Montag, 16. September 2013

Sehr interessantes Interview mit iranischem Aussenminister

Der neue iranische Aussenminister Dr. Mohammad Javad Zarif gab letzten Mittwoch ein äusserst interessantes (und auch wichtiges!) Interview mit dem iranisch-englischsprachigen Fernsehsender Press TV.
Ich habe das Interview aus dem Englischen übersetzt weil ich es als sehr wichtig empfinde was der iranische Aussenminister im Hinblick der aktuellen Krise in Syrien sowie über die bevorstehenden Atomgespräche zu sagen hatte. Dieses Interview wurde und wird leider vermutlich auch nicht weiter in den westlichen Medien gezeigt werden. Nicht etwa weil es ein "anti-USA" oder "anti-sonstwas" Interview war welches als "Hetzrede" hätte gebrandmarkt werden, sondern weil es genau das Gegenteil dessen war: eine äusserst balancierte und realistische Sichtweise der Dinge.

Hier also die deutsche Fassung des Interviews mit Dr. Mohammad Javad Zarif mit den wichtigsten Inhalten. Das ganze restliche Interview kann hier angesehen werden (auf Englisch):

Zarif: "Vielen Dank das Sie mir diese Gelegenheit gegeben haben. Ich denke eine gewisse Anzahl von Gruppierungen und Leuten innerhalb der Vereinigten Staaten, und welche mit (solchen) Interessen ausserhalb der Vereinigten Staaten, wollten dem Präsidenten der USA - von dem ich denke dass er nur widerwillig einen Krieg gestartet hätte - eine Falle stellen, eine Falle welche er unglücklicherweise sich selbst gelegt hatte, und das war sich in einen Krieg zu verwickeln welcher sich mit der hypothetischen Frage des Einsatzes von chemischen Waffen durch die Regierung von Syrien befasst hätte. Ich sage hypothetische Frage weil es keine und nach wie vor noch immer keine Beweise gibt, welche belegen könnten dass der Einsatz von chemischen Waffen durch die Regierung begangen wurde. Lassen Sie mich sagen dass Iran, als Opfer von chemischen Waffen, jeglichen Einsatz von Chemiewaffen verurteilt, unabhängig davon wer Opfer und wer Täter ist, denn wir glauben dass niemand das Recht hat das Gesetz in die eigene Hände zu nehmen, das heisst die Vereinigten Staaten haben keinen gesetzlichen Anspruch gleichzeitig als der Ankläger, Richter und leider auch als der Henker im Umgang mit diesen Thema zu handeln, vor allem im Lichte der US-Unterstützung für ein Regime, dem von Saddam Hussein, welches chemische Waffen nicht nur gegen iranische Soldaten und Zivilisten genutzt hat, sondern auch gegen das eigene Volk in Halabja, und das sind nicht nur Vorwürfe, sondern es wurde immer wieder von Untersuchungsteams der Vereinten Nationen bewiesen. 

Jetzt haben wir ein UN-Team in Syrien welches Syrien besucht hat, und dieses Team hat noch keinen Bericht erstellt, und wenn es dann soweit ist hat es kein Mandat, leider, die Verantwortlichkeit zu klären und die Situation ist weit davon entfernt als es als eindeutig zu bezeichnen. Nun lasst uns hoffen dass mit der neuen Regelung wir mit dem Prozess beginnen können, chemische Waffen in ihrer Gesamtheit aus der Region entfernen können. Wir glauben das unsere Region genug Schwierigkeiten hat, sich in genügendem Aufruhr befindet um nicht auch noch in einen Krieg mit Chemiewaffen und anderen Massenvernichtungswaffen verwickelt zu werden, und das ist auch der Grund weshalb Iran auf eine Region ohne Massenvernichtungswaffen im Mittleren Osten gedrängt hat.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt machen. Der Einsatz von Chemiewaffen ist ein Verbrechen, wir glauben das es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, wir glauben aber auch das der Einsatz von Gewalt, (und) die Androhung von Gewalt eine Straftat im Völkerrecht darstellt. Leider erscheint es mir als ob die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert leben, wo die Anwendung von Gewalt ein Vorrecht von Staaten darstellten; das ist es aber nicht. Ich glaube die Vereinigten Staaten; der Präsident der Vereinigten Staaten, der ein sehr guter Verfassungsrechtler zu sein scheint, mal einen Blick in seine Gesetzbücher werfen sollte, in seine internationalen Gesetzbücher, welche er meiner Meinung nach schon länger nicht mehr angeschaut hat, und die Tatsachen berücksichtigt, dass, wenn er gesteht, wie er es letzte Nacht vor dem amerikanischen Volk getan hat, dass es keine imminente oder direkte Bedrohung gegen die Vereinigten Staaten gibt, dass dann die Vereinigten Staaten keinen Paragraph unter allen Bestimmungen des Völkerrechts finden, welcher es erlauben würde das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen."

