Mittwoch, 24. September 2014

Ukraine, Syrien, Iran - Obama verliert gegen Neocons

Als Barack Obama im November 2012 als erster demokratischer Amtsinhaber nach Bill Clinton die Wiederwahl geschafft hat, habe ich am 09. November 2012 über die Versprechen geschrieben die Barack Obama in seinem ersten Wahlkampf oder bei wichtigen internationalen Ansprachen abgegeben hat. Dass nur sehr wenige seiner Vorhaben in die Tat umgesetzt werden konnten liegt nicht unbedingt daran dass Obama absichtlich gelogen hat wie das manche behaupten, sondern es liegt daran, dass er sich nicht gegen offensichtlich für ihn persönlich übermächtige Widersacher durchsetzen konnte. Natürlich greift Obama tief in seine rhetorische Trickkiste um mit Wortspielen etwas anzudeuten, was von seinen Zuhörer als eine definitive Behauptung wahrgenommen wird, und er sich anschliessend aber von den meisten Vorwürfen reinwaschen kann weil dann herauskommt dass er es eben doch nicht so gesagt hat. In diesen Spielchen ist Obama fantastisch, aber als Präsident mit dem Titel "mächtigster Mann der Welt" hat er versagt.

In seinem Buch "The Audacity of Hope" (auf deutsch "Hoffnung wagen") schrieb Obama während seiner Zeit als Senator: "was ich nicht unterstützen konnte war ein dummer Krieg, ein überhasteter Krieg, ein Krieg der nicht auf Gründen beruht sondern auf Leidenschaft, nicht auf Grundsätzen sondern auf Politik.
Als Präsident versprach er den in den USA unbeliebt gewordenen Irak-Krieg zu beenden und die Soldaten nach Hause zu holen. Das gleiche hatte er auch in Afghanistan vor.

Doch was ihm im Irak gelang, oder viel mehr was von den Militärs zugelassen wurde, sollte sich nicht auf Afghanistan übertragen lassen. Seine militärischen Berater gaben Obama zu verstehen, dass es zu diesem Zeitpunkt (2009) keine Exitstrategie gab. Das war die erste Niederlage die Präsident Obama gegen den Militärisch-Industriellen-Komplex schon sehr früh in seiner ersten Amtszeit wegstecken musste (siehe auch "Ike Eisenhower`s vergessene Warnung"). Und es sollte nicht die einzige Niederlage bleiben.

Was einen guten, oder in diesem Fall einen starken Präsidenten von einem Schwachen unterscheidet, ist der Mut des Präsidenten es gegen alle Widrigkeiten zum Wohle der Nation aufzunehmen, selbst wenn es bedeuten würde dass der Präsident nur eine Amtszeit im Weissen Haus verbringen kann. Und das würde bedeuten, dass dieser Präsident seine eigenen karrieretechnischen Ambitionen zurückstufen und sie notfalls für das Wohlergehen seines Landes opfern muss. Denn es ist tatsächlich oft der Fall dass die Wählerschaft, oder besser gesagt die jeweiligen Lobbys die mit ihren Kampagnen die Wählerschaft beeinflussen, sowie der ewige Kampf zwischen Demokraten und Republikanern, den Präsidenten abstrafen sobald er dringend notwendige Reformen einleitet die sein Vorgänger verpasst oder absichtlich auf die lange Bank geschoben hat um eine "weisse Weste" zu behalten.
Mit George W. Bush als Vorgänger hat es Barack Obama fast nicht schlimmer treffen können. Die weltweite Finanzkrise die die Vereinigten Staaten fast in den Abgrund hinuntergerissen hätte, ist eine direkte Quittung der Deregulierung der Banken unter der Bush II Administration. Ebenso gehören die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Kriegsverbrechen wie Abu Ghraib und Guantanamo oder die Folterkammern in verschiedenen Ländern zum Erbe des George W. Bush.
Kein Wunder war Barack Obama am Anfang voller Tatendrang und wollte diese augenscheinlichen Verbrechen seines Vorgängers rückgängig machen und die USA wieder als Partner für die Welt präsentieren.

Doch was uns Aussenstehenden sehr oft nicht klar ist, musste auch Barack Obama sehr schnell lernen: der mächtigste Mann der Welt verfügt über weit weniger Entscheidungsbefugnis als man sich das gemeinhin vorstellen kann.
Unsere Hoffnung in ein neues Amerika unter der Führung des ersten afro-amerikanischen Präsidenten gipfelte in der Verleihung des Friedensnobelpreises, was nichts weiter war als ein Ausdruck massivster Erleichterung der Europäer.

Schnell musste Obama aber merken, dass diese Verbrechen seines Vorgängers tief mit dem amerikanischen System verwoben sind und dass es vermutlich seine Chance auf eine zweite Amtszeit - worauf jeder der Präsident wird von Anfang an hinarbeitet - kosten würde, wenn er sich mit diesem mächtigen System anlegt.
Zudem begab sich Obama mit den absolut falschen Beratern um jene Probleme anzupacken, die das Land gerade im Würgegriff hielten.

Obwohl Obama aus dem demokratischen Lager des amerikanischen Politspektrums kommt und man die Verbrechen der Bush II-Administration schnell dem republikanischen Lager in die Schuhe schob (was nur zum Teil stimmt), darf man nicht den Gemeinsamen Nenner der Demokraten und Republikaner ausser Acht lassen: die Neokonservatien oder Neocons.

Die Ideologie der Neocons beruht auf der Überzeugung, dass es sich bei den Vereinigten Staaten um die einzige "unverzichtbare Nation" der Welt handelt, und dass ganz dem ideologischen Vater der Neocons folgend, der aus Deutschland aufgrund seiner jüdischen Wurzeln geflohene Leo Strauss, die breite Masse der Bevölkerung von einer kleinen Elite geführt und bei Bedarf auch angelogen werden darf. So heisst es in der Lehre von Leo Strauss, dass "diejenigen die die Voraussetzung zum Führen mitbringen, jene sind die erkannt haben dass es keine Moral gibt und dass es nur ein natürliches Recht gibt: das Recht des Überlegenen über die Unterlegenen zu herrschen."
Dieser Zustand könne nur durch "ewige Täuschung" erreicht werden, "den Menschen wird nur das gesagt was sie zu wissen brauchen, mehr nicht." Und es versteht sich von selbst, dass nur die Elite dazu fähig ist die ganze Wahrheit zu kennen und dann entscheidet, welche Information an die "Unterlegenen" weitergegeben wird. Und als ob das nicht schon Tür und Tor für Korruption und fehlgeleiteter Macht öffnet, kommt der Teil der Strauss`schen Lehre der sich in Amerikas Aussenpolitik überdeutlich wiederspiegelt: "Weil die Menschheit von sich aus böse ist muss sie regiert werden. Solch eine Regierung kann aber nur dann erstellt werden, wenn die Männer vereint sind - und sie können nur gegen ein anderes Volk vereint werden."

In dem Manifest der Neocons die sie unter dem Mantel des "Project for a New American Century" (PNAC) verfasst haben, werden genau diese Elemente von Leo Strauss in einen Plan umgesetzt, die hauptsächlich auf einer dominanten Rolle der US Streitkräfte basieren. So steht in diesem Manifest beispielsweise geschrieben, "damit die gewünschte strategische Situation in der sich die Vereinigten Staaten gerade befinden bewahrt werden kann, benötigt es eine global dominierende Militärmacht, heute wie auch in der Zukunft."

Mit der Wahl von George W. Bush zum Präsidenten kamen einige Personen an die Macht, die zuvor dem PNAC angehört haben oder in anderen neokonservativen Think Tanks ihre Ideologie zum Besten gaben. Nach der Wahl von Barack Obama verschwanden diese Neocons aber nicht etwa plötzlich von der Bildfläche wie man sich das überall auf der Welt erhofft und gewünscht hatte. Zwar verschwanden tatsächlich einige Namen, aber zusammen mit Obama kam einfach die nächste Generation von Neocons mit an die Macht die es selbst nicht glauben konnten dass sie von Obama ausgesucht wurden. Sogar Richard Perle, einer der Architekten des Irak Krieges und des Lügenkonstrukts das für die Manipulation der Öffentlichkeit verantwortlich war, zeigte sich überrascht: "Ich bin erleichtert. Entgegen der Erwartungen glaube ich nicht dass wir grosse Veränderungen sehen werden."

Perle sollte (leider) Recht behalten. Obama`s Team bestand aus Hillary Rodham Clinton, Susan Rice, Dennis Ross, Timothy Geithner, Rahm Emanuel, David Axelrod und sogar indirekt Robert Kagan, der Mitbegründer von PNAC, durch seine Frau Victoria Nuland. Ausser Nuland beziehungsweise Kagan konnte man diese Namen nicht zu den klassischen Neocons zählen, sie gehörten viel mehr zu den Ultrazionisten der amerikanischen Politik mit einigen neokonservativen Tendenzen. Neocons wie Zionisten sind der unbedingten Überzeugung, dass die USA alles für Israel tun sollten. Beide gestalten eine Israel-zentrierte Aussenpolitik, beide definieren ihr Feindbild ziemlich ähnlich und beide fordern eine muskuläre Machtprojektion der Vereinigten Staaten von Amerika. Und die wichtigste Gemeinsamkeit aus der Sicht des amerikanischen Volkes: beide sind sich darüber einig, dass das Volk so wenig wie möglich über die Realität informiert sein sollte.
Wenn es so viele Gemeinsamkeiten zwischen Neocons und Zionisten gibt, fragt man sich vielleicht wo es denn überhaupt Unterschiede zwischen den beiden Ideologien gibt.
Die Unterschiede liegen in der Selbstdefinition. Während die Neocons prinzipiell die eigene amerikanische Nation in den Vordergrund stellen und sich als "unverzichtbar" und "einzigartig" betrachten, spielt Israel erst eine sekundäre Rolle. Bei den Zionisten dreht sich alles in allererster Linie um Israel und man ist darauf bedacht, amerikanische Ressourcen für Israel zu sichern. Auch in der Strategie gibt es Unterschiede: während Zionisten die Legislative - also den US-Kongress - zu kontrollieren versuchen unabhängig davon ob Demokraten oder Republikaner die Mehrheit ausüben, versuchen es die Neocons über die Exekutive, sprich das Präsidialamt im Weissen Haus (oder wenigstens hohe Regierungspositionen).

Nun kann man sich sehr wohl fragen weshalb Präsident Barack Obama sich solche Leute ins Boot geholt hat, von denen man schon im Vorfeld wusste dass sie nicht mit den Visionen und Versprechen des Senators Barack Obama kompatibel waren. Im Grunde gibt es nur zwei plausible Erklärungen: entweder belog Obama die ganze Welt (und natürlich seine Wähler) mit seinen Versprechen und "tickte" von Anfang an ganz anders, oder aber, und das ist für mich die wahrscheinlichere Antwort, er musste seinen Teil der Abmachungen zwischen ihm und seinen grössten Geldgebern und internen Konkurrenten während des Wahlkampfs erfüllen.
Eine Susan Rice die ihre Unterschrift mitten im grössten Wahlkampf im Juni 2008 unter ein Dokument setzte das "Strengthening the Partnership: How to Deepen U.S-Israel Cooperation on the Iranian Nuclear Challenge" heisst (Stärkung der Partnerschaft: wie die US-Israelische Kooperation in der iranischen Atom-Herausforderung vertieft werden soll) und vom berühmt-berüchtigten zionistischen Think Tank Washington Institute for Near East Policy (WINEP) herausgegeben wurde, war mit Sicherheit die falsche Wahl wenn Obama eine Annäherung an den Iran im Sinn gehabt hatte.
Das gleiche gilt für eine Hillary Rodham Clinton, die enthusiastisch für den Irak Krieg gestimmt hatte und eine Vertreterin der US-Elite ist, von der man Ende 2007 sagte dass es bezüglich ihrer aussenpolitischen Agenda "sämtliche Indikationen gibt, dass diese enge Parallelen zur Bush Administration" aufweisen wird und man sie durchaus als Kriegshetzerin bezeichnen könnte. Als Aussenministerin war unter ihrer Führung eine gemässigtere Iran Politik absolut undenkbar, deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich dass die Fühler nach Teheran erst nach ihrem Rücktritt ausgesandt wurden.

Und als Sondergesandten für den Iran nominierte Obama ausgerechnet Dennis Ross, einen jüdischen Zionisten der schon unter Bill Clinton Chefunterhändler in den Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern war und alles daran setzte dass Israel`s Wünsche in die Tat umgesetzt wurden, während er gleichzeitig mitansah (sein Team kritisierte ihn massiv für seine Israel-zuerst Politik)
wie der Oslo-Prozess immer mehr den Bach herunterging. Auch diese Nominierung war höchst merkwürdig wenn es das Ziel von Obama gewesen wäre, von Anfang an ernsthaft mit dem Iran in Verhandlungen zu treten.

