes Angebot zur Stilllegung des Atomprogramms angeboten, als es noch keine Zentrifugen der neuesten Generation besass und als es noch kein Milligramm von angereichertem Uran besass, geschweige denn die nun als problematisch eingestuften Anlagen von Arak oder auch Qom. Aber die Administration von George W. Bush wollte zu diesem Zeitpunkt nichts davon hören. Die Neokonservative Clique um Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Richard Perle, Paul Wolfowitz und einigen anderen (ja, George W. Bush war diesen Herren nur Mittel zum Zweck) war in dieser Zeit so sehr von der eigenen Macht überzeugt, dass sie tatsächlich der Meinung waren sie könnten mit dem US-Militär die Welt verändern. Und das haben sie auch. Nur eben nicht so wie sie sich das vorgestellt haben...  Da gab es keinen Platz für eine diplomatische Lösung mit dem Iran. Man war viel mehr auf einen Regimewechsel im Iran und Syrien aus, und der Irak sollte dabei nur der erste Dominostein sein der zum Fallen gebracht werden sollte, als man sich entschloss die lang gehegten Träume zur Beseitigung von Saddam Hussein auch in die Tat umzusetzen.

Nach 10 äusserst blutigen Jahren im Mittleren Osten die durch direkte oder indirekte US-Interventionen vergangen sind, mussten allein im Irak und Syrien bisher über eine halbe Million Menschen ihr Leben lassen bis man in den wichtigsten Kapitalen der Welt verstanden hat, dass die Büchse der Pandora die man mit der US-Invasion im Irak geöffnet hat, nämlich die Entfachung eines religiösen Bruderkrieges im Islam zwischen Sunniten (bzw. mehrheitlich Wahhabiten oder vom Wahhabismus inspirierte Schulen der Sunna) und Schiiten, jegliche Übereinkunft in dieser Region von vornherein zum Scheitern verurteilt ist solange es keine politische Übereinkunft mit dem Iran gibt.
Dieses politische Vakuum versuchten insbesondere Saudi Arabien und Israel in der Region zu füllen, das ging auch so lange gut so lange ihre Interessen und die Interessen der USA sich auf einer Linie befanden. Noch im Sommer dieses Jahres hätte niemand darauf gewettet, dass sich an dieser Linie etwas ändern könnte. Aber es kam so wie es früher oder später kommen musste. Ausgerechnet in Syrien zeigte sich dieses politische Vakuum von der hässlichsten Seite, wo die extremistischen vom Wahhabismus inspirierte Strömungen sich offen im Tageslicht präsentierten und ein anderes Bild übermittelten, als jenes welches von den US- und europäischen Medien porträtiert wurde. Hier wurde plötzlich für jedermann klar ersichtlich, wen die eigenen Regierungen da überhaupt offen unterstützten und für welche Ziele diese Gruppierungen einstehen.
Auf der Gegenseite stand eine syrische Regierung, die immer mehr Rückhalt in der eigenen Bevölkerung zurück erlangte, so dass sich vor der gesamten Weltöffentlichkeit eine paradoxe Situation entfaltete. Die vom Westen, Türkei, Saudi Arabien und Qatar unterstützten "Rebellen", welche ja nach dem Skript folgend eine vom syrischen Volk getragene Revolution gegen Präsident Bashir al-Assad militärisch ausführten, entpuppten sich vor unseren Augen als ausländische Extremisten der übelsten Sorte. Natürlich gab und gibt es auch tatsächliche syrische Rebellen die für das einstehen was in unseren Medien propagiert wird: aber sie sind in der absoluten Minderheit! Der Grossteil besteht aus wahhabitischen Extremisten denen es in keinster Weise um das syrische Volk geht, sondern einzig und allein an der Errichtung eines Islamischen Kalifats (welches sie ja auch bereits ausgerufen haben ) und an der Vernichtung der Schiiten in Syrien. Wie schon mehrfach und immer wieder erwähnt, betrachtet der Wahhabismus  - Staatsreligion in Saudi Arabien - die Schiiten als Gottesabkehrer oder als takfiri die es nicht verdient haben zu leben