Press TV: "Das bringt mich zu der Frage was die Vereinigten Staaten immer wieder sagen und ich denke Sie darauf eine Bemerkung abgegeben haben als sie kürzlich im Irak waren, über das "alle Optionen sind auf dem Tisch". Bevor Sie sich dazu äussern, (möchte ich anmerken) das es eine Menge von positiven Reaktionen aus den USA aufgrund Ihrer Nominierung gab. Ich lese Ihnen mal einige Headlines vor: "Das ist jemand der die Vereinigten Staaten sehr gut kennt" und "Mit allen Frustrationen der Vergangenheit, ist es immerhin jemand den sie in Washington kennen". Man sagt dass Sie Kontakte zu Vize-Präsident Joe Biden und Verteidigungsminister Chuck Hagel haben. Glauben Sie das Ihnen die Bekanntschaft mit Leuten die Sie aus der Vergangenheit kennen und die jetzt auf solchen Positionen sind, dass das Ihnen einen Vorteil in Bezug auf die Durchführung irgendeiner Beziehung zu den USA bringt, sofern es auf Ihrer Agenda steht."

Zarif: "Zu Ihrer ersten Frage glaube ich dass die Aussage "alle Optionen sind auf dem Tisch" eine überaltete Aussage ist, weil alle Optionen (eben) NICHT auf dem Tisch sind, zumindest für die Ländern welche angeben Gesetzestreu zu sein, für Länder welche angeben der UN-Charta zu folgen, für Länder welche andere dazu drängen ihren Verpflichtungen gemäss der UN-Charta nachzukommen, dazu drängen andere bestrafen zu wollen welche (angeblich oder tatsächlich) internationale Gesetze verletzt haben, diejenigen müssen wissen dass nicht alle Optionen auf dem Tisch sind. Die Androhung oder die (tatsächliche) Anwendung von Gewalt wurde schon vor langer Zeit vom Tisch genommen, durch Länder, eingeschlossen die Vereinigten Staaten, als sie in San Francisco zusammen kamen und entschieden haben, die nachfolgenden Generationen vor der Geissel des Krieges zu beschützen, welcher (bereits) zweimal in ihrer Generation für unsagbares Leid gesorgt hat. Das führte zur angenommenen Charta der Vereinten Nationen welche unter der US-Gastfreundschaft in San Francisco 1945 zustande kam. Deshalb müssen sie verstehen, dass NICHT alle Optionen auf dem Tisch sind.

Zu Ihrer zweiten Frage, ich hatte einige Begegnungen mit Mitgliedern der gegenwärtigen Administration, in ihrer vorherigen Kapazität als Mitglieder des US-Kongresses und in meiner vorherigen Kapazität als iranischer Botschafter bei der UN. Ich denke sie wissen woher ich komme und ich weiss woher sie kommen, und deshalb denke ich dass sie widerwillig in einen Krieg gedrängt wurden welchen sie gar nicht wollen, welchen sie gar nicht brauchen, und ich denke die internationale Gemeinschaft sollte ihnen helfen um diese Katastrophe abzuwenden, welche die gesamte Region entflammen wird und die Vereinigten Staaten mit sich verbrennen wird."

 Press TV: "So wie Sie es sagen fasse ich es so auf, dass wir (die Iraner) denken dass die USA in den Krieg hineingezogen wurden, technisch gesprochen, durch Kräfte aus der Region und dahinter. Können Sie das näher ausführen, werden die Vereinigten Staaten tatsächlich einen Militärschlag gegen Syrien am Ende des Tages ausführen oder denken Sie dass die USA das nicht tun möchten, aber ein grosser Druck auf die Vereinigten Staaten ausgeübt wird um einen Krieg in Syrien anzufangen?"

Zarif: "Ich hoffe das die Vernunft siegen wird. Ich hoffe das durch den russischen Vorschlag und der Möglichkeit die sich durch die Akzeptierung des russischen Vorschlages durch die Syrer ergeben hat, andere aufhören werden um für Entschuldigungen zu sorgen und damit für einen Krieg zu drängen, (aufhören werden) die Kriegstrommeln zu schlagen, sie sollten verstehen dass das gefährlich für sie selbst und für die Region ist.

Wir haben ja aus den Kommentaren gesehen welche aus verschiedenen Ländern der Region und ausserhalb der Region kommen, dass viele Menschen unglücklich darüber sind, und das ist bedauernswert es (überhaupt) zu sagen, dass einige Länder unglücklich darüber sind weil wir versuchen einen Krieg abzuwenden, ich kann nicht nachvollziehen welche Erweiterung der Logik durch unsere Freunde der Region angewendet wird, die unglücklich darüber sind das ein diplomatischer Weg gesucht und hoffentlich gefunden wird, um eine grosse Katastrophe vor ihrer Haustüre zu vermeiden, eine grosse Katastrophe welche zu (noch mehr) Extremismus führen wird, zu sektiererischer Spaltung führen wird, zu weiterem Konflikt in unserer Region führen wird, nur für ein kurzsichtiges Interesse um die Balance der Kraft innerhalb Syriens zu ändern welche zu noch mehr Blutvergiessen und zur Tötung von unschuldigen Menschen führen wird.

Wir sollten uns alle an den Verhandlungstisch hinsetzen, mit allen syrischen Fraktionen, inklusive der syrischen Regierung und all jenen die wirklich an einer Zukunft in Syrien interessiert sind, um eine friedliche Lösung zu finden. Die syrische Krise hat keine militärische Lösung, das muss von allen verstanden werden."

Press TV: "Ich möchte gerne über Iran`s Atomprogramm und von den kürzlichen News vom Wechsel (der Verhandlungsführung) vom Obersten Nationalen Sicherheitsrat zum Aussenministerium. Können Sie sich das äussern und erklären, was für eine Rolle Sie dabei spielen werden?"

Zarif: "Nun, der Präsident hat entschieden dass das Aussenministerium die Verhandlungen in der Atomangelegenheit führen wird. Ich denke das ist eine weise Entscheidung. Das Aussenministerium ist für die Durchführung der iranischen Aussenangelegenheiten verantwortlich und es hat die Fähigkeit und die Maschinerie, (und) die Manpower um diese Angelegenheiten zu behandeln. 

Natürlich wird der Oberste Nationale Sicherheitsrat nach wie vor die Nuklearakte beaufsichtigen und überwachen und wir hoffen mit den Verhandlungen weiter zu kommen. Wir sollten Resultat orientiert sein. Nun, lassen Sie mich einige allgemeine Bemerkungen machen wir die Verhandlungen weiter geführt werden sollten: wir glauben das die Verhandlungen nicht unendlich geführt werden können, dass die Verhandlungen nicht zum Selbstzweck dienen. 
Wir glauben das die Verhandlungen Zeit gebunden sein sollten, Ergebnisorientiert, und auf der Basis von Treu und Glauben, gleichberechtigt und gegenseitigem Respekt. Jetzt müssen wir den Zugang zu diesen Verhandlungen ändern, lassen Sie mich bitte das etwas detaillierter beschreiben und ich versuche es zu beschreiben was ich meine.