Doch mit Abstand der grösste Fehler von Obama war es, seine demokratische Herausforderin Hillary Clinton mit an Bord zu nehmen. Der Ministerposten im State Department wird die Bedingung gewesen sein, dass Clinton den Wahlkampf aufgab und sich hinter Obama positionierte. Mit Hillary Clinton als Aussenministerin wurde der Einfluss der Neocons in der Aussenpolitik der USA weiter lebendig gehalten, was man in dem sinnlosen Krieg und der Zerstörung der staatlichen Strukturen von Libyen sehr gut beobachten konnte. Auch Clinton`s Rolle in der anfänglichen Vertuschungskampagne nach dem Anschlag auf die als US-Konsulat getarnte CIA-Station in Benghazi ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Dadurch dass Clinton im Mai 2011 die ehemalige Beraterin des Vize-Präsidenten Dick Cheney für die nationale Sicherheit - Victoria Nuland - als Sprecherin des Aussenministeriums engagierte und nur ein halbes Jahr später auch Nuland`s Mann Robert Kagan als Mitglied in ihren "Aussenpolitischen Rat" holte, ebnete die Aussenministerin den Weg für den neokonservativen Einfluss in die amerikanische Aussenpolitik unter einer demokratischen Regierung.

Wie sich nun herausgestellt hat, stellte Hillary Clinton mit diesen Nominierungen nur ihre eigenen Weichen als Präsidentschaftskandidatin für 2016. Wenn man es so will, dann ist sie das Produkt der Metamorphose von Neocons und Zionisten, eine Ziocon. Sie will sich für die neue Generation der Neocons wie eben Victoria Nuland oder Robert Kagan als ernsthafte Wahl präsentieren und somit der republikanischen Partei einen grossen Teil ihrer Basis abjagen, und dazu muss die Aussenpolitik auf zwei Beinen stehen: Israel und Militär. Das zeigte sie bereits jetzt in einem viel beachteten Interview wo sie Obama scharf für seine Iran-Politik kritisierte und meinte, dass Iran gar kein Recht auf Anreicherung hat und es überhaupt nicht so etwas gibt wie das "Recht auf Anreicherung", obwohl das eine glatte Lüge ist weil jeder Staat der den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und ratifiziert hat, auch das Recht auf Anreicherung hat. Sie spiegelt allerdings die Meinung der Vereinigten Staaten von Amerika wieder, die für sich in Anspruch nehmen zu beurteilen, wer nun dieses zugewiesene Recht auch tatsächlich ausüben darf und wer nicht. Und dann kam Clinton auf Israel zu sprechen, welches sie von sämtlicher Verantwortung für den Krieg in Gaza und dessen Folgen absolvierte.

 Und was hat das jetzt alles mit der Ukraine, Syrien oder Iran zu tun fragen Sie sich?

Weiter oben habe ich geschrieben dass die zionistische Lobby den US-Kongress als geeignetes Instrument zur Machtentfaltung ausgewählt hat, was ein aus ihrer Sicht grandioser Schachzug war. Immerhin ist es der Kongress der den Präsidenten in seiner Politik im Auge behalten soll und es ist auch der Kongress, der normalerweise über einen Kriegseintritt der USA entscheidet und dem Präsidenten als Commander-in-Chief mit dem Krieg beauftragt.
Wenn aber der Kongress unter der Kontrolle einer Lobby steht die gezielten Einfluss über eine bestimmte Politik ausübt, wird der Präsident seiner Machtausübung beraubt sobald er eine Initiative startet die der Vorstellung dieser Lobby widerspricht, oder auch nur einen Minister durchsetzen will der der Lobby nicht genehm wird wie der Fall von Chuck Hagel gezeigt hatte. Zwar bedeutet dieser Einfluss der zionistischen Lobby nicht zwangsläufig dass die präsidialen Initiativen von vornherein zum Scheitern verurteilt sind wie die Verhandlungen mit dem Iran oder eben auch die Durchsetzung von Chuck Hagel zum Verteidigungsminister, aber das alles kommt zu einem politischen Preis für den Präsidenten den er früher oder später bezahlen wird.

Dieser zionistische Einfluss im US-Kongress zeigte sich nicht nur bei der Ernennung von Chuck Hagel zum Verteidigungsminister oder vielen anderen Gesetzen die mit Israel und Israel-zentrierter Politik zu tun haben, sondern insbesondere dann wenn ein rechtsgerichteter israelischer Minister vor dem Kongress eine Rede hält. Es muss erwähnt werden, dass die Linie die diese zionistische Lobby vertritt ebenfalls eine rechtsgerichtete Politik für Israel vorsieht, deshalb sind die Stars aus Israel nicht etwa die die einen Frieden suchen, sondern diejenigen die ebenfalls aus dem rechten Lager kommen wie beispielsweise Binyamin Netanyahu. Als Netanyahu 2011 die Plattform für seine Rede im Kongress angeboten wurde, hielt er eine Rede die direkt gegen die Politik von US-Präsident Barack Obama gerichtet war, und erhielt dafür sogar stehende Ovationen von amerikanischen Kongressabgeordneten. Ist das nicht verrückt? Das wäre wie wenn heute Vladimir Putin vor dem Bundestag stehen und die Politik von Angela Merkel kritisieren würde und dafür mit enthusiastischem Applaus der Abgeordnete belohnt wird.


Ukraine
Diese Ehre wurde nicht nur dem israelischen Ministerpräsidenten zuteil, sondern zuletzt auch dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Auch er wurde mit stehenden Ovationen beehrt nachdem er sich der Rhetorik bediente von der er wusste dass sie ziehen würde: "So wie Israel auch, hat auch die Ukraine das Recht ihr Territorium zu verteidigen." Und natürlich folgte die zu erwartende Warnung vor Russland für die ganze westliche Welt: "Es ist nicht nur Ukraines Krieg, es ist auch Europas, und es ist auch Amerikas Krieg. Es ist ein Krieg der freien Welt - für die freie Welt!" Weiter meinte Poroschenke, dass "Ukraines Krieg der einzige Krieg im letzten Jahrzehnt war bei dem es um nichts anderes als Werte geht", und dass die Welt zwischen "Zivilisation und Barbarismus" wählen muss.

Der aktuelle Waffenstillstand in der Ukraine, von der selbst Poroschenko als "sogenannte Waffenruhe" sprach, kam nur zustande nachdem die ukrainischen Truppen vernichtende Niederlagen gegen die Föderalisten in der Gegend um die Küstenstadt Mariupol einstecken mussten. Für Poroschenko galt es den Verlust von ukrainischer Kontrolle zu minimieren, denn in der Geschwindigkeit wie die ukrainischen Truppen aus der Gegend von Mariupol zurückgedrängt wurden, wäre der Weg vermutlich bis nach Melitopol und sogar Kakhovka offen gewesen, was gleichbedeutend mit dem Verlust des gesamten Südostens der Ukraine gewesen wäre. Wäre es also im Interesse Putin`s gewesen die Ukraine zu besetzen oder zu spalten, dann hätte er diesen taktischen Sieg der Föderalisten nicht mit einem Waffenstillstandsplan gestoppt, sondern hätte den Vorteil der Föderalisten ausgenutzt um das zu erreichen was man ihm ja im Westen vorwirft.
Das Poroschenko aber nun in Washington war und vor dem Kongress nach Waffen verlangte und den Krieg als Amerikas Krieg darstellte, deutet zweifelsohne darauf hin dass Kiev die Zeit der Waffenruhe nutzt um sich neu zu gruppieren. Auch die Meldung des ukrainischen Verteidigungsministers über Waffenlieferungen der NATO passt da sehr gut in dieses Bild, auch wenn es noch von unseren Politikern dementiert wird.

Wir dürfen nicht vergessen wer die Ukraine Politik seit letztem Jahr bis heute auf amerikanischer Seite koordiniert: Victoria Nuland. Und wir dürfen auch nicht vergessen wer Nuland zuerst ins Aussenminiserium geholt hat und sich dann später für sie für den Job als Abteilungsleiterin für europäische Angelegenheiten im Aussenministerium eingesetzt hat: Hillary Clinton.
Es führen also ausgerechnet jene Leute die Ukraine Politik, die für ihre Abneigung gegenüber Russland seit Jahren bekannt sind und vom ideologischen Hintergrund auf der Seite der Neocons stehen. Eine äusserst gefährliche Kombination.

Syrien
Barack Obama wurde schon einmal von seinen neokonservativen Widersachern im US-Kongress an den Rand einer massiven Militärkampagne gegen Syrien gedrängt als es zu einem Giftgasangriff kam (siehe hier und hier), und konnte sprichwörtlich nur in allerletzter Minute von niemand geringerem als Vladimir Putin davon abgehalten werden. Der republikanische Senator John McCain sagte bereits 2012, dass die "USA Syrien bombardieren sollten". Im Sommer 2013 wurde die Stimmung in den USA durch die Medien und Kriegshetzern wie John McCain, Lindsey Graham und anderen Neocons so aufgeheitzt, dass niemand den Irrsinn in der Behauptung der kriegslüsternen Senatoren bemerkte, als sie sagten dass es "die Verantwortung aller zivilisierten Nationen" wäre, Syrien zu bombardieren.
Als es darum ging die sogenannten "moderaten Rebellen" zu unterstützen, weigerte sich Obama zunächst. Lange konnte er dem Druck der Neocons aus dem US-Kongress und der CIA nicht standhalten, da insbesondere die CIA ohnehin schon seit längerem Waffenlieferungen organisiert hat und sich diese von Saudi Arabien und Qatar hat bezahlen lassen. Dumm nur, dass diese Waffen eben nicht nur bei den "moderaten Rebellen" geblieben sind, sondern plötzlich auch in den Händen der wahhabitischen Extremisten aufgetaucht sind.

Dann taucht zumindest für unsere Medien "plötzlich" eine Gruppe auf die sich zuerst ISIS, ISIL und zuletzt IS nennt, und fegt in wenigen Monaten sämtliche "moderate" Rebellen vom Platz und beherrscht heute Land und Leute auf dem Staatsgebiet von Syrien und Irak. Noch im Februar habe ich geschrieben (siehe "Syrien: muss Al Qaeda wieder herhalten?"), dass in den USA die Gefahr die von Al Qaeda aus Syrien ausgeht hochgepeitscht wurde, um "das amerikanische Volk auch weiterhin für den Kampf gegen den Terror fit zu halten", während die Bedrohung die von ISIS ausgeht für die CIA offensichtlich keinen Grund zur Sorge darstellte. CIA-Direktor John Brennan selbst sagte: "Wir sind darüber besorgt dass Al Qaeda syrisches Territorium benutzt um Personen zu rekrutieren und die Möglichkeit zu entwickeln, nicht nur Attacken innerhalb von Syrien durchzuführen, sondern Syrien auch als Sprungbrett zu benutzen." Vor Al Qaeda wurde gewarnt, nicht vor ISIS.
Und das obwohl ISIS zu diesem Zeitpunkt bereits das Territorium in Syrien kontrolliert hat das es auch heute kontrolliert, und bereits mittendrin in der Offensive im Irak steckte.
Es darf auch nicht vergessen werden dass es Aussenminister John Kerry war der vor ziemlich exakt einem Jahr vor einem Ausschuss des Kongresses beteuerte, dass die "nicht als extremistisch zu bezeichnenden syrischen Rebellen täglich stärker werden", und das obwohl ISIS zu diesem Zeitpunkt bereits die Provinz Raqqa in Syrien erobert hat.

Für Neocons wie John McCain waren die "Erfolge" der ISIS ein Segen (im Juni 2013 sagte McCain noch, dass er lieber Extremisten an der Macht in Damaskus sehen würde als die Regierung von Assad), denn so konnten er und seine republikanischen Kollegen im Kongress wie Mike Rogers oder die grosse Hoffnung der Republikaner, der junge Marco Rubio, endlich einen Grund herstellen um nach der gescheiterten Kampagne vom letzten Sommer wieder Druck auf Obama auszuüben um in Syrien loszuschlagen: ISIS wurde zur Bedrohung für die USA gemacht, obwohl noch im Februar keine Rede davon war!
Als der Mord an dem amerikanischen Journalisten James Foley höchst wirksam von den wahhabitischen Extremisten der IS in Szene gesetzt wurde, schlug es natürlich hohe Wellen überall in den USA. Und als nur kurze Zeit später der zweite Amerikaner Steven Sotloff (Doppelstaatsbürger USA/Israel) auf die gleiche Weise ermordet wurde, wussten die Neocons dass sie Obama an der Angel haben. Senator Rubio schrieb sofort nach dem Mord an Sotloff einen Brief an Obama und forderte ihn auf, "ISIS zu degradieren und zerstören". Interessanterweise nutzte Obama genau die gleiche Formulierung in seiner Ansprache zur Lage der Nation.

Es war klar dass Obama dem Druck nicht standhalten wird die die Neocons aufgebaut haben, genauso wenig wie er vergangenen August dem Druck standgehalten hatte. Nur kommt ihm diesesmal kein Putin zur Hilfe. Er hätte in seiner Ansprache zur Lage der Nation auch die Monströsität des Verbrechens betonen können, aber auch klar machen sollen dass es die "Terroristen" - um im Jargon der Amerikaner zu bleiben - nicht schaffen werden die "unverzichtbare Nation" in einen Krieg gegen sie zu verwickeln. Natürlich muss man den Islamischen Staat stoppen, aber man muss auch gleichzeitig die Rahmenbedingungen schaffen wie das geschehen soll und wer das entstandene Vakuum ausfüllen soll. Und in beiden Punkten herrscht alles andere als Klarheit in Washington und in den Kapitalen Europas.