Obwohl sich die Mehrheit des syrischen Volkes angesichts dieses offenen, vom Ausland geschürten und organisierten Kampfes gegen sie selbst hinter Assad stellt, weil er und das syrische Militär die einzigen sind (und ja, mit Unterstützung vom Iran, Russland und Hezballah) die ihnen Schutz vor diesen marodierenden Banden bieten können, mussten sie hilflos mitansehen wie die grossen Demokratien USA, Frankreich und Grossbritannien aktiv auf der Seite genau dieser "Rebellen" standen.
Diese Situation wurde aber schliesslich zum Stolperstein für die Regierungen in London, Washington und auch in Paris. Denn immer klarer wurde es, dass sie einen Krieg unterstützen den sie nicht wirklich verstanden haben und sie immer mehr als Instrument von Saudi Arabien (und auch Israel) eingesetzt wurden, um ihre Ziele und Visionen zu erfüllen die aber immer weniger mit denen des Westens in Einklang zu bringen waren. Natürlich wollten die USA schon seit Jahren den lästigen und bockigen Assad loswerden, weil er sich schlicht weigerte seine Allianz mit dem Iran aufzugeben und auch hinblicklich Israel ein politisches Problem darstellte. Natürlich hofften die USA, mit dem Sturz von Assad würden sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen:
- der iranische Einfluss auf Hezballah im Libanon wäre damit gebrochen
- Hezballah würde keine Gefahr für Israels Freedom of Action im Libanon mehr darstellen
- Iran stünde dann gänzlich isoliert dar und der Weg zum Regimewechsel in Teheran wäre frei
- Installation eines dem Westen genehmen Regimes im Iran wie zu Zeiten des Shah`s

Obwohl diese Ziele absolut im Einklang mit jenen von Saudi Arabien und Israel standen, gab es doch eine andere Dimension die absolut diametral zu jenen des Westens stand: der sektiererische Aspekt, d.h. der religiöse Kampf zwischen Wahhabiten und Schiiten. Für Israel spielte dieser Aspekt im Grunde so gut wie gar keine Rolle. Solange die schiitische Hezballah im Libanon neutralisiert wird, der syrische Staat in Bantustans verfällt à la Südafrika oder auch die Zersetzung Palästinas mit israelischen Siedlungen, solange wird selbst von wahhabitisch kontrolliertem Gebiet keine Gefahr ausgehen. Dafür ist die israelische Armee einfach viel zu stark. Wenn auch nur das kleinste Anzeichen eines gegen Israel gerichteten Kampfes aus diesem wahhabitischen "Kanton" oder Gebiet bestünde, würde Israel diesen Gegner zurück in die Steinzeit bomben, und das noch mit internationaler Billigung. Aus dieser Gleichung heraus spielte es für Israel also keine Rolle wer am Schluss die Macht in Syrien übernimmt, so lange der Staat wie er seit dem Zeiten Weltkrieg existierte nicht mehr vorhanden ist.

In Grossbritannien hingegen begann sich die Bevölkerung gegen die Teilnahme der eigenen Regierung an dieser Tragödie zu wehren, so dass sich London`s Premierminister bei einer Abstimmung für einen britischen Einsatz an der Seite der USA gegen Syrien ein blaues Auge holte. Auch in den USA zeigte sich ein ähnliches Bild als Präsident Obama zurückruderte und den Kongress um "Erlaubnis" bitten wollte. Aber das amerikanische Volk hatte genauso wenig Lust an einem weiteren Krieg, bei dem US-Soldaten früher oder später ihr Leben lassen müssten für etwas, was man nicht verstand und was nicht im Interesse der Vereinigten Staaten lag.

Man verstand im Weissen Haus, dass man nicht länger blind auf einen Prozess setzen konnte, der seinen Anfang im Jahr 2007 unter der Regierung von George W. Bush nahm. Unter dem enormen Einfluss der Neokonservativen Ideologen wie Dick Cheney, Alliott Abrams & Co. sowie dem langjährigen saudischen Botschafter in den USA und heutigen Geheimdienstchef von Saudi Arabien, Bandar bin Sultan, entwickelte man die Idee dass Saudi Arabien trotz sämtlicher negativen Indikationen ins US-Israelische Lager geholt wird, um gemeinsam gegen Syrien und Iran vorzugehen.
Dieser Plan ist gescheitert. Dieser Plan musste scheitern nachdem die USA selbst durch ihren illegalen Krieg und Invasion in den Irak erst die Möglichkeit geschaffen hat, dass Iran sein Einflussgebiet massiv in das arabische Herzland ausbaut. Im Irak gibt es eine absolute schiitische Mehrheit, in Syrien eine schiitische Minderheit dessen Ableger auch (noch) an der Macht ist, und im Libanon stellen die Schiiten mittlerweile ebenfalls die Mehrheit dar. Nebst diesen Ländern gibt es noch in Bahrain eine schiitische Mehrheit die brutal vom herrschenden Königshaus unterdrückt wird. Das alles bereitete Saudi Arabien mächtige Kopfschmerzen, dazu kam dann noch die Revolution in Ägypten die die Muslimbruderschaft an die Macht brachte, einen ideologischen Todfeind für das saudische Selbstverständnis.
Nachdem es immer offenkundiger Wurde dass in Syrien die historische Entscheidung gefällt wird in welche Richtung sich der gesamte Mittlere Osten bewegen wird, habe ich bereits am 11.09.13 mit dem Bericht "Iran als Joker für Frieden" versucht darzustellen, dass es Anzeichen dafür gibt dass das Pendel so langsam aber sicher in die andere Richtung schlagen wird. Und genau diese Richtung wurde nun auch letztes Wochenende mit dem Übergangsabkommen in Genf besiegelt.