Ich glaube dass das internationale Umfeld nach dem Kalten Krieg ein anderes Umfeld in dieser Übergangsphase der Weltpolitik ist, weil wir es nicht mehr länger Internationale Politik nennen, wir nennen es Weltpolitik weil es so verflochten geworden ist dass man nicht mehr länger ein Nullsummenspiel verfolgen kann,  man kann nicht mehr seine Interessen auf Kosten anderer verfolgen. Man kann nicht versuchen Sicherheit zu haben auf Kosten der Unsicherheit anderer.
Wäre das erreichbar gewesen, 9/11 wäre nicht passiert. Ich denke heute das 9/11 eine Lehre für uns alle ist, dass wenn Sicherheit durch militärische Mittel erreicht werden könnte, wenn militärische Macht Sicherheit bringen könnte, wenn ein Land unabhängig von dessen Macht und Distanz von volatilen Gegenden der Welt, so wie es die Vereinigten Staaten sind und waren, ihre Sicherheit nicht durch Unsicherheit anderer erreichen kann. 

Wenn sie (Länder und Organisationen wie USA, IAEA, etc.)  jetzt Irans Nuklearakte ansprechen möchten, müssen sie ihre Perspektive ändern, nämlich dass wir zwei Ziele teilen, nicht ein Ziel für den Iran und ein Ziel für die P5+1 oder wie auch immer man diese Länder nennen möchte welche angeben sich um Iran`s Nuklearprogramm zu sorgen; dass diese eine Reihe von Zielen verfolgen und wir eine Reihe von Zielen verfolgen und dann am Ende ein Kampf entsteht wer mehr von dem und wer mehr von jenem erhält wie bei einem Kinderspiel. Das wird im heutigen internationalen Umfeld nicht funktionieren. Was funktioniert ist, dass beide Seiten für die gleichen Ziele arbeiten und diese Ziele sind: Erstens, Iran`s Atomprogramm muss exklusiv friedlich bleiben, was auch das gesteckte Ziel der anderen Seite zu sein scheint, von den P5+1.

Jetzt kann ich ihnen (den Ländern der P5+1) mitteilen, dass das auch unsere Ziele lange zuvor schon waren, weil es in Iran`s Nationalem Interesse liegt das die ganze Welt weiss, dass wir keine Nuklearwaffen wollen, dass Nuklearwaffen keinen Platz in unserer Sicherheitsdoktrin haben und selbst nur schon die Wahrnehmung in der Welt dass Iran eine Nuklearwaffenprogramm verfolgt ist unserer Sicherheit abträglich.

Wir teilen also das erste Ziel, wir wollen die Probleme neu definieren um entsprechende Lösungen zu finden. Wir teilen das erste Ziel, jetzt möchten wir das sie auch das zweite Ziel teilen und ich sage Ihnen wieso. Das zweite Ziel ist der einzige Weg wie sie (P5+1) gewährleisten können, dass Iran`s  Atomprogramm auch ausschliesslich friedlich bleibt, und das ist das Programm in einem akzeptablen, friedlichem internationalem Umfeld gewähren zu lassen. Weshalb? Weil Iran`s friedliche nukleare Fähigkeiten selbst erlernt sind, sie sind nicht auf das Ausland angewiesen und deshalb können sie (P5+1) nicht de Iran etwas vorenthalten was bereits uns gehört. Wir haben die Wissenschaft, wir haben die Technologie; sie können uns nicht unsere Wissenschaftler vorenthalten, sie können uns nicht unsere technologische Infrastruktur vorenthalten. Das ist nun mal dort, man kann es sich nicht weg wünschen.

Irans friedliche Nuklearfähigkeit ist dort, damit wir also das erste gemeinsame Ziel erreichen können müssen wir uns auch auf ein zweites gemeinsames Ziel einigen, und dass ist das diese einheimische Fähigkeit des Irans innerhalb eines transparenten, international anerkannten Rahmens stattfindet, dass dieser Anreicherungsplan offen zugänglich für die IAEA ist, es unter internationaler Beobachtung sein könnte, so wie es bereits in letzten Jahren der Fall war. 

Das ist der einzige Weg wie sie es gewährleisten können dass das iranische Atomprogramm ausschliesslich friedlich bleibt."





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