Iran
Während die Spur der Neocons in der Ukraine und Syrien Politik der USA ganz offensichtlich ist, ist das mit dem Iran nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, ginge es nach dem Willen der Neocons UND den Zionisten, dann hätte es nie eine Annäherung gegeben und erst recht keine Abkommen die dem Iran irgendein Recht auf dem Feld der atomaren Forschung und Nutzung einräumen.
In dem als liberal gehandelten Think Tank Brookings Institution wo hauptsächlich Demokraten gerne ein und aus gehen, erkaufte sich der jüdische Milliardär Haim Saban 2002 eine Rolle in der Abteilung Center for Middle East Policy, die eine ganze Reihe von Strategien entworfen hat und von Mitarbeitern des Aussenministeriums in ihrer Konzeption mitberücksichtigt wurden. Das Saban diesen Schritt nicht aus philanthropischer Güte getan hat, sondern ein wesentliches Ziel verfolgte, nämlich die Nutzung der nach ihm unbenannten Abteilung in Saban Center for Middle East Policy zur "Erhaltung und Ausbau des U.S-Israelischen strategischen Dialogs", schien für niemanden ein Problem darzustellen.

Dass jetzt diese Abteilung die eigentlich Strategien für die USA im Mittleren Osten entwickeln sollte, plötzlich von der absoluten Israel-zentrierten Politik abrücken soll und grösste Mühe damit hat den eingeschlagenen Weg des Präsidenten zur Annäherung an den Iran zu unterstützen, kann nicht wirklich überraschen. Und die Überraschung sollte noch weniger ausfallen wenn man weiss was Haim Saban selbst für seine Gründe in den Einstieg in Think Tanks oder anderen Meinungsbildenden Institutionen sagt: "Meine drei Wege um in der amerikanischen Politik einflussreich zu sein, sind Spenden an politische Parteien, Gründung von Think Tanks und Kontrolle von Medienunternehmen." Weiter meinte Saban, dass er ein "one-issue guy" wäre, was in etwa als "auf -eine-Sache-konzentriert-Kerl" übersetzt werden könnte, und "diese eine Sache ist Israel".
Kennt man also die Richtung die vom Geldgeber des Saban Center for Middle East Policy im Brookings Institute vorgegeben ist, und berücksichtigt die Tatsache dass die Analysten dieser Abteilung seit Jahren nichts weiter getan haben als US-Strategien auf der Grundlage von Israel-zuerst zu entwickeln, welche konsequenterweise anti-iranisch ausgerichtet waren, dann versteht man weshalb ein liberales und den Demokraten nahestehendes Institut mitten in einer "heissen" Phase in den US-Iran Verhandlungen ein Dokument veröffentlicht, das "Versöhnung mit Iran feuert das Chaos im Mittleren Osten weiter an" (Orig. Reconciliation with Iran Helps Fuel Middle East Mayhem) heisst.

Das die Neocons mit aller Macht versuchen ein endgültiges Abkommen mit dem Iran zu verhindern ist keine Neuigkeit. Aber das wie gesagt ein liberales, aber eben auch unter zionistischem Einfluss stehendes Institut solch ein Dokument veröffentlicht, zeigt überdeutlich die Konvergenz zwischen Neocons und Zionisten. Das macht es dann natürlich leicht für Israel überparteilichen Einfluss in den USA auszuüben. Erst vor ein paar Tagen flog eine hochrangige israelische Delegation unter der Führung des "Strategieministers" Yuval Steinitz nach Washington, um den amerikanischen Kongressabgeordneten klarzumachen dass Israel kein Interesse an einem "Deal" zwischen den USA und Iran hat. Allerdings scheint die israelische Bevölkerung ganz andere Probleme für drängender zu halten als den Iran, wie erst jüngst eine Umfrage in Israel zeigte. Nur 12% der Befragten waren der Meinung das ihre Regierung den Iran zur TOP-Priorität ihres Landes machen sollte.
Auch in den USA kann man ein ähnliches Bild feststellen wo sich jene Stimmen immer mehr mehren, die auch in grossen Medien eine Annäherung mit dem Iran befürworten.

Das Problem für Obama und seine strategische Annäherung an den Iran ist aber nicht nur die Vehemenz mit der Neocons wie auch Zionisten dagegen feuern, sondern viel mehr dass es die zionistische Lobby geschafft hat eine Resolution auf Bundesebene durchzusetzen, welche dem US-Präsidenten fast keinen Freiraum in den Verhandlungen geben würde.
In dieser Resolution 65 wurden Behauptungen, oder besser gesagt Anschuldigungen, als Tatsachen festgelegt wonach sich der Präsident zu richten hätte. Zwar sind Resolutionen keine bindenden Gesetze, aber sie zeigen dem Präsidenten dennoch die Richtung aus welcher der Wind aus dem Kongress pfeifft. Sollte sich Obama zu weit aus dem Fenster lehnen, könnte aus der Resolution die vom Senat ohne Gegenstimme adoptiert wurde, ein Gesetzesentwurf werden der nichts weiter festschreibt als dass der Iran per gesetzlicher Definition ein Feind der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Natürlich müsste Obama (oder sein Nachfolger/in) seine Unterschrift unter solch ein Gesetz setzen, aber allein die Tatsache dass es diese theoretische Möglichkeit gibt, zeigt über welchen wirklichen Einfluss die zionistische Lobby verfügt und von Neocons unterstützt wird.

Fakt ist, dass wir in der Iran-Frage uns mit grossen Schritten dem letzten Showdown nähern bis sich das Fenster für diese historische Entwicklung schliesst. Im Juli wurde die Deadline bis zum 24. November verlängert um noch genügend Zeit zu haben einen allfälligen Vertrag durch den Kongress zu bringen, der aller Voraussicht nach ab dem 03. Januar 2015 komplett in republikanischer Hand sein wird.

Dazwischen wird sich die Rhetorik der Ziocons sicherlich noch weiter verschärfen und plötzliche "Beweise eines befreundeten Geheimdienstes" auftauchen um ein Abkommen doch noch zu vereiteln. Aktionen wie die Rally for Israel werden den nötigen Rahmen bilden wo sich die Senatoren noch einmal gegen Obama aufbäumen können, es wird aber spannend zu beobachten sein ob Obama sich auch in diesem Gebiet, wo er viel persönliches Kapital investiert hat, von seiner Politik abbringen lassen wird. Von iranischer Seite her scheint ihm Präsident Rouhani den Weg nicht versperren zu wollen indem er Obama`s Kritikern irgendwelche Vorlagen liefert, sondern zeigte sich optimistisch und meinte sogar, dass "auch wenn es zu keinem Abkommen kommt, wir nicht zur Vergangenheit zurückkehren werden."

Dienstag, 16. September 2014

US Botschaft in Israel organisiert Drohnenmesse

Vom 14. September bis zum 19. September 2014 findet zum fünften Mal eine Drohnenmesse, die Israel Unmanned Systems 2014, in Israel statt, die von niemand geringerem als der amerikanischen Botschaft in Tel Aviv mitorganisiert und mitfinanziert wird.

Das brisante an dieser Beteiligung der US-Botschaft ist nicht unbedingt die Tatsache dass es sich um eine Rüstungsmesse handelt, sondern dass an der Israel Unmanned Systems ausschliesslich israelische Hersteller von Drohnen und Drohnenzubehör vermarktet werden. Natürlich sind einige US-Unternehmen wie General Dynamics oder Boeing an einigen dieser israelischen Rüstungsunternehmen beteiligt oder forschen gemeinsam an der Entwicklung der Produkte, trotzdem unterstützt die US-Botschaft und hinter der Bühne auch das U.S. Department of Commerce (Handelsministerium) ausgerechnet die einzigen wirklichen Konkurrenten für die amerikanischen Drohnen-Hersteller.

Doch was absolut inakzeptabel für die Beteiligung der amerikanischen Botschaft an dieser Messe ist und dadurch die offizielle Politik der Vereinigten Staaten von Amerika ad absurdum führt, ist der Organisationspartner und das Produkt selbst.

Während es die offizielle Politik der USA ist, für die "Vision eines unabhängigen, überlebensfähigen und zusammenhängenden palästinensischen Staates als den Heimatstaat des palästinensischen Volkes" zu sorgen, hat man dennoch kein Problem damit wenn der Mitorganisator Airlift Inc. seinen Sitz im Ostteil von Jerusalem hat, der gemäss diversen UN-Resolutionen und dem Internationalen Strafgerichtshof als besetztes Gebiet gilt. Die israelische Annexion von Ost-Jerusalem nach dem Junikrieg von 1967 ist also nach internationaler Rechtssprechung illegal, selbst Washington hat diese Annexion offiziell nicht anerkannt und weigerte sich deshalb die Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem umzuziehen.
Das die offizielle Webseite der Israel Unmanned Systems 2014 eine Karte von Israel veröffentlicht, auf der das israelische Staatsgebiet auch auf die palästinensischen Gebiete ausgeweitet ist, spricht nicht gerade für die offizielle Lesart der amerikanischen Politik.

                           Israel ohne palästinensische Gebiete auf der Webseite der Israel Unmanned Systems 2014

Das weitere "Problem" an der Beteiligung der US-Botschaft an dieser Messe ist der Umstand, dass es genau diese Drohnen sind die noch vor einem Monat die Menschen im Gaza Streifen terrorisiert haben und für dutzende, wenn nicht sogar hunderte Todesopfer verantwortlich sind. Damit signalisiert die amerikanische Botschaft, dass man kein Problem damit hat wenn Israel zu solchen Kriegsverbrechen ausholt (siehe hier, hier und hier) wie wir sie vor nur ein paar Wochen erlebt haben.

Wenn Washington schon vor dem UN-Sicherheitsrat sämtliche Resolutionen abblockt die Israels Verbrechen verurteilen sollten, dann wäre die Absage der US-Botschaft an der Teilnahme dieser Rüstungsmesse zumindest ein kleines Signal an die Palästinenser gewesen, dass man tatsächlich an ihrem Überleben interessiert ist.

Aber nichteinmal dazu war man in Washington gewillt.


Freitag, 12. September 2014

Warum Ukraine?

Ähnlich wie bei Syrien wird die Frage nach dem Warum in der Ukraine Krise von unseren Medien ignoriert (abgesehen von der Propaganda dass Russland an allem Schuld ist). Und ähnlich wie mit dem Artikel "Warum Syrien?" möchte ich auch hier einen Einblick in die dunkle Seite einer Krise ermöglichen, die für uns Europäer zur grössten Bedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg werden könnte. Und das wirklich Schlimme daran ist, dass wir selbst daran Schuld sind. Nicht wir Bürgerinnen und Bürger einer Europäischen Union, die ausgerechnet in der Ukraine das beweisen möchte was man ihr seit Jahren vorwirft nicht zu tun - nämlich politische Muskeln zu zeigen - sondern unsere Politiker die offensichtlich den Sinn und Zweck dieser Europäischen Union aus den Augen verloren haben: für Frieden und Stabilität zu sorgen.

Insbesondere die Tatsache dass sich nach anfänglichem Zögern sogar Deutschland auf die Seite der Neo-Nazis in der Ukraine stellt, sollte jedem die Augen öffnen und für Alarmglocken sorgen. Oder wie es Tom Partiff der englischen Zeitung The Telegraph geschrieben hat, Kiev`s Gebrauch von Nazis im Krieg gegen die russischsprachigen Föderalisten sollte "Europa einen Schauer den Rücken hinunterjagen". Partiff begleitete die Azov-Einheit der Nationalgarde, die wie ich auch schon berichtet habe hauptsächlich aus Neo-Nazis des Pravy Sektor (Rechter Sektor) bestehen und eine Freiwilligenmiliz darstellen. Dass es sich dabei tatsächlich um Neo-Nazis handelt, bestätigt auch Tom Partiff, beziehungsweise die Kämpfer der Azov-Einheit in diesem Bericht des Telegraph.
"Persönlich bin ich ein Nazi", sagte ein Kämpfer der sich selbst als "das Phantom" bezeichnete. Das Phantom hielt auch seine Bewunderung für Adolf Hitler nicht zurück als er sagte, dass "nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland in Trümmern lag und Hitler es wieder aufgebaut hat; er baute Häuser und Strassen, führte Telefonlinien ein und schuf Arbeitsplätze. Das respektiere ich." Weiter meinte das Phantom, dass die Homosexualität eine geistige Krankheit ist und dass das Ausmass des Holocaust "eine grosse Frage" wäre. 
Der 35-jährige Kommandeur der Azov-Einheit, Andriy Biletsky, drückte sich noch etwas deutlicher aus: "Die historische Mission unserer Nation in diesem kritischen Moment ist es, die Weisse Rasse dieser Welt in einen finalen Kreuzzug für dessen Überleben anzuführen. Einen Kreuzzug gegen die von Semiten geführten Untermenschen."

                            Foto von Tom Partiff zeigt Azov Kommandeur Andriy Biletsky (mit schwarzem T-Shirt)

Kreuzzug gegen von Semiten geführten Untermenschen? Dieser Satz könnte direkt aus der Feder von Heinrich Himmler stammen. Aber sorgte er für Schlagzeilen in unseren Medien? Wir haben auch nichts vom "Phantom" und dessen Leugnung des Holocausts gehört, was mit absoluter Sicherheit ganz anders verlaufen wäre wenn solche Sätze irgendjemand im Iran gesagt hätte. Und was dabei auch noch auffällt ist die Ignorierung dieser Nazi-Parolen in israelischen Medien oder der Anti-Defamation League, deren Daseinsberechtigung genau dazu dient um antisemitische Ausbrüche auf der Welt zu dokumentieren.

Wie es der Zufall aber so will, hat nicht nur die englische Telegraph die Azov-Einheit besucht und ein Interview mit Kommandeur Biletsky geführt, sondern auch das Erste Deutsche Fernsehen (ARD). In der Nachrichtensendung "Tagesthemen" vom 05. September wird Biletsky und sein "Batallion" gezeigt, allerdings hören wir hier gar nichts über die antisemitischen Parolen und die Nazi-Ideologie die hinter der Azov Einheit steht. Im Gegenteil, das deutsche Fernsehen nennt Azov bloss einen "ukrainischen Freiwilligenverband", was zwar eine korrekte Bezeichnung ist da ja niemand gezwungen wurde mitzumachen, aber gleichzeitig auch eine eher positive Konnotation aufweist um von dem wahren Hintergrund abzulenken.
Nur drei Tage nach der ARD zeigte auch das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) Bilder von der Azov-Einheit, die es vom norwegischen Fernsehsender TV2 übernommen hat. Obwohl diese Bilder Kämpfer zeigen, die auf ihren Helmen deutliche Nazi-Abzeichen wie das Hakenkreuz oder SS-Runen tragen, nannte sie der ZDF-Korrespondent Bernhard Lichte wie zuvor schon die ARD einfach nur "Freiwilligenverbände".




Und was sagt die Regierung in Kiev zu diesen Nazi-Sturmtruppen die sie in den Krieg gegen russischsprachige Föderalisten, (oder Separatisten wie sie in unseren Medien genannt werden) aber auch gegen unschuldige Zivilisten geschickt hat? "Das allerwichtigste ist ihr Spirit und ihr Wunsch, die Ukraine frei und unabhängig zu machen. Eine Person die eine Waffe in die Hand nimmt um das Heimatland zu verteidigen, ist ein Held. Und seine politische Ansicht ist seine Sache." sagte Anton Geraschenko, ein Berater von Innenminister Arsen Avakov.
Mit dieser Meinung scheint der Berater nicht alleine dazustehen, auch Präsident Petro Poroschenko hat erst kürzlich einen im Kampf gefallenen "Gardisten" aus der Azov-Einheit "einen Helden" genannt.

Wie konnte es soweit kommen dass der Westen in der Ukraine eine demokratisch gewählte Regierung gestürzt und mit einer anderen Regierung ersetzt hat, die von Anfang an faschistische Tendenzen aufwies und offen mit Neo-Nazis sympathisierte? Was ist an der Ukraine so besonders, dass man bereit ist ein so grosses Risiko einzugehen?

Ukraine wird zum wichtigsten Baustein der USA gegen Russland

Während sich die Europäische Union dem Projekt der Osterweiterung verschrieben hatte, musste Brüssel früher oder später auch auf die Ukraine als Objekt der Begierde stossen. Zumal das Land als einer der wichtigsten Energiepartner, auch wenn nur als Transitland, insbesondere für Deutschland galt. Doch abgesehen davon kann man keinen wirklichen wirtschaftlichen Wert der Ukraine für die Europäische Union feststellen. Die ganze EU exportierte beispielsweise in den Jahren 2012 und 2013 jeweils Güter im Wert von 23.9 Milliarden Euro in die Ukraine, und importierte Güter für 14.6 Milliarden (2012) respektive 13.8 Milliarden Euro (2013).
Davon exportierte allein Deutschland Güter im Wert von 5.4 Milliarden Euro im Jahr 2013 in die Ukraine (22.6% der Gesamtexporte aus der EU), und importierte für 1.5 Milliarden Euro (10.8% der Gesamtimporte aus der EU).
Um den wirtschaftlichen Wert der Ukraine für die Europäische Union noch besser vergleichen zu können, hier nur mal die Zahlen der Handelsbilanz zwischen Deutschland und Polen: Exporte nach Polen für 42.35 Milliarden Euro (im Jahr 2013), Importe aus Polen für 35.77 Milliarden Euro (im Jahr 2013). Das bedeutet dass allein Deutschland 77% mehr Güter nach Polen im Jahr 2013 geliefert hat, als die ganze Europäische Union zusammen in die Ukraine. Auch auf der Importseite sieht dieses Bild nicht viel besser aus: Deutschland importierte 159% mehr aus Polen als die ganze Europäische Union zusammen aus der Ukraine.

Vielleicht werden jetzt einige Verfechter des europäischen Assoziierungsabkommens mit der Ukraine argumentieren, dass ja genau deshalb die EU an der Ukraine interessiert ist um dort einen auf die EU zugeschnittenen Markt aufzubauen. Doch die EU selbst rechnet nur mit einer Steigerung von 1 Milliarde Euro pro Jahr auf der Exportseite für die Ukraine. Diese Zahl wird an der wirtschaftlichen Attraktivität der Ukraine aber überhaupt nichts ändern und erst recht nichts an der Situation für die hungernde Bevölkerung. Ein Grund dafür liegt zum Beispiel in der schlechten Qualität des ukrainischen Stahls - einem sehr wichtigen Exportprodukt der Ukraine - die eine Analystin von STRATFOR als "SUPER shitty" bezeichnet hat. Auf der Importseite, sprich Exporte aus der EU, wird sich auch nichts dramatisches verändern können da sich die Ukraine gar keine grossen Veränderungen leisten kann (weshalb auf der Internetseite der EU auch nichts erwähnt wird). Kiev arbeitet seit 4 Jahren an einem 15 Milliarden USD Kredit des Internationalen Währungsfonds, da man bisher die Auflagen des IWF nie erreichen konnte oder wollte. Erst dieses Jahr erhielten die Putschisten eine erste Tranche von 1.7 Milliarden USD. Josh Cohen, ein ehemaliger Mitarbeiter des U.S. Agency for International Development (USAID), nannte diese IWF-Kredite für die Ukraine "eine Schocktherapie die sich die Ukraine gar nicht leisten kann."

Es muss also andere Gründe für das dringende Interesse geben. Und welche Rolle spielen die USA in dieser ganzen Sache?

Ich habe in den letzten Tagen hunderte WikiLeaks Depeschen zu diesem Thema durchgelesen, und obwohl ich nicht ein einziges Dokument gefunden habe wo klar und deutlich irgendetwas in die Richtung eines gezielten Planes gegen Russland zu finden ist (was nicht bedeuten soll dass es solch ein Dokument irgendwo in den Archiven gibt die noch unter Geheimhaltung stehen), ergeben diese Depeschen dennoch ein klares Bild. Sie ergänzen das was Professor Stephen F. Cohen der New York University in der Huffington Post geschrieben hat, nämlich dass die USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nie Ernsthaft an einer echten Partnerschaft mit Russland interessiert waren, sondern sich sofort ans Werk machten um "Russland`s post-kommunistische Entwicklung zu diktieren und es zu einem U.S. Klienten zu machen". Professor Cohen schreibt auch, dass es heute keine wirkliche Kooperation mehr zwischen Washington und Moskau gibt und im Grunde seit 1991 nie wirklich eine gegeben hat. Tatsächlich gäbe es heute weniger "essentielle Kooperationen" zwischen den beiden Ländern als vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Und das obwohl Cohen festhält, dass "der Weg zu Amerikas nationaler Sicherheit durch Moskau verläuft".

Die WikiLeaks Depeschen bestätigen diese Einschätzung von Professor Cohen. Die Ukraine spielte für Washington nur deshalb eine Rolle, weil es das Verbindungsstück zwischen Europa und Russland bildet. Alles was Washington interessierte kann auf drei Merkmale reduziert werden: NATO-Erweiterung in die Ukraine, Russland und Sevastopol (russischer Stützpunkt auf der Krim der russischen Schwarzmeerflotte).   
Die amerikanische Unterstützung für die europäischen Ziele der Osterweiterung, inklusive der Ukraine, dienten nur dazu um diese drei US-Interessen zu erreichen. Dass sich die USA vor der EU als Wirtschaftsmacht fürchtet, zeigt sich zum Beispiel in der Handhabung des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP. Aus amerikanischer Perspektive galt es also, die Ambitionen der Europäer bis zu einem Grad zu unterstützen so lange diese Ambitionen nicht den eigenen in die Quere kamen. Und wenn sich diese europäischen Ambitionen noch irgendwie mit amerikanischen vermischen lassen, umso besser. Und genau da kommt das Trans-Atlantische Militärbündnis NATO ins Spiel.

Nur um die historische Aufgabe der NATO nochmal in Erinnerung zu rufen, hier der Text aus dem Gründungsvertrag vom 04. April 1949:
Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nord-atlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen.
 Den Existenzgrund definiert die NATO selbst folgendermassen: Abschreckung der sowjetischen Expansion; die Wiederbelebung von nationalistischem Militarismus in Europa durch eine starke Nordamerikanische Präsenz auf dem Kontinent verbieten; Ermunterung zur politischen Integration in Europa.

 Nachdem es heute die Europäische Union gibt, d.h. die politische Integration in Europa geglückt ist und auch die Gefahr der sowjetischen Expansion nicht mehr vorhanden ist, da es die UdSSR seit mehr als 20 Jahren schon nicht mehr gibt,  und auch die Wahrscheinlichkeit eines nationalistischen Militarismus so gut wie nicht vorhanden ist, gibt es eigentlich seit den 1990er Jahren keinen Grund mehr für dieses Bündnis. Und dennoch gibt es die NATO noch. In Abwesenheit eines wirklichen Feindbildes seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion konzentrierte sich das Bündnis auf den politischen Aspekt ihrer Tätigkeit, der europäischen Integration. Ab 2000 war das gleichbedeutend mit der Osterweiterung in Gebiete, die nur ein Jahrzehnt zuvor noch hinter dem Eisernen Vorhang lagen. Doch während sich Europa auf die strukturelle Integration dieser Länder in die eigene Union fokussierte, ging die NATO noch einen Schritt weiter und positionierte sich durch die Aufnahme dieser Länder in das Militärbündnis direkt vor der Haustüre des ehemaligen Feindes.

Dazu muss unbedingt noch etwas gesagt werden. Während die Osterweiterung der Europäischen Union in einem halbwegs demokratischen Prozess durch die "alten" EU-Länder bestimmt und abgesegnet wurde, verhält es sich bei der NATO-Erweiterung ganz anders.
Zwar müssen die Länder wie auch bei der EU selbst einen Antrag zur Aufnahme stellen, aber entschieden wird einzig und allein in Washington D.C. wer aufgenommen wird und wer nicht. Für jedes neue NATO-Mitglied benötigt es eine Abstimmung im US-Senat mit einer Zweidrittelmehrheit, da sich die Vereinigten Staaten von Amerika ja durch den Beitritt eines Staates auch für dessen Verteidigung verpflichten.
Und, es gibt Wunschkandidaten der NATO. Und eines der grössten verbliebenen Wunschkandidaten ist die Ukraine.

In Washington ist man sich der strategisch wichtigen Lage der Ukraine natürlich vollauf bewusst. Die Ukraine bildete seit Jahrhunderten eine Pufferzone zwischen den verschiedenen Königreichen und späteren Staaten. Die einzige natürliche Barriere in der heutigen Ukraine bildet der Gebirgszug der Karpaten ganz im Westen, an der Grenze zu Polen und Rumänien. Sobald eine Armee die Karpaten überwunden hat, ist der Weg bis nach Russland frei. Ausser Steppen und Äckern würde der angreifenden Armee (aus russischer Sicht) nichts im Wege stehen.

Genau so ist Nazi-Deutschland bereits im Zweiten Weltkrieg in Russland auf ihrem Weg nach Stalingrad einmarschiert. Es kann daher niemanden wirklich überraschen dass die Ukraine für Russland von elementarster Bedeutung für die nationale Sicherheit ist (und war).

Zbigniew Brzezinski, ein polnischer Flüchtling der es aber in den USA bis zum Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter geschafft hat und zu den berühmtesten "Kalten Kriegern" gehört, schrieb in seinem Buch "Das grosse Schachbrett - Amerikas Vorherrschaft und deren geostrategische Imperative" von 1997 folgendes über die Ukraine:
"Ohne die Ukraine hört Russland auf ein Reich zu sein, während mit der Ukraine - zuerst gekauft und dann unterdrückt - es automatisch zu einem Reich wird. Ukraine ist der Aussenposten des Westens um die Neu-Erschaffung der Sowjetunion zu verhindern. Die neue Weltordnung unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten ist gegen Russland und Fragmente Russlands errichtet worden.
Diese Sätze eines der einflussreichsten Männer in der amerikanischen Politik (so ist zum Beispiel Barack Obama ein Schützling von Brzezinski) und dazu noch ein ausgesprochener Gegner Russlands, waren nicht einfach nur Sätze in einem Buch sondern spiegeln tatsächlich die Realität wieder. Sie bestätigen ebenfalls die Behauptung von Professor Cohen, dass die USA heute keine "essentielle Kooperation" mehr mit Moskau betreibt, beziehungsweise seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nie wirklich betrieben haben. Die Ukraine wurde zum Schlüssel der neuen amerikanischen Weltordnung erkoren. Und ganz nebenbei, schon fast heimlich entwickelten die Strategen in Washington in diesem Kontext wieder Russland zum Feindbild für die NATO.
Heimlich deshalb, weil diese Entwicklung nicht wirklich geplant war sondern eine Konsequenz der amerikanischen "Schachzüge auf dem grossen Schachbrett" waren, um bei der Sprache von Brzezinski zu bleiben.

Die USA nutzte die russische Schwäche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus und spannte einen militärischen Schirm über einige Länder aus die früher hinter dem Eisernen Vorhang standen. Mit Ausnahme der drei kleinen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen befanden sich diese Länder aber nicht direkt an der Grenze zu Russland. In Moskau nahm man diese Entwicklung zähneknirschend an, aber man betrachtete es nicht als eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Dann kamen die Terroranschläge von 9/11 dazwischen, wo man sich mit den USA solidarisierte und im "Krieg gegen den Terror" den Amerikanern zur Seite stand. Doch die Regierung von George W. Bush zeigte sich nicht etwa dankbar für die russische Unterstützung, sondern liess nur drei Monate nach den Terroranschlägen die Russen wissen, dass die USA das seit 1972 in Kraft stehende ABM-Abkommen (Anti-Ballistic Missile Treaty oder Vertrag zur Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen) im Jahr 2002 aufkündigen werde.  Mit diesem Abkommen verpflichteten sich die USA und UdSSR ihre Entwicklung von ballistischen Raketen zu limitieren und was noch wichtiger ist, man beschränkte die Stationierung von ballistischen Raketen lediglich auf die jeweilige Hauptstadt sowie einer weiteren Position nach Wahl im jeweiligen Land, allerdings mussten die zwei Standorte mindestens 1300 Kilometer voneinander entfernt sein.
Es handelte sich bei diesem ABM-Abkommen also um ein äusserst nützliches Abkommen das von beiden Seiten ein gewisses Mass an Vertrauen abverlangte. Korrekterweise wurde dieses Abkommen weltweit, aber auch von jeder amerikanischen Regierung bis zur Bush II-Administration als ein "Eckpfeiler der strategischen Stabilität" bezeichnet.

Für die neokonservative Elite der USA, die mit George W. Bush an die Macht kam und nach 9/11 die Gelegenheit erhielt tatsächlich eine neue Weltordnung nach eigener Vorstellung zu modellieren, war dieses ABM-Abkommen natürlich ein Hindernis. Dementsprechend wurde es in diesen Kreisen wie der Heritage Foundation als "historisches Ereignis" gefeiert, als Präsident Bush das Abkommen aufkündigte und man den Anhängern stolz mitteilte, dass man schon seit Jahren daran gearbeitet hat um die Grundlage zur Auflösung dieses wichtigen Abkommens zu schaffen.
Nur kurze Zeit später erklärte Washington seine Absicht, das Raketenabwehrprogramm aus der Reagan-Ära wieder zu reaktivieren und in die Realität umzusetzen. Es sollten aber noch weitere 10 Jahre vergehen bis es dann tatsächlich so weit war und die NATO mitteilte, dass die Raketenabwehr in Europa einsatzbereit ist.
Dass Moskau diese gesamte Entwicklung als eine gegen Russland gerichtete Politik interpretierte kann nicht weiter verwundern, zumal die NATO Russland zwar eine nicht näher definierte "Kooperation" für dieses Raketenabwehrprogramm angeboten hat, jedoch eine gemeinsame Betreibung des Systems ausgeschlossen hat. 

Nebst der militärischen Dimension übte Washington insbesondere mit den sogenannten "Farbrevolutionen" in der traditionellen Einflusssphäre Russlands massiv Druck auf Moskau aus. Was uns als populäre Demonstrationen des Volkes gegen die jeweiligen Regierungen verkauft wurde, wurde so gut wie immer nach dem selben Muster organisiert. Washington hatte nach der Bombardierung von Serbien eine Organisation für sich entdeckt, die ein erfolgreiches Konzept zum friedlichen Widerstand gegen eine ungeliebte Regierung weiterentwickelt hat, die von Dr. Gene Sharp der Oxford University erfunden wurde.
Und was viel wichtiger war, dieses Konzept konnte man in jedem Land ohne grösseres Risiko anwenden, da es sich in diesem Sinne nicht um kriminelle Aktivitäten handelte. Diese Organisation hiess OTPOR! (Widerstand!). Das Besondere an OTPOR! war es, dass sie es geschafft haben verschiedenen Studentenorganisationen unter eine "Führung" zu bringen, um mit vereinter Kraft und einer Stimme ihre Forderungen an die Regierung zu stellen. Im Falle Serbiens war dieser Widerstand noch vollkommen legitim und geschah ohne Einmischung von Aussen. Doch schon kurz nach dem Sturz der Regierung von Slobodan Milosevic suchte der Gründer von OTPOR!, Srdja Popovic, nach Möglichkeiten um mit westlichen Regierungen in Kontakt zu treten. In Washington stiess er dann auf gewaltiges Interesse. Laut den E-Mails von STRATFOR die WikiLeaks erhalten hat, gibt es sogar Hinweise darauf dass der Kontakt zwischen Popovic und Washington nicht erst nach dem Sturz von Milosevic hergestellt wurde, sondern noch während den Protesten von 1999. Popovic`s OTPOR! soll zu diesem Zeitpunkt Geld und Training der CIA erhalten haben.
Im Jahr 2003 wurde OTPOR! in CANVAS (Center for Applied Non-Violent Action and Strategies) umgetauft, eine Organisation die weltweit Studentenbewegungen im zivilen Ungehorsam gegen die jeweilige Regierung ausbildet. Das Problem aber ist, dass CANVAS zu einem Instrument der amerikanischen Regierung geworden ist. Laut der STRATFOR-Email wird CANVAS durch diverse amerikanische Organisationen finanziert und unterstützt, die als weiterführende Arme des US-Aussenministeriums und USAID (U.S. Agency for International Development) gelten. Darunter zählen Organisationen wie Freedom House, Albert Einstein Institute (Gründer Dr. Gene Sharp), International Republican Institute, National Democratic Institute for International Affairs oder auch das Flaggschiff der Neokonservativen Elite, das American Enterprise Institute.

Überall wo es in den vergangenen 11 Jahren zu sogenannten "Farbrevolutionen" kam, angefangen mit "erfolgreichen" Revolutionen in Georgien (Rosenrevolution 2003), Ukraine (Orangenrevolution 2004), Kirgistan (Tulpenrevolution 2004), Libanon (Zedernrevolution 2006) und "Niederlagen" in Weissrussland, Uzbekistan, Azerbaijan, Venezuela, Iran und sogar Russland, spielte CANVAS und somit auch die USA eine tragende Rolle. Kein Wunder interessierte sich auch STRATFOR brennend für CANVAS, um laut WikiLeaks E-Mails an das riesige Netzwerk der Organisation zu kommen.

 Für Moskau bedeuteten diese Farbrevolutionen eine direkte Einmischung der US-Regierung direkt vor der Haustüre. Durch die rasend schnelle Verbreitung der "Revolutionen" war Russland gezwungen, mehr oder weniger von der Seitenlinie aus zu beobachten was sich daraus ergeben würde. Doch wirklich besser wurde es weder in der Ukraine noch in Georgien nach den Revolutionen. Das lag natürlich zum Teil daran dass Moskau den Versuch unternahm die Auswirkungen der "Revolutionen" in den Griff zu bekommen, aber der weitaus grössere Grund für die Instabilität lag daran, dass diese ehemaligen Länder der Sowjetunionen viel zu sehr mit der russischen Wirtschaft und Oligarchie verbunden waren, als dass sie sich davon hätten loslösen können. Je mehr der Westen versuchte diese Länder in die eigene Einflusssphäre zu ziehen, desto grösser wurde die Instabilität.

Als die Orangenrevolution von 2004 in der Ukraine nicht zum erhofften (und schnellen) Kurswechsel führte, fing der noch amtierende US-Präsident George W. Bush im Frühjahr 2008 an, seine NATO-Partner zur Gewährung des Membership Action Plan (MAP) für die Ukraine und Georgien zu drängen, der Vorstufe zur Mitgliedschaft im Militärbündnis. Noch am 1. Februar 2008 erklärte der russische Aussenminister Lavrov der amerikanischen Botschaft in Moskau, dass die NATO-Erweiterung insbesondere in die Ukraine und Georgien als eine "potentielle militärische Bedrohung" eingestuft werden müsse. Man hätte zwar gerne den Beteuerungen der NATO Glauben geschenkt, dass die Erweiterung nicht gegen Russland gerichtet ist, doch die Errichtung von amerikanischen Stützpunkten in diesen Ländern müsse man nicht nach "Absichtserklärungen evaluieren, sondern nach deren Potential".
Doch die USA liess sich von den Einwendungen Lavrov`s nicht beirren und erklärte nur zwei Monate später an der NATO-Konferenz in Bukarest, dass die Ukraine ein NATO-Mitglied werden soll. Noch US-Aussenministerin Condoleeza Rice unterstrich diese Absicht dann noch mit einer Charta, der United States-Ukraine Charter on Strategic Partnership, die am 19. Dezember 2008 in Washington unterschrieben wurde. Zwar ist dieses Dokument kein bindendes Abkommen sondern viel mehr so etwas wie eine Absichtserklärung, es stellte aber dennoch die Weichen weiter auf NATO Expansion in die Ukraine.   

Die heftige öffentliche Reaktion Russlands auf diese Schritte wurde in den USA aber so gewertet, dass man mit dem NATO Engagement in der Ukraine und Georgien genau auf dem richtigen Weg ist um diese Länder vor Russland zu beschützen. Man verfiel in Washington dem Glauben (auch heute noch), dass Moskau nichts weniger vor hat als eine neue Sowjetunion auferstehen zu lassen. War das aber nicht der Existenzgrund der NATO, die Welt vor der Expansion der Sowjetunion zu beschützen? Der neue, der richtige Feind war geboren.
Die Devise ab diesem Zeitpunkt konnte nur noch "jetzt erst Recht" heissen. Die Strategen in Washington liessen sich denn auch nicht von Äusserungen des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukovitsch wie jene vom 2. Juli 2010 vom Kurs abbringen, als er sagte dass die "Ukraine den Kurs einer Blockfreien Politik gewählt hat, um die Entstehung von neuen Trennlinien auf dem europäischen Kontinent zu verhindern."
So ähnlich äusserte er sich auch am 12. Januar 2010, zu diesem Zeitpunkt noch als Präsidentschaftskandidat, als Janukovitsch in einer Fernsehansprache bekannt gab, dass er die Mitgliedschaft in der NATO nicht weiter verfolgen werde. "Stattdessen sollte die Motivation für Reformen in der Ukraine die Erreichung von europäischen technischen und sozialen Standards sein."
Das er die Präsidentschaftswahlen dann auf dieser Plattform auch gewann, hätte im Westen als Zeichen gedeutet werden sollen dass die Mehrheit der Ukrainer gar nicht der NATO beitreten wollte.
Doch der ukrainische Präsident konnte sagen was er wollte, für die NATO bzw. USA gab es nur den Weg nach vorne.

Zu diesem Zweck fingen die Amerikaner an, sich in der Ukraine nach geeignetem "Personal" umzuschauen. Der seit mindestens 2006 für die USA als "Insider" tätige Petro Poroschenko (und heutiger Präsident), den die US-Botschaft in Kiev zwar als "lieben Freund" bezeichnete, aber auch zugeben musste dass er "durch glaubhafte Korruptionsvorwürfe behaftet" war, galt Poroschenko nichtsdestrotrotz als einer den es zu hegen und pflegen galt. Er verfügte über erheblichen Einfluss in der ukrainischen Opposition und man wusste von ihm, dass er ganz im Gegensatz zu Viktor Janukovitsch die NATO-Mitgliedschaft befürwortete.
Der absolute Shootingstar in der ukrainischen Politik war aber ein anderes, mittlerweile auch bei uns bekanntes Gesicht: Arseniy (Jats) Jatsenjuk.

Im Jahr 2008 verfasste die US-Botschaft eine regelrechte Lobeshymne auf Jatsenjuk und hob seine Errungenschaften trotz des politischen zarten Alters von nur 34 Jahren heraus. Bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2008, war Jatsenjuk bereits Wirtschaftsminister, Aussenminister und Parlamentssprecher. Im letzten Teil dieses Jatsenjuk-Profils, wird die rhetorische Frage gestellt wie er wohl als Leader sein würde. Hier die Antwort auf diese Frage:
"Wie beschrieben ist Jatsenjuk ein engagierter, nachdenklicher und pragmatischer Anführer. Unser Eindruck nach Meetings mit dem Sprecher, und als er Aussenminister war, ist, dass er ein ausgesprochen nach vorne blickender junger Politiker ist. Als Ministerpräsident oder Präsident würde er wahrscheinlich Reformorientiert sein, während er sich auf seine politischen Beziehungen stützen würde um Gesetze durchzubringen. Sein wirtschaftlicher Background lässt vermuten, dass er die Aussenpolitik von einem wirtschaftlichen Standpunkt angehen würde, aber er hat sich selbst als offen für eine NATO-Kooperation gezeigt und sein Think Tank demonstriert, dass er über das internationale Image der Ukraine Bescheid weiss.
Dieser Think Tank von dem die Rede, ist die Open Ukraine Foundation, welche wie schon zu erwarten war, vom US-Aussenministerium, der NATO, dem German Marshall Fund of the United States, dem National Endowment for Democracy (wo auch das Who`s Who der Neocons tätig ist), Chatham House und der Stiftung seines grössten Gönners, dem Oligarchen Viktor Pinchuk, unterstützt wird.


Als 2010 Viktor Janukovitsch zum Präsidenten gewählt wurde, sahen sich die USA in ihrer Investition in die Ukraine bedroht. Victoria Nuland, die uns dieses Jahr bereits mit "Fuck the EU" beehrte und auch zugab, dass ebendieser junge Shootingstar aus der ukrainischen Politik in der Tasche der USA steckte, gab aber auch bekannt wieviel die USA in die Ukraine investiert haben: 5 Milliarden US-Dollar.
Dieses Geld wurde zum Teil auch für die Verbreitung der NATO-Propaganda innerhalb der Ukraine ausgegeben, um das Volk endlich auf Linie zu bringen. 2008 wurde Nuland vom ukrainischen Botschafter Sagach informiert, dass die Ukraine eine Million Dollar für diese Propagandazwecke ausgegeben hat. Interessanterweise gab nur drei Monate später Viktor Juschtschenko, der damalige ukrainische Präsident, bei einem Besuch von NATO-Repräsentanten in Kiev an, dass man zwei Millionen US-Dollar für die Propaganda pro Jahr ausgeben will, und das für die nächsten 5 Jahre! 
Woher kam dieses Geld, wenn man doch noch drei Monate zuvor nicht mehr als insgesamt eine Million Dollar aufbringen konnte?

Doch in Washington hegte man noch die Hoffnung, dass die Ukraine auch trotz dem neugewählten Präsidenten Janukovitsch der Ankündigung des abgewählten Präsidenten Juschtschenko treu bleibt, den im Jahr 2017 auslaufenden Vertrag für den russischen Stützpunkt der Schwarzmeerflotte in Sevastopol auf der Halbinsel Krim nicht zu verlängern.
Denn gemäss der NATO-Charta dürfte die Ukraine so lange kein Mitglied werden, so lange sich ein ausländischer Militärstützpunkt im Land befindet.  Für die USA/NATO war also der Kurs klar: spätestens 2017 wird die Ukraine NATO-Mitglied, und der Preis für die USA/NATO wäre Sevastopol gewesen.
Für Russland hätte das bedeutet, dass keine 500 Kilometer von dem kleineren Stützpunkt bei Novorossijsk auf russischer Seite, die NATO über den wichtigsten und grössten Stützpunkt des Schwarzen Meeres verfügen würde. Die Schwarzmeerflotte hätte so jeglichen Bewegungsfreiraum verloren und es hätte unweigerlich zu gefährlichen Spannungen geführt.

Aus den WikiLeaks Dokumenten wird klar, wie die USA versucht hat auf Kiev Einfluss zu nehmen. Sie versuchten es mit Verlockungen wie dem Freihandelsabkommen mit der EU, dem Assoziierungsabkommen mit der EU und versprachen ihren Einfluss beim Internationalen Währungsfonds geltend zu machen, um die in Aussicht gestellten 15 Milliarden US-Dollar endlich zu erhalten. Zudem versuchten sie in verschiedenen Gesprächen, hauptsächlich mit Julia Timoschenko, darauf hinzuweisen, dass es sich für die Ukraine nicht lohnen würde den Vertrag mit Russland für den Stützpunkt Sevastopol zu verlängern. Die 98 Millionen US-Dollar Miete die Moskau jedes Jahr überweist waren in der Tat sehr wenig, verglichen mit den Summen die die USA für ihre Stützpunkte überall auf der Welt bezahlt. Es sollte der Eindruck entstehen, dass die Ukraine vom Westen mehr zu erwarten hätte als das was Kiev von Russland erhält. Aber was in Brüssel und Washington offensichtlich aus den Augen gelassen wurde war die Tatsache, dass es sich die Ukraine nicht leisten konnte zu warten, bis die diversen in Aussicht gestellten Abkommen endlich auch eine Dividende abwerfen. Was Kiev brauchte war Geld, und zwar schnell. Aber das konnte und wollte der Westen nicht liefern.

Als Viktor Janukovitsch 2010 zum Präsidenten gewählt wurde, befand sich die Ukraine in einer schweren finanziellen Krise und der neue Präsident sollte aber das Staatsbudget für das kommende Jahr aufstellen. Ihm blieb eigentlich gar nichts anderes übrig als mit Moskau zu verhandeln. Seine Partner im Westen liess Janukovitsch über diese Verhandlungen im Dunkeln, genauso wie die meisten seiner Landsleute. Man wusste zwar, dass er nach Amtsantritt ein paar Mal nach Moskau gereist ist, aber das war angesichts der engen Verknüpfung beider Länder alles andere als ungewöhnlich. Als er dann nur drei Monate später einen fixfertigen Vertrag in Kharkiv/Ukraine zusammen mit dem russischen Präsidenten Medvedev unterschrieb, waren alle geschockt.
Am meisten aber die Strategen in Brüssel und Washington. Denn das Kharkiv-Abkommen erlaubte es Russland, den Stützpunkt in Sevastopol noch weitere 25 Jahren nach 2017 zu nutzen, also bis zum Jahr 2042 mit einer Option auf weitere 5 Jahre. Zwar blieb die Miete die gleiche (98 Millionen USD/Jahr) auch wenn Ukraine mehr als eine Milliarde US-Dollar jährlich forderte, doch im Gegenzug erhielt Kiev eine 30%-ige Reduktion auf den Gaspreis. Diese Reduktion würde dem bis aufs Äusserste strapaziertem Finanzministerium nur schon für den Rest des Jahres 2010 zusätzliche 2.8 Milliarden US-Dollar in die Kasse spühlen. Ab 2011 bis 2020 sollten es jährlich 4 Milliarden US-Dollar sein, die Kiev durch diese Reduktion einspart und für andere Projekte einkalkulieren kann. Das wären insgesamt 38.8 Milliarden US-Dollar gewesen, die Janukovitsch im Handumdrehen mit Moskau ausgehandelt hat. Das ist mehr als 7mal so viel als Washington für subversive Aktivitäten und angeblichen Hilfsprojekten "investiert" hat, und mehr als das Doppelte als der Internationale Währungsfonds irgendwann eventuell an Krediten zur Verfügung gestellt hätte.
Genau aus diesem Grund beschwerte sich sogar Vladimir Putin, der zu diesem Zeitpunkt Ministerpräsident war, über diese enormen Summen die Medvedev der Ukraine zugestanden hatte. Denn aus russischer Sicht bedeutete dieses Abkommen ein Defizit von etwa 5-6% für das Jahr 2010, da in dem kalkulierten und abgesegneten Budget für dieses Jahr kein Verlust von 2.8 Milliarden US-Dollar vorgesehen war. Natürlich kannte Putin den geostrategischen Wert von Sevastopol, dennoch beschrieb er den ausgehandelten Rabatt für die Ukraine als "exorbitant" und meinte zum russischen Stützpunkt, dass es "keine Militärbasis auf der Welt gibt die so viel Geld gekostet hat".

Obwohl Janukovitsch mit diesem Vertrag von Kharkiv sein Land vor dem sicheren Bankrott bewahrt hatte, brachte er damit insbesondere Washington gegen sich auf. Für die Europäische Union stellte dieses Abkommen in punkto Assoziierungsabkommen keine Gefahr dar wie die Organisation Wider Europe feststellte, die sich für die Transparenz der EU im Umgang mit den Ländern der Union, aber auch europäischen Nicht-EU Ländern einsetzt.
Aber für die Pläne der NATO und somit der USA war dieser Vertrag von Kharkiv eine einzige Katastrophe!

Wie schon weiter oben beschrieben, setze Washington alles daran die NATO in die Ukraine zu bringen. Auch gegen den ausdrücklichen Widerwillen der "Gang of Five", wie Washington seine NATO-Partner Deutschland, Frankreich, Niederlande, Spanien und Norwegen abschätzig nennt (Deutschland ist dabei der "Anführer der Gang of Five"), die sich nicht für die Mitgliedschaft der Ukraine im Bündnis erwärmen konnten. Insbesondere Deutschland machte immer wieder deutlich, dass Berlin nichts von dieser Idee hält. Aussenminister Frank-Walter Steinmeier sagte am 6. März 2008, dass er es "nicht verhehlen kann, dass er skeptisch ist." Auch der deutsche NATO-Botschafter äusserte sich im Juni desselben Jahres bei einem Besuch in der Ukraine ganz ähnlich, als er meinte dass die europäischen Aussenminister ersteinmal abklären müssten, ob die Erweiterung in die Ukraine die Sicherheit von Europa als Ganzes überhaupt verbessern würde. Denn seiner Meinung nach wäre es unmöglich in Europa Sicherheit ohne Russland zu haben, und richtiggehend dumm, es gegen Russland aufzunehmen.

Diese Meinung vertrat nicht nur der "Anführer der Gang of Five", sondern auch der US-Botschafter in Moskau, John R. Beyrle. Seine Analyse aus dem Jahr 2009 war eine ehrliche und realistische, die einen richtigen Dialog zwischen den USA und Russland forderte, um so die ganze Region zu stabilisieren und die Ukraine mit vereinten Kräften auf die eigenen Beine stellen.

Doch in Washington hörte niemand auf solche Worte, erst Recht nicht nach dem Kharkiv-Abkommen von 2010. Die ursprünglichen Ziele sollten nur mit noch grösserem Nachdruck verfolgt werden. Man konzentrierte sich auf die Trümpfe die noch im Spiel waren, und das war die EU mit dem Assoziierungsabkommen.
Als vergangenen November dieses Abkommen in Vilnius hätte unterzeichnet werden sollen, schockierte Viktor Janukovitsch die Welt erneut als er kurz vor der Unterzeichnung verkündete, dass er dieses Abkommen nicht unterschreiben kann.
Aber warum konnte er das nicht? Unsere Medien machten Russland für diesen Rückzieher verantwortlich. Doch Dennis Kuchinich, ein langjähriges Kongressmitglied und US-Präsidentschaftskandidat im Jahr 2008, bietet eine andere Erklärung. Ausgerechnet ein amerikanischer Politiker bietet die wohl wahrscheinlichste Erklärung für diesen erneuten Schlag ins Gesicht der Amerikaner.

Kuchinich nannte das Assoziierungsabkommen der Europäischen Union ein "Trojanisches Pferd der NATO", da sich die NATO durch die Hintertüre in ein Abkommen hineingeschlichen hat, das der hungernden Bevölkerung aber als ein wirschaftlicher Rettungsanker verkauft wurde. Der Entwurf des Assoziierungsabkommens wurde in englischer Sprache auf der Webseite der ukrainischen Regierung veröffentlicht, und man konnte dort nachlesen dass sich die Ukraine durch dieses Abkommen "immer enger an die Annäherung der Standpunkte in bilateralen, regionalen und internationalen Fragen" anbindet, einschliesslich der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik, sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigunspolitik (GSVP) der Europäischen Union.
Diese Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ist der militärische Aspekt des Abkommens wo die NATO ins Spiel kommt. Da von den 28 EU-Staaten 22 in der NATO sind, gibt es gar keine andere Interpretation oder Argumentation zur GSVP als die NATO.
Zurecht weigerte sich also Janukovitsch, dieses Abkommen in dieser Form zu unterschreiben.

Die Tatsache, dass dieses Dokument nach dem Putsch gegen die Regierung von Janukovitsch und der Installierung des Putschistenregimes unter Jatsenjuk von der Homepage der Regierung gelöscht wurde, bekräftigt nur die Erklärung von Dennis Kuchinich. Und natürlich die ganze weitere Entwicklung seit dem Putsch, die die ganze bisher verborgene Absicht der NATO bzw. USA ans Tageslicht brachte. Dass Russland nach dem Putsch aber das für die Ukraine so wichtige Kharkiv-Abkommen aufgekündigt hat, nahm man in Washington billigend in Kauf. Denn ironischerweise müsste sich Washington bei den Menschen der Krim bedanken die sich für eine Aufnahme in die russische Föderation aussprachen, und natürlich bei Putin der diesen Schritt zuliess.
Denn nachdem die Krim sich für die Abspaltung von der Ukraine ausgesprochen hat, befindet sich auf dem momentan realen Staatsgebiet der Ukraine keine ausländische Militärbasis mehr. Das heisst: der Weg für die NATO wäre frei, wenn die internationale Gemeinschaft diese Abspaltung als solche anerkennen würde.

Dass sich Deutschland am Ende doch noch auf dieses gefährliche Spiel eingelassen hat, liegt daran, dass Berlin die Kontrolle über die Energieroute durch die Ukraine haben möchte. Es gibt für Deutschland aus energiepolitischer Sicht keine grössere Katastrophe, als wenn plötzlich kein Gas mehr aus der Ukraine kommt. Berlin handelt ganz nach dem Motto: halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Feinde noch näher. Das ist der Grund warum Deutschland sich so schwer tut mit der Verurteilung der ukrainischen Regierung, die im Krieg gegen die russischsprachigen Föderalisten auf Neo-Nazis zurückgreift.

Freitag, 5. September 2014

Barack Obama will ISIS "degradieren und zerstören"

Noch letzten Donnerstag, am 28. August 2014, erklärte US-Präsident Barack Obama dass das Weisse Haus "noch keine Strategie" zur Bekämpfung des wahhabitischen Islamischen Staates (IS) hat. Man muss aber fairerweise anmerken, dass diese Aussage auf eine explizite Frage eines Journalisten war, der gefragt hatte ob Obama "die Erlaubnis des Kongresses braucht um nach Syrien zu gehen". Gemeint war ob Obama Luftschläge oder eventuell auch Bodentruppen für Syrien ohne ausdrückliche Ermächtigung durch den Kongress anordnen würde, wie er es im Falle von Libyen getan hatte und auch letztes Jahr ganz kurz davor stand diese für Syrien zu genehmigen.

Eine Woche später scheint man nun doch eine Strategie gefunden zu haben. Aus Tallinn, der Hauptstadt des baltischen Staates Estland, wo sich Obama zur Zeit aufhält um der Region die amerikanische Unterstützung gegen die angebliche Bedrohung aus Russland zu versichern, eröffnete der amerikanische Präsident der Welt die neue Strategie:
"Unser Ziel ist klar und das ist die Degradierung und Zerstörung von ISIL (ein anderer Name vor der Ausrufung des IS-Kalifats = Islamic State of Iraq and Levante), so dass es nicht mehr länger eine Bedrohung ist - nicht nur für den Irak, sondern auch für die Region und die Vereinigten Staaten."
Obama machte auch vage Angaben wie diese neue Strategie umzusetzen ist, indem die USA in einer Kombination von regionaler Zusammenarbeit, Luftschlägen und Bodenoffensiven die wahhabitischen Extremisten der ISIS bezwingen wollen.

Das ist auch prinzipiell der einzige Ansatz der zum Erfolg führen könnte. Die grösste Frage wird sein, wie diese "regionale Zusammenarbeit" aussehen wird. Diese Frage wird über den Erfolg oder eben Misserfolg entscheiden. Bis jetzt scheint Washington die richtigen Hebel in Bewegung gesetzt zu haben, wie das Beispiel der irakischen Stadt Amerli erst kürzlich gezeigt hat. Eine entscheidende Rolle bei der Sprengung des Belagerungsringes die die wahhabitischen Extremisten um die Stadt Amerli gelegt haben, spielte der Iran. Zwar wird in den westlichen Medien hauptsächlich das US-Bombardement der ISIS-Stellungen als Ursache für diesen ersten, wichtigen Sieg porträtiert, doch in Wahrheit wird Washington diesen Kampf nicht ohne die Zusammenarbeit mit dem Iran   gewinnen können (siehe zum Beispiel FAZ oder Focus).  

                   Qassem Suleimani - General und Kommandeur der Al Qods Force der iranischen Revolutionswächter

Entscheidend wird aber auch sein, wie Saudi Arabien und die anderen Petromonarchien auf diese wichtige iranische Rolle reagieren werden. In den bisherigen bewaffneten Konflikten in der Region seit dem Golfkrieg von 1991 spielten sie eine wesentliche Rolle, doch diesesmal sind sie dazu verdammt von der Seitenlinie die Entwicklung zu beobachten. Denn der Islamische Staat ist nicht nur deshalb zur grössten Bedrohung der korrupten Herrscherhäuser auf der Arabischen Halbinsel geworden weil sie ihm bei der Taufe Pate standen, sondern weil die Ideologie hinter dem Islamischen Staat dieselbe ist, die insbesondere in Saudi Arabien nach wie vor der Grundpfeiler des Königreiches darstellt: der Wahhabismus.

Aus aktuellem Anlass veröffentliche ich untenstehend noch einmal einen Artikel aus dem letzten Jahr, da er gerade in dieser Situation im Kampf gegen den Islamischen Staat nichts an Aktualität verloren hat.

Warum Saudi Arabien gefährlich ist (03.09.2013)


 Es ist schon seltsam wie schnell die Menschen vergessen. In ein paar Tagen werden sich die Menschen für eine Gedenkminute anlässlich der Todesopfer von 9/11 zum zwölften Mal (13. Mal in 2014) sammeln, diesesmal vor dem fertig gestellten One World Trade Center , an exakt der gleichen Stelle wo 2001 noch die Zwillingstürme von New York standen.
Man wird sich der Opfer gedenken und angesichts des neuen Wahrzeichens von New York aber auch gleichzeitig stolz darauf sein, dass die amerikanische Nation sich nicht vor dem islamistischen Terror in die Knie zwingen lässt. Woran aber so gut wie niemand mehr daran denkt, oder besser gesagt, woran man noch überhaupt wenig in der breiten Öffentlichkeit gedacht hat, ist die Tatsache dass fast alle der Terroristen in diesen Flugzeugen Bürger aus Saudi Arabien waren.

Sie kennen ja die weitere Geschichte. Der damalige US-Präsident George W. Bush erklärte seinen "Krieg gegen den Terror" (eine schreckliche Bezeichnung da man keinen Krieg gegen eine Form des Krieges führen kann, das wäre so wie wenn man sagt man führt Krieg gegen den asymetrischen Krieg) und marschierte in Afghanistan ein, 1,5 Jahre später dann auch noch in den Irak.

Noch heute stehen die USA und die EU zusammen mit Saudi Arabien auf einer Seite im Krieg in Syrien, genau so wie in der Dämonisierung des Irans. Und das obwohl den jeweiligen Geheimdiensten bekannt ist, dass es Hunderte wenn nicht gar Tausende von Saudis gibt, die bereits im Irak gegen die US-Truppen gekämpft haben und nun Seite an Seite in Syrien mit eben jener Organisation stehen, die doch eigentlich für den Anschlag von 2001 auf die USA verantwortlich sein soll.

Folgt man nur den Medien dann käme man gar nicht auf die Idee, dass sich hinter der Fassade des vermeintlichen Partners, oder wie es der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert bezeichnete, einer "Stabilität in der Region", ein gänzlich anderes Bild sich präsentieren würde. Bundeskanzlerin Merkel definierte diese "Stabilität" noch etwas genauer: "Wir brauchen Stabilität und Sicherheit, gerade der Iran ist eine grosse Bedrohung."
Der Iran ist also eine Bedrohung, angeblich wegen des Atomprogramms welches das Land zwar absolut legal betreiben darf, doch von Israel und dann auch von den USA so nicht akzeptiert wurde. Nun hat auch Deutschland dieses Mantra übernommen, denn um was für eine Gefahr es sich konkret handeln soll die vom Iran ausgeht, hatte Frau Merkel nicht angegeben.
Die andere Botschaft aus dem gleichen Satz war aber, dass Saudi Arabien als Stabilitätsfaktor des Mittleren Ostens betrachtet wird. Nun, mit Sicherheit stellt Saudi Arabien einen wesentlichen Faktor in der Region dar, nur nicht als den herbeigewünschten Stabilitätsfaktor.

Betrachtet man ganz nüchtern die Realität des heutigen Mittleren Ostens, dann stellt Saudi Arabien genau das Gegenteil dar, nämlich einen Un-Stabilitätsfaktor!
Wie ich bereits im Bericht "Saudi Arabiens blutige Spur" berichtete, beschwerte sich Obama`s erste Aussenministerin Hillary Clinton im Jahr 2010 darüber, dass Saudi Arabien nach wie vor zu den grössten Unterstützern von Terroristen gehört. Jawohl, Saudi Arabien, jenes Land das nach den Worten von Angela Merkel für Stabilität und Sicherheit in der Region sorgen soll, gehört zu den grössten Unterstützern von Terroristen.
Es ist aber nicht die saudische Regierung, sprich das Haus Al-Saud, welche eine offizielle Politik in der Unterstützung von wahhabitischen Terroristen und Extremisten verfolgt, sondern es ist viel mehr das wahhabitische System welches dafür verantwortlich ist. Da aber das Haus Al-Saud unmittelbar an diesem System beteiligt ist, trägt es durch die Gewährung dieses Systems auch indirekt für die Prolifikation der wahhabitischen Missionierung und Finanzierung von Madrassas, Islamischen Zentren und auch extremistischen Gruppierungen die Verantwortung.

Dieses Problem scheint nun auch die EU erkannt zu haben und hält in der Studie des Europäischen Parlaments fest; dass "basierend auf diesen Ergebnissen und dem Ausmass der Verwicklung in terroristische Aktivitäten von Salafisten/Wahhabiten, müssen wir das Risiko der endlosen Fortsetzung der Bedrohung feststellen, welche vor allem die lokale Bevölkerung plagt, aber auch die politischen und wirtschaftlichen Interessen aller Nationen in dieser Region (bedroht)."
In der gleichen Studie wird auch festgehalten, dass diese wahhabitischen Gruppierungen auch weiterhin von Saudi Arabien finanziert und unterstützt wurden.
Die EU ist aber nicht die einzige Institution die von der wahhabitischen Verbindung zwischen Saudi Arabien und den diversen ideologisch nahestehenden Gruppierungen Bescheid weiss. Es gab in den letzten Jahren zahlreiche Anhörungen vor verschiedensten Ausschüssen in den USA (siehe hier, hier und hier), die allesamt die gleiche Botschaft vermittelten: nicht die direkte saudische Regierung (also offizielle Regierung) stellt eine Bedrohung dar, sondern die globale Prolifikation des Wahhabismus, welches aber als Grundpfeiler der offiziellen saudischen Aussenpolitik dient.

Bisher vermied man es tunlichst eine Beziehung zwischen Saudi Arabien und dem Terrorismus öffentlich herzustellen, wie sich nun aber herausstellte hat Prinz Bandar bin Sultan, der Chef des Geheimdienstes, genau das zum ersten Mal getan als er in Moskau bei Vladimir Putin um seine Hilfe bat. Bandar sagte zu Putin: "Es gibt viele gemeinsame Werte und Ziele welche uns zusammenbringen, insbesondere der Kampf gegen Terrorismus und Extremismus überall auf der Welt. ... Zum Beispiel kann ich Ihnen eine Garantie zum Schutz der Winter-Olympiade in Sotschi am Schwarzen Meer nächstes Jahr geben. Die tschetschenischen Gruppen welche die Sicherheit der Spiele bedrohen werden durch uns kontrolliert, und sie werden sich nicht in Richtung Syrien bewegen ohne es mit uns zu koordinieren. Diese Gruppen machen uns keine Angst. Wir nutzen sie gegen das Syrische Regime, aber sie werden keine Rolle oder Einfluss in Syriens politischer Zukunft haben."
Darauf erwiderte Putin: "Wir wissen dass ihr die Tschetschenischen Terroristen über ein Jahrzehnt lang unterstützt habt. Und diese Unterstützung, über welche Sie gerade eben so offen gesprochen haben, ist komplett unkompatibel mit den allgemeinen Zielen des Kampfes gegen den globalen Terrorismus welchen Sie erwähnt haben."

Wie Recht der russische Präsident doch hat, man kann sich nicht als Partner im Kampf gegen globalen Terrorismus verkaufen, während man gleichzeitig genau diesen Terrorismus unterstützt und teilweise sogar, nach den Worten Prinz Bandar`s, kontrolliert.

Um diese Situation zu verstehen, muss man sich mit der einzigartigen Konstellation des saudischen Machtsystems auseinandersetzen. Einen Anfang habe ich mit dem Bericht "Aufstieg des Wahhabismus" und "Saudi Arabien Teil 2" gemacht, aber das reicht noch nicht ganz um die Gefährlichkeit des saudischen Systems tatsächlich zu verstehen. Da aber genau dieses Verständnis für einige der aktuellen Krisen unerlässlich ist, versuche ich einen erneuten Vorstoss.

