Dienstag, 24. September 2013

Iran: Tage der Entscheidung

Heute beginnt die alljährliche Veranstaltung der UN-Vollversammlung in New York. Staatspräsidenten und Regierungsbeamte aus den unterschiedlichsten Ländern treffen sich alle zusammen, um ihre Meinungen und Ansprachen für die Weltöffentlichkeit kund zu tun. Für einige Länder ist die UN-Vollversammlung nahezu die einzige Möglichkeit mit westlichen Staatsführern zusammen zu kommen, da aufgrund von Spannungen, Sanktionen oder Drohungen kein diplomatischer Austausch mehr stattfindet.

Zu diesen Ländern mit eingeschränktem diplomatischen Austausch gehört auch der Iran.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben nach der Geiselnahme von US-Botschaftspersonal in Teheran die diplomatische Beziehung zum Iran 1980 abgebrochen und seitdem nie wieder aufgenommen. Um aber dennoch wenigsten normale Konsularische Aufgaben wie Visa, Reisepässe etc. aufrecht erhalten zu können, wurden diese Aufgaben der Schweiz als neutrale Schutzmacht übergeben. Das bedeutet dass die USA in Teheran durch die schweizerische Botschaft vertreten werden, während der Iran in Washington über eine Vertretung verfügt, welche allerdings der pakistanischen Botschaft angegliedert ist.

Aus diesem Grund stellt die UN-Vollversammlung eine überaus wichtige Plattform zur Interaktion dar. Psychische Barrieren können überschritten werden, Meinungen im diskreten Umfeld irgendwo auf dem Gang (und wenn es sein muss auf der Toilette) können ausgetauscht werden, Hände geschüttelt werden.
Das sind alles ganz normale Dinge des alltäglichen Lebens welche uns, den normalen Bürgern und Bürgerinnen, tagtäglich zur Verfügung stehen um mit unserem Umfeld kommunizieren zu können und potentielle Konflikte durch ganz einfache Handgriffe entschärft werden können. Immer natürlich unter der Voraussetzung dass wir das auch wollen.
Nicht anders verhält es sich bei Präsidenten, Ministern oder Beratern. Auch sie sind allesamt nur Menschen die ihren fabrizierten Vorurteilen hinterherhängen und selten bis niemals die Möglichkeit haben, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen (was die Beziehung USA - Iran betrifft). 

Aus der Sicht der Amerikaner
Die einfachen amerikanischen Staatsbürger leben seit 1979 in einer Art nostalgischen Wunschvorstellung hinblicklich des Irans. Diese Wunschvorstellung wurde hauptsächlich von Medien geprägt, welche - insbesondere seit dem Sturz des Shah`s und noch viel mehr seit der Besatzung der US-Botschaft in Teheran im gleichen Jahr - Tag für Tag dem amerikanischen Volk am Abend zur allerbesten Fernsehzeit eingetrichtert wurde.  
Die Iraner wurden als fanatische Extremisten jeglicher Ausrichtung porträtiert und als amerikanischer Staatsfeind eingestuft. Diese Sichtweise verstärkte sich noch viel mehr durch die Ankunft von iranischen Exilanten, die zu diesem Zeitpunkt grösstenteils Unterstützer der Pahlavi Dynastie waren und somit entscheidend dazu beitrugen, dass keine andere Sichtweise des Irans sich in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickeln konnte. Die politische Elite der USA war einzig und allein auf den Shah fixiert und erkannte deshalb auch nicht die Gefahr der Revolutionsstimmung die sich im iranischen Volk ausbreitete. Auch die wirtschaftliche Elite Amerikas profitierte enorm während der Zeit des Shah`s, insbesondere der Militärisch-Industrielle-Komplex.
Nicht zu vergessen der amerikanische Geheimdienst, der im Iran hochmoderne Abhöhranlagen aufbaute um die Sowjetunion besser ausspionieren zu können.
Das alles wurde durch die Revolution 1979 wie durch einen Tsunami hinweggespült und sorgte für massive Sorgesfalten in den USA.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre wuchs natürlich die heutige politische Führung der militärischen Supermacht USA auf. Aufgrund von nicht vorhandenem diplomatischen Austausch konnte sich über 34 lange Jahre lang ein Feindbild etablieren, welches fast an Abscheu grenzt. Und diese Jahre nutzte Israel äusserst klever für sich aus, um aus dem Iran eine empfundene Bedrohung für die ganze Welt zu machen. Diese vermeintliche Bedrohung für den Weltfrieden wurde dann auch erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion allmählich vom amerikanischem Volk als Ersatz übernommen, als Israel eine aktive Medienkampagne Mitte der 1990er Jahre gegen den Iran startete (siehe Hasbara).

Aus diesen Gründen (und natürlich noch vielen Anderen) erhalten kleinste Gesten, wie zum Beispiel ein Händedruck, das Zuhören einer Rede oder auch nur die Absicht einer Geste der Normalisierung, einen höchst symbolischen Charakter welcher als Startschuss einer neuen Ära gedeutet werden könnte. Und genau davor haben sehr viele Menschen Angst.


Aus der Sicht der Iraner
Die Iraner hatten bis zum verhängnisvollen Sturz von Ministerpräsident Mohammad Mossadegh 1953 durch die CIA ein prinzipiell positives Bild der USA. Keineswegs wurden die Werte oder die westliche Kultur angeprangert wie es heute noch immer in verschiedensten neokonservativen Kreisen gepredigt wird. Manche Iraner träumten sogar von diesem American Way of Life den sie im Fernsehen sahen, sofern natürlich überhaupt ein Fernsehgerät zur Verfügung stand.
Doch der Sturz von Ministerpräsident Mossadegh traf die Iraner bis ins Mark. Noch heute kann Ihnen nahezu jeder Iraner und Iranerin diese unrühmliche Tat der USA nacherzählen, so als ob es erst Gestern geschehen wäre.
Der Grund weshalb es die Iraner so sehr getroffen hat liegt in der Wahrnehmung der Rolle der Amerikaner in dieser Zeit. Die USA wurden als eine stabilisierende Macht empfunden, eine neutrale und potentielle Grossmacht die es mit den traditionellen Feinden des Irans (Grossbritannien und Russland) aufnehmen konnte und man hoffte, dass die USA sich im Wirtschaftskrieg gegen das britische Empire aufgrund der Verstaatlichung des Erdölgeschäfts sich auf die Seite der Iraner schlagen würden. Stattdessen aber zeigte sich der vermeintliche Partner von der hässlichsten Seite. Für ein so stolzes Volk wie die Iraner war das mehr als nur ein Schlag ins Gesicht, es war ein Verrat an der Würde und am Glauben an eine von den USA angeführte, gerechtere Welt.

Als aufgrund dieses CIA-Coups die Macht von Mohammad Reza Pahlavi auf Kosten des iranischen Parlaments weiter zunahm, wurde das Volk immer unruhiger. Mit Unterstützung des israelischen Mossad und der CIA wurde der Inlandsgeheimdienst SAVAK gegründet, dessen Aufgabe es war jegliche Opposition oder Unruhen im Iran im Keim zu ersticken. Die USA drängten unterdessen nach einer Wirtschaftsreform, während der Militärisch-Industrielle-Komplex gleichzeitig das Land durch Milliardenverkäufe an High-Tech Kriegsgerät ausbluten liess. Dazu kam, dass die immer grösser werdende Anzahl von Amerikaner auf iranischem Boden mit der Zeit Probleme bereitete. Diese Amerikaner wurden in den Iran entsandt um die verschiedensten Projekte zu überwachen, einzuführen oder einfach nur den Iranern beizubringen. Sie wurden aber nie für ihren Aufenthalt in einem muslimisch geprägten Land vorbereitet, so dass ihre mit ihrer Zahl wachsendende Rüpelhaftigkeit für immense Verstimmung bei den Iranern sorgte. Todesfälle durch rücksichtsloses Fahren der Amerikaner standen bald an der Tagesordnung, was insbesondere in den traditionell-konservativen Familien der Opfer den Ruf nach Vergeltung laut machte. Das Fass zum Überlaufen brachte schliesslich die vom Shah 1964 unterzeichnete Immunität für sämtliche US-Bürger im Iran, die den Amerikanern absolute Straffreiheit garantierte.

Das immer brutalere Vorgehen des SAVAK gegen jegliche Form von öffentlicher Meinungsverschiedenheit zur Politik des Shah`s, und der nun für jedermann klar ersichtlichen totalen Unterstützung der USA für den Shah, machte aus dem ehemaligen positiven Bild der Iraner gegenüber den Vereinigten Staaten eine komplette Kehrtwende. Es entstand ein Feindbild gegenüber den Amerikanern, welches mit Horrorbilder aus dem US-geführten Vietnam Krieg nur weiter verfestigt wurde.
Als dann noch Richard Helms den fliegenden Wechsel vom Posten des CIA-Chefs zum US-Botschafter 1973 im Iran machte, dachte jedermann dass angesichts der noch äusserst präsenten Wunde von 1953 (dem CIA Coup gegen Mossadegh) das Land durch die CIA besetzt wurde. Zumal ja die Landesvertretung der CIA tatsächlich in der US-Botschaft in Teheran angesiedelt war.
Für die allermeisten Iraner war damit endgültig klar, dass die USA nichts Gutes mit ihrem Land im Schilde führen.