Man hat in Washington erkannt, dass man den Iran nicht mehr in eine untergeordnete Rolle zurückdrängen kann ohne militärische Massnahmen ergreifen zu müssen. Die Verbündeten von 2007 sind längst nicht mehr so fest im Sattel wie noch vor 6 Jahren. Im Gegenteil, es gibt immer mehr Anzeichen dass Saudi Arabien bzw. das Haus Al-Saud schmerzhafte Veränderungen durchführen muss, um die immer unruhigere Bevölkerung auf Dauer unter Kontrolle halten zu können. Qatar hat man bereits in seine Schranken verwiesen. Die Herrscher der grössten arabischen Länder (Ägypten und Saudi Arabien) müsser jederzeit damit rechnen, dass sie das Volk durch einen Aufstand davonjagt. Und selbst die Türkei hat in den letzten Monaten die anti-iranische Rhetorik zum völligen Stillstand gebracht und sucht stattdessen wieder die Annäherung an Teheran. Das ist nicht gerade die ideale Ausgangssituation um einen schädlichen Krieg im Dunkeln gegen den Iran zu führen.
Die einzige - und nebenbei bemerkt auch die einzig richtige Möglichkeit, ist es also nach über 30 Jahren einen Weg zu finden, den Iran wieder in die Internationale Gemeinschaft aufzunehmen. Diese Islamische Republik hat bewiesen, dass sie vom iranischen Volk getragen, gestützt und wenn nötig auch verteidigt wird.

Busenfreunde werden Teheran und Washington vermutlich nie werden, das müssen sie aber auch nicht. Ein Iran zurück in der Weltgemeinschaft lässt für viele Länder die momentan unter einer Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit leiden, enormes Potential zu und nicht zuletzt auch für das iranische Volk selbst. Der destruktive Kampf der von Saudi Arabien entfacht und geschürt wurde, wird zu einem Ende kommen müssen wenn das Haus Al-Saud auch weiterhin unter dem Protektorat der USA stehen will. Das bedeutet nicht dass die wahhabitischen Extremisten aus Syrien einfach abziehen werden, über diese Kontrolle verfügt Saudi Arabien nicht. Aber wenn der Geldhahn und die Waffenlieferungen zugedreht werden, werden auch die extremsten Jihadisten merken dass ihr Kampf auf verlorenem Posten steht. Die Frage wird dann natürlich sein, was Saudi Arabien dann machen wird da diese Extremisten naturgemäss Riad des Verrats bezichtigen wird. Aber das wird das Problem der Saudis sein, genau so wie es bereits nach der russischen Invasion von Afghanistan 1979 der Fall war (siehe Beitrag Saudi Arabien`s Geister).

Für Israel bedeutet das natürlich ein aussen- wie auch innenpolitisches Fiasko. Seit über 20 Jahren versucht Israel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Iran als Staatsfeind Nr. 1 aufzubauen, mit Nachdruck dann als die USA im Irak einmarschiert waren. Wie soll Netanyahu seinem Volk plötzlich erklären, dass Iran nun doch keine Gefahr für sie darstellt wenn er doch schon seit Jahren von dieser Idee besessen ist und in den Dörfern und Städten Israels Ängste schürt. Es ist klar dass er alles versuchen wird diesen unvermeidlichen Kurs zu torpedieren, genau so wie es auch Saudi Arabien tun wird. Und dennoch gibt es aus einer eher unvermuteten Ecke Israel`s Unterstützung für den eingeschlagenen Kurs der USA, nämlich aus dem Militärischen Komplex. Dort ist man sich im Klaren dass ein kontrolliertes Atomprogramm im Iran weit aus besser ist als ein unkontrolliertes, und immerhin ist es dem Militär zu verdanken dass Israel letztes Jahr nicht die gesamte Region in den Abgrund gerissen hat.

Der gesamte Mittlere Osten könnte sich gänzlich anders entwickeln als man sich das noch in diesem Sommer jemals hätte vorstellen können. Viel wird davon abhängen ob Obama seine Hardliner im Kongress in den Griff bekommt, genauso wie es Rohani im Iran gelingen muss. Ich würde es mir für die Menschen aber auf jeden Fall wünschen dass der eingeschlagene Kurs nur der Anfang war.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen