Donnerstag, 24. April 2014

"Versöhnung" der Palästinenser

Wie schnell kann es doch gehen. Was seit Jahren nicht geglückt ist und für die Menschen im Gaza-Streifen und der West Bank, jenen Gebieten also die einen Staat Palästina bilden sollen, katastrophale Folgen hatte, wurde in kürzerster Zeit erreicht. Die Rede ist von der "Versöhnung" zwischen der Hamas und der Fatah, den beiden gewählten politischen Fraktionen in den entsprechenden Gebieten. Seit dem Jahr 2006, und insbesondere seit dem Sommer 2007, als die Hamas die Wahlen im Gaza-Streifen klar und deutlich gewonnen hat und anschliessend von der Fatah (mit Unterstützung der USA) mit Waffengewalt gestürzt werden sollte, nachdem das demokratische Ergebnis der Wahl nicht nach Wunsch ausfiel, herrschte Eiszeit und zuweilen auch offene Feindschaft zwischen Hamas und Fatah.

Die "Friedensgespräche" die ab diesem Bruch der palästinensischen Fraktionen geführt wurden, dienten in Wahrheit nur Israel um immer weitere Siedlungen zu bauen. Wie hätte denn ein "Frieden" mit den Palästinenser aussehen sollen, wenn man nur mit Zweidrittel der Palästinenser Frieden geschlossen hätte (2.5 Millionen Palästinenser in der West Bank, 1.7 Millionen im Gaza-Streifen)?
Diesen Umstand führte ausgerechnet der rechtsradikale Aussenminister Avigdor Liberman immer wieder an, um den "Friedensprozess" zu attackieren oder erst gar nicht wieder in Angriff zu nehmen. Zurecht wies er darauf hin, dass Mahmoud Abbas als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nicht das gesamte palästinensische Volk repräsentiert und was dann seine Unterschrift unter einem Friedensvertrag überhaupt für einen Wert hätte.
Das aber ist ein äusserst zynischer Standpunkt wie sich zeigen sollte.

Denn Avigdor Liberman war nun einer der Ersten der den "Versöhnungspakt" zwischen Hamas und Fatah scharf verurteilte, weil dieser den "Friedensprozess" endgültig zerstören würde nachdem Israel sich nicht mit "Terroristen" an einen Tisch setzen würde. Das ist Zynismus in Perfektion!
Erst kritisiert er zurecht, aber aus ganz anderer Motivation, dass Mahmoud Abbas nicht das ganze palästinensische Volk repräsentiert und daher kein Friedensvertrag möglich ist, und nachdem nun dieser Versöhnungspakt unterzeichnet wurde und eine gemeinsame Regierung gebildet werden soll, kritisiert er eben jenen Zusammenschluss den er vorher noch vermisst hat?
Damit nicht genug, auch die israelische Behauptung dass man sich nicht mit der Hamas an einen Tisch setzen werde weil diese eine Terrororganisation darstellt, ist nicht weniger zynisch. Mit wem sonst hat denn Israel seit Amtsantritt von Binyamin Netanyahu mindestens zwei Abkommen ausgehandelt und unterzeichnet? Natürlich mit der Hamas! Einmal im Jahr 2011 was dann zur Freilassung des IDF-Soldaten Gilad Shavit führte, und dann nach dem brutalen Luftkrieg vom November 2012 (siehe Berichte hier und hier) zur Unterzeichnung des Waffenstillstandabkommens. Und was man auch nicht vergessen darf: der Gaza-Streifen befand sich 38 Jahre unter israelischem Besatzungsregime (von 1967 bis 2005) und nachdem Hamas von den Palästinensern in die Regierung von Gaza gewählt wurde, wurden diese anschliessend von Israel zum Souverän über den Gaza-Streifen anerkannt. Diese Anerkennung wurde Mahmoud Abbas in der West Bank zum Vergleich nicht erteilt, soviel also zur israelischen Behauptung "man verhandelt nicht mit Hamas".