 Was die Wahrnehmung der USA und Israel im Iran angeht, darf man die israelische Unterdrückung des palästinensischen Volkes nicht ausser Acht lassen, das gilt im Übrigen für die gesamte muslimische Welt. Obwohl die Palästinenser Sunniten sind und die Iraner Schiiten, betrachteten sie diese Unterdrückung als einen von den USA erlaubten Missbrauch der israelischen totalen Überlegenheit gegenüber einer wehrlosen Bevölkerung, was für den normalen Iraner einem Gleichnis seiner eigenen Rolle im Iran gleichkam.
Aus dieser Perspektive stammt die Bezeichnung für die USA als "Grosser Satan" und für Israel als "Kleiner Satan".

Diese gestörte Wahrnehmung der Iraner, aber auch die nicht weniger gestörte Wahrnehmung des politischen Rückhalts des Shah`s im Iran durch die Amerikaner, führte schliesslich zu der Besatzung der US-Botschaft in Teheran am 4. November 1979.
Die Iraner waren der Überzeugung, dass die USA wieder einen Coup gegen den durch die Revolution an die Macht gekommenen Ayatollah Ruhollah Chomeini durchführen wollen. Den Grund für diese Überzeugung lieferten die Amerikaner selbst. Obwohl auf ausdrücklichen Rat der US-Botschaft in Teheran die Aufnahme des gestürzten und schwerkranken Shah`s in die USA verzichtet werden sollte, weil man genau wusste was das für ein Zeichen für die Iraner sein würde, drängten mächtige Freunde des Shah`s, wie zum Beispiel ex-Präsident Richard Nixon, Henry Kissinger, Senator Jacov Javits und vor allem David Rockefeller, über Monate hinweg Präsident Jimmy Carter dazu den kranken Shah in die USA aufzunehmen. Am 22. Oktober 1979 landete schliesslich ein Flugzeug mit Mohammad Reza Pahlavi an Bord in New York.

Ein Blick nach vorne
Die Entwicklung seit Ende 1979 bis zum heutigen Tag, die gegenseitige "Verteufelung" in den Medien beider Länder, führte dazu dass sich beide Völker mit grosser Skepsis betrachtet. Diese Entwicklung führt unter anderem auch dazu, dass wir heute diesen Machtkampf im Mittleren Osten zwischen Saudi Arabien gegen den Iran auf einer Seite haben, sowie Israel gegen den Iran auf der anderen Seite und Mittendrin immer die USA.
Eine politische Annäherung zwischen Washington und Teheran würde nicht umgehend sämtliche Probleme im Mittleren Osten beseitigen, es würde aber das Machtvakuum erheblich verkleinern wo sich nun Regionalmächte wie Israel, Saudi Arabien, Qatar, Türkei und Iran um die Vorherrschaft bekriegen. Ein Anfang wäre mit einer politischen Lösung für den Krieg in Syrien gemacht, wo es keine Lösung ohne den Iran geben kann. Das hat auch der französische Präsident Hollande erkannt und möchte mit dem iranischen Präsidenten Ruhani in New York darüber sprechen.
Selten gab es in den vergangenen 34 Jahren eine so gute Möglichkeit eine Annäherung zwischen den USA und dem Iran zu erreichen. Im Weissen Haus sitzt Präsident Obama der keine Lust hat grosse Kriege zu führen. Ausserdem sind dem amerikanischen Adler massiv die finanziellen Flügel gestützt, eine Staatspleite steht wieder mal kurz davor.
In Teheran sitzt mit Präsident Ruhani ein anderes Team an der Macht, ein Team welches bisher auch die Unterstützung des Obersten Revolutionsführers Ali Chamenei geniesst um eine Annäherung an die USA suchen zu können, ein Team das eine regelrechte Charmoffensive in den letzten Tagen gestartet hat um die Welt und insbesondere die Amerikaner davon zu überzeugen, dass eine Annäherung mit dem Iran willkommen und erwünscht ist.
So zynisch das auch angesichts von über einhunderttausend Todesopfern in Syrien klingen mag: Syrien könnte der kleinste gemeinsame Nenner im Aufbau einer bilateralen Beziehung zwischen Washington und Teheran sein, was enorme Auswirkungen auf eine gesamte Region haben wird wenn beide Seiten hart an diesem Ziel arbeiten.
Der vorsichtige und verhaltene Optimismus in US-Medien scheint anzudeuten, dass tatsächlich ein historischer Meilenstein in diesen Tagen während der UN-Vollversammlung gelegt werden könnte.

Es ist an der Zeit, dass Präsident Obama seinem Friedensnobelpreis alle Ehre macht.



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