Der israelische Ministerpräsident Binyamin Netanyahu zeigte sich ebenfalls von seiner zynischen Seite, als er seinem Gast, dem österreichischen Aussenminister Sebastian Kurz, sagte: "Sie kommen zu einem wichtigen Zeitpunkt. Wir versuchen die Verhandlungen mit den Palästinensern wieder aufzunehmen. Jedesmal wenn wir zu diesem Punkt kommen, verlangt Abu Mazen (Mahmoud Abbas) zusätzliche Bedingungen von denen er weiss, dass sie Israel nicht erfüllen kann. Und anstatt dem Frieden mit Israel näher zu kommen, schliesst er Frieden mit Hamas. Und er muss wählen. Will er Frieden mit Hamas oder Frieden mit Israel? Man kann den einen haben, aber nicht den anderen. Ich hoffe er wählt den Frieden, bis jetzt hat er das nicht getan."
Selbstverständlich hat Netanyahu gegenüber dem jungen Österreicher nicht erwähnt, dass die "Friedensverhandlungen" nicht aufgrund von immer neuen Bedingungen von Abbas gescheitert sind, sondern weil Israel sich nicht an Abmachungen gehalten hat und stattdessen mit neuen Ausschreibungen für Siedlungseinheiten und massivem Landklau diese zum Fall gebracht hat.

Derweil erklärte Mahmoud Abbas seinen Anhängern, dass dieser Schritt der Versöhnung dem ganzen palästinensischen Volk zugute kommt, weil dadurch die "Einheit des Landes und des Volkes" gewahrt wird (genau das was Israel nach dem römischen Prinzip von "Teile und Herrsche" nicht möchte) und somit das Streben nach einem unabhängigen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt verstärkt wird. So ähnlich äusserte sich auch der Ministerpräsident im Gaza-Streifen Ismail Haniyyah, der von einer "gemeinsamen Vision und dem ehrlichen Willen zur Aussöhnung" sprach. Eine für meinen Geschmack realistischere Erklärung gab Dr. Mousa Abu Marzouk ab: "Wenn wir Gefangene unserer Feinde bleiben, werden wir keine Einigung im Interesse unseres Volkes erzielen können, weil unsere Interessen nicht mit den Interessen unseres Feindes korrespondieren."
Nun gibt es Kritiker die darauf hinweisen, dass es in der Vergangenheit immer wieder solche Pläne der Versöhnung und einer Einheitsregierung zwischen den beiden Fraktionen gab, aber allesamt am Machthunger sowohl von Abbas als auch Haniyyah scheiterten. Diese Tatsache ist auch zu 100% korrekt. Allerdings haben sich die Umstände seit diesen letzten Versuchen deutlich geändert und beide Parteien brauchen genau jetzt diesen Weg. Warum? Hier einige Gründe:

- Hamas steht seit dem Militärputsch in Ägypten und dem Sturz von Präsident Muhammad Mursi isoliert wie noch nie zuvor da. Internationale Geldgeber wie Saudi Arabien sind weggefallen, nachdem sich die Hamas zu sehr auf die Muslimbruderschaft in Ägypten gestützt hat und Riad die Muslimbrüder als Terrororganisation deklariert hat; Qatar hilft zwar, aber mit Unterstützung der Israelis indem sich Doha verpflichtet hat, die Güter die nach Gaza transportiert werden auch in Israel zu kaufen; Iran hat die Gelder gestrichen nachdem sich Hamas öffentlich gegen den syrischen Präsidenten Assad gestellt hat.
- Aufgrunddessen dass Ägypten`s Militärjunta eine gnadenlose Politik gegen die Hamas betreibt, wurde ein Grossteil der Tunnels nach Ägypten zerstört was bis anhin wenigsten einen Teil des Bedarfs an verschiedensten Güter der Menschen im Gaza-Streifen decken konnte. Dazu kam noch die Überschwemmung im Winter, die für grosses Leid und Verunreinigungen sorgte.
- Die Palästinenser im Gaza-Streifen wollen eine Änderung der Situation, daher ist die Hamas gefordert etwas dagegen zu unternehmen
- Mahmoud Abbas hingegen sieht sich mit einem gescheiterten "Friedensprozess" konfrontiert. Jeder weitere Schritt, ganz egal in welche Richtung, kann nur gemeinsam mit dem Gaza-Streifen durchgeführt werden. Die Scharade um den "Friedensprozess" kann er ansonsten nicht mehr länger aufrecht erhalten, da das Volk in der West Bank angesichts der immer weiteren Siedlungen und Landraubs ihn nicht mehr länger tolerieren würde.
- Sollten die beiden Fraktionen es tatsächlich schaffen am gemeinsamen Strang zu ziehen, wird es für Israel noch schwieriger werden dieses Katz und Maus Spiel vor der Weltgemeinschaft rechtzufertigen. Durch eine gemeinsame Regierung unter dem Dach der Palästinensischen Autonomiebehörde, werden Mechanismen wie beispielsweise die Grenzunterstützungsmission (EUBAM) der Europäischen Union am Grenzübergang Rafah wieder in Gang gesetzt, die seit der einseitigen Regierungsausübung der Hamas in Gaza ruhte.
- Sollte die PLO tatsächlich mit der Drohung Ernst machen, die Palästinensische Autonomiebehörde aufzulösen und den "Schlüssel der PA wieder an Israel zu übergeben", hätte das natürlich auch Auswirkungen auf die Hamas im Gazastreifen. Deshalb kann diese Entscheidung nur zusammen mit der Hamas getroffen werden. Dieser Schritt würde allerdings bedeuten, dass die Zwei-Staaten-Lösung und somit der ohnehin nur noch auf dem Papier existierende Geist von Oslo (das Oslo-Abkommen welches die Schaffung der PA vorsah, um den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu ebnen) der Vergangenheit angehört. Diese Einheitsregierung von Hamas und Fatah, sollte sie tatsächlich zustande kommen, ist DIE Chance für Israel das Ruder nochmal herumzureissen um den zionistischen Traum nicht begraben zu müssen. Barak Ravid von der Tageszeitung Haaretz hat diesbezüglich einen hervorragenden Artikel mit dem Titel "Palästinensische Versöhnung ist eine Chance für Israel" geschrieben, der sich genau um diese Frage dreht: will Netanyahu wirklich einen Frieden oder nicht? Wenn es nach dem Willen von Finanzminister Yair Lapid ginge, dem Mann der bei uns als moderater Politstar nebst den rechtsgerichteten Ministern wie Netanyahu, Liberman, Ariel, Bennet & Co. gefeiert wurde, dann müsste "Gott die Palästinenser wegbringen, irgendwohin, Hauptsache weg".

In den USA wurde diese "Versöhnung" mit grosser Skepsis und Argwohn aufgenommen. Die Sprecherin des Ausseministeriums meinte, dass das Timing von diesem Schritt "besorgniserregend und sicherlich enttäuschend" war, und dass es womöglich den "Friedensprozess" ernsthaft gefährden könnte. Im Kongress wetzten die zionistischen Unterstützer (ich wiederhole es immer wieder, es kann keine Rede von einer pro-Israel Lobby sein, wenn die Aktionen der Lobby nicht zum Wohle der israelischen Bevölkerung geschehen sondern dem Besatzungsregime gewidmet sind) bereits die Messer und drohten mit der Suspendierung von Hilfszahlungen an die PA. Die gleiche Drohung ging schon ein paar Tage vorher an die PA raus, als Mahmoud Abbas laut über die Auflösung der Autonomiebehörde nachdachte um die Verantwortung des Besatzungsregimes wieder in die Hände Israels zu übergeben. Dadurch müsste Israel als Besatzer wieder selbst für die Kosten der Besatzung aufkommen, und sich diese nicht über Hilfszahlungen aus den USA und der EU subventionieren zu lassen. Das sorgte natürlich für einige Ängste, wie zum Beispiel bei der Vorsitzenden der Partei Meretz, Zehava Galon:
"Die Auflösung der PA wird Israel dazu zwingen eine Zivilverwaltung zu schaffen um die Bevölkerung in den Territorien zu kontrollieren, die Besatzung auszuweiten, und die Tür für internationale Sanktionen für Israel öffnen, es wird Israel zu einem isolierten Vagabunden auf der Weltbühne machen."



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