Wahhabismus

Der Wahhabismus ist per se eine eine religiös-theologische Abweichung der klassischen sunnitischen Islamschulen wie Hanafi, Ja`fari, Maliki, Shafi`i und Hanbali und wurde bei seinem Erscheinen im 18. Jahrhundert von den anderen islamischen Führern als Häresie abgetan.
Hauptsächlich deshalb weil der Wahhabismus für sich den Anspruch erhob, die einzig wahre Lehre nach den Vorstellungen des Propheten Muhammad zu sein und alle andere Muslime welche sich nicht dieser neuen Lehre unterwerfen wollten, wurden als Ungläubige bezeichnet welche das Leben nicht verdient haben. Gleichzeitig erachteten es die Wahhabiten als ihre missionarische Pflicht, ihren Glauben nach Aussen zu bringen. Diese Missionierung wurde allerdings nicht durch Predigten oder Überzeugungen durchgeführt, sondern mit den Mitteln des Jihad.
Das stellte eine absolutes Novum im Islam dar. Keine andere Rechtsschule der Sunniten, noch die Schiiten, versuchten andere Muslime durch einen Jihad zu ihrer Interpretation der Lehre des Propheten zu unterjochen. Ausserdem hatten die Menschen die diesen "Missionierungen" der Wahhabiten ausgesetzt waren gar keine Wahl: entweder sie unterwarfen sich oder sie wurden getötet!
Für die Wahhabiten wurde somit der Jihad gegen Ungläubige, und wie schon gesagt waren damit nicht nur Nicht-Muslime gemeint, zum sechsten Grundpfeiler ihrer Religion (der Islam beruht auf 5 Grundpfeilern die jeder Gläubige einhalten muss: Glaubensbekenntnis shahada, Gebet salat, Almosenabgabe zakat, Ramadanfasten saum, Pilgerfahrt nach Mekka hajj).

Dieser Jihad muss nicht zwingend für jedermann gleichbedeutend mit Waffengewalt sein, das kann auch in Form der Weiterverbreitung des Wahhabismus oder auch der finanziellen Unterstützung von Organisationen sein, die sich entweder der Weiterverbreitung oder eben des bewaffneten Kampfes verpflichtet haben. 

In der Praxis bedeutet das also dass es eine heilige Pflicht für reiche Wahhabiten darstellt, wenn sie Organisationen zur Missionierung der islamischen Welt, der umma, wie beispielsweise die WAMY oder OIC unterstützen oder eben auch bekannte Terrorgruppierungen wie Al Qaida, Lashkar e-Taibi oder Lashkar e-Jhangvi in Pakistan finanziert.
Betrachtet man das Curriculum der Schulen in Saudi Arabien und den Umstand, dass über die Hälfte der Pflichtfächer mit der Religionslehre zu tun haben, dann wird man verstehen können woher dieser religiöse Extremismus von Jihadisten aus den verschiedensten Ländern kommt.
Hier einige Auszüge aus den saudischen Schulbüchern:

- Bücher aus der 4. Klasse legen den Schülern nahe, "Polytheisten und Ungläubige zu hassen, damit sie zum Wahren Glauben finden.
- Bücher aus der 5. Klasse lehren die Schüler, dass "Muslime die ungläubigen Feinde Gottes weder lieben noch ihnen helfen dürfen". Mit "ungläubigen Feinden Gottes" werden primär Juden, Christen und Schiiten bezeichnet. Weiter wird von den Juden behauptet dass sie Nachfahren von Affen sind, während Christen von Schweinen abstammen.
- Bücher aus der 6. und 7. Klasse befassen sich u.a. mit Vorgaben für die muslimische Welt. So darf beispielsweise an Beerdigungen niemand anderes sprechen als der Vertreter des Klerus, Gefühle zeigen dürfen die Angehörige des Verstorbenen nicht und es darf an Gräbern nicht gebetet werden. Wer das alles dennoch tut, wird als "Ungläubiger" gebrandmarkt und entsprechend behandelt, weil diese "Schandtaten" eine direkte Nachahmung der Christen sei.
- Bücher aus der 9. Klasse beziehen sich viel mehr auf den Kampf gegen Ungläubige. So steht geschrieben dass "es Teil der Weisheit Gottes ist, dass der Kampf zwischen Muslimen und Juden bis zur Stunde des Gerichts weiterführt."
- In der 12. Klasse wird dann die Pflicht des Jihads gelehrt. So heisst es dort: "Jihad auf dem Pfad Gottes - welcher aus dem Kampf gegen Unglauben, Unterdrückung, Ungerechtigkeit, sowie gegen jene die es ausführen, besteht, - ist das Höchste im Islam. Diese Religion entstand durch den Jihad und durch Jihad wurde sein Banner emporgehoben. Es ist eines der nobelsten Taten welchen einen näher zu Gott bringen, und einer der prächtigsten Handlungen des Gehorsams gegenüber Gott."

Und genau das was in den Schulen Saudi Arabiens gelehrt wird, wird natürlich auch in den vielen Madrassen (religiösen Schulen) den Studenten eingetrichtert die von Saudi Arabien unterstützt, gefördert und/oder finanziert werden. Insbesondere in Pakistan und Indien, aber auch im Kaukasus, einigen Ost-Afrikanischen Ländern sowie in Bosnien ist dieser Einfluss des Wahhabismus deutlich spürbar.


Wahhabismus vs. Muslimbruderschaft

Durch die besondere Konstellation des Wahhabismus in Saudi Arabien, nämlich die Verschmelzung des Klerus mit dem Haus Al-Saud (zurückzuführen auf das Jahr 1744 durch die Allianz von Muhammad ibn Abdul Wahhab und Muhammad ibn Saud), besitzt die ulama (der Klerus) über eine ungewöhnliche Machtfülle innerhalb einer ansonsten äusserst absolut geführten Monarchie. So untersteht der ulama das Bildungs- und das Justizministerium wo das Königshaus nichts zu sagen hat. Obwohl der Wahhabismus keine andere Form der Anbetung als nur zu Gott akzeptiert, wird den Bürgern und Bürgerinnen von Saudi Arabien bedingungslose Loyalität gegenüber dem König abverlangt. Keine Demokratie, keine Opposition oder Reformbewegung oder Ruf nach einer gerechteren Verteilung der Öleinnahmen.

Hingegen ist die Muslimbruderschaft gänzlich anders strukturiert und aufgebaut. Gegründet in den 1920er Jahren in Ägypten durch Hassan al-Banna, sollte die Muslimbruderschaft "dem Vaterland, der Religion und der Nation dienen". Bereits dieser erste Slogan der Muslimbruderschaft zeigte, dass es sich bei dieser Organisation um eine Form von Nationalismus handelte, wobei natürlich der Islam als Religion eine wichtige Rolle für die Definition der Werte und Moral spielen sollte. Hassan al-Banna verstand sich und seine Organisation als anti-britisch und pro-ägyptisch. Dabei muss man sich kurz vor Augen führen dass Ägypten zu diesem Zeitpunkt zwar eine Monarchie war, aber gänzlich unter der Kontrolle Grossbritanniens stand. Aus diesem Grund war auch al-Banna gegen die Briten und deren Kolonialherrschaft genau so wie er gegen die korrupte Monarchie war.
Im Gegensatz zum Wahhabismus in Saudi Arabien ging es der Muslimbruderschaft nicht um die Verbreitung einer bestimmten Glaubenslehre, ganz im Gegenteil. Solange die Mitglieder sunnitische Muslime waren und alle dem obersten Ziel, der Absetzung der Monarchie und Vertreibung der Briten dienten, spielte der einzelne Glaube der Mitglieder keine Rolle für die Organisation. Man verstand sich als eine politische Organisation, nicht als eine theologische.
Durch diese Positionierung der Muslimbruderschaft gelang es al-Banna eine grosse Anhängerschaft in kürzester Zeit zu gewinnen und mit dem ausgebrochenen Kampf um Palästina, wurde die Muslimbruderschaft auch "internationalisiert" und nahm selbst an Kampfhandlungen teil.

Im Februar 1949 wird Hassan al-Banna von Unbekannten getötet, nachdem am 28.12.1948 der ägyptische Ministerpräsident Mahmoud al-Nuqrashi von einem Mitglied der Muslimbruderschaft ermordet wurde. Eine Ära der Organisation ging nach dem Tod von al-Banna zu Ende, aber nicht sie selbst. Bei dem Militärputsch 1952 durch die Freien Offiziere unter der Führung von Gamal Abd al-Nasser spielte die Muslimbruderschaft eine wesentliche Rolle, unter der Bedingung dass die Freien Offiziere nach der Machtergreifung sich an die Abmachung wie Islamisierung Ägyptens halten würden. Doch Nasser dachte nicht daran seinen Teil der Abmachung zu halten, was ihm natürlich den Zorn der Muslimbruderschaft bescherte. Dieser Zorn entlud sich am 26.10.1954 in einem Attentatsversuch an Nasser, welchen er aber überlebte. Was folgte war eine regelrechte Verfolgung und Ausrottungsversuch des Regimes gegenüber der Muslimbruderschaft (ähnlich wie jetzt nach dem Putsch gegen Präsident Mursi), was viele Mitglieder dazu veranlasste ins Exil zu fliehen.

Ein sehr grosser Teil dieser Exilanten floh nach Saudi Arabien, wo sie mit offenen Händen empfangen wurden. Just zu dieser Zeit suchte Saudi Arabien händeringend nach qualifizierten Lehrern als das Königreich die ersten Früchte aus der Ölindustrie in die Bildung umzusetzen versuchte. Da kamen die ägyptischen Flüchtlinge einem Geschenk Gottes gleich: viel besser ausgebildet, auf der Suche nach Sicherheit und mit Hass auf das ägyptische Regime waren diese Männer die perfekten Kandidaten.
Obwohl ja ein grosser Teil dieser Exilanten eine andere Vision der Staatsführung und der Rolle des Islams hatten als die wahhabitischen Saudis, waren sie zu jenem Zeitpunkt nie eine ernsthafte Bedrohung für das Haus Al-Saud. Das ganz normale saudische Volk wuchs erst noch in die Rolle einer moderneren Zivilgesellschaft heran, die Verankerung in der Beduinischen Tradition und der wahhabitischen Religion insbesondere in deren Stammland, dem Najd, noch tief und fest. Ausserdem sorgte die ulama während den Freitagspredigten dafür, dass bei allfälligen "Auswüchsen" der neuen Lehrer und Professoren nicht zu viel Gewicht beigemessen wird.
Allerdings traf in Saudi Arabien auch noch eine andere, eine neue Strömung der Muslimbruderschaft ein: die "Qutbisten", benannt nach Sayid Qutb.

Sayid Qutb war sozusagen ein Neuzugang in der Muslimbruderschaft, er schloss sich 1951 der Organisation an nachdem er von seiner Studienreise in die USA völlig radikalisiert nach Ägypten zurückkehrte. Auch die Säuberungswelle von Nasser und seiner eigenen Inhaftierung nach dem Attentatsversuch, sorgte dafür dass Sayid Qutb eine völlig andere Vision der Muslimbruderschaft entwickelte als es Hassan al-Banna und seine Nachfolger geplant hatten.
Das wichtigste Merkmal von Qutb war seine öffentliche Erklärung, dass die ganze muslimische Welt unislamisch sei. Unislamisch deswegen, weil seiner Meinung nach die Muslime nur und ausschliesslich Gott zu folgen haben und nicht einem irdischen Vertreter. Da es aber überall einen Präsidenten oder König gab, erkärte er konsequenterweise die islamische Welt für un-islamisch. Diese Ansicht ist nicht neu oder eine Erfindung von Qutb, sondern entspricht der Weltsicht des mittelalterlichen Gelehrten (von 1263-1328)  Ibn Taymiyya

Dieser Strom der Muslimbruderschaft, die Qutbisten, fanden in Saudi Arabien eine Ordnung vor, die ganz und gar ihrer eigenen Weltsicht entsprach. Es entstand eine äusserst fruchtbare Interaktion zwischen Wahhabiten und den Qutbisten. Wo vorher so gut wie gar keine politische Dimension innerhalb des Wahhabismus bestand, entwickelte sich die Verschmelzung der Qutbisten und deren wahhabitischen Schülern zu einer eigenständigen, hoch politisierten wahhabitischen Kraft: der sahwah (die Erweckung). Ein junger Mann namens Osama bin Laden war beispielsweise das prominenteste Ergebnis dieser Verschmelzung, als er beim Bruder von Sayid Qutb, Muhammad Qutb, die Schulbank drückte, ebenso wie sein späterer Mentor in Pakistan, Abdallah Azzam.

Als der von Gamal Abd al-Nasser propagierte Pan-Arabismus schliesslich zusammenbrach, bedeutede das im ersten Moment eine riesengrosse Erleichterung für die saudischen Herrscher. Denn der von Nasser propagierte "ein Staat für alle Araber" stellte eine elemantere Bedrohung für das Haus Al-Saud dar. Die Herrscherfamilie wusste dass sie nicht über einen uneingeschränkten Zuspruch der saudischen Bevölkerung verfügte, und die Gefahr dass sich das Volk gegen die Herrscherfamilie auflehnte war zumindest theoretisch äusserst real. In der Praxis aber war das saudische Volk nicht bereit für einen Sturz, es fehlte an enstsprechenden Anführern und in letzter Konsequenz auch am benötigten Willen dazu.
Nach dem Zusammenbruch dieses Pan-Arabismus nach dem so genannten Sechstagekrieg 1967 mit Israel, stand die Region offen für die Ausbreitung einer neuen Ideologie. Hier reagierte die Muslimbruderschaft schneller und aktiver.
Die Saudis zogen erst nach, als im November 1979 die Grosse Moschee von Mekka von wahhabitischen Eiferern besetzt wurde, was zur Folge hatte dass das Haus Al Saud sich gegenüber der ulama verpflichten musste, sich aktiv an der Verbreitung des Wahhabismus zu engagieren (siehe mein Bericht "Saudi Arabiens Geister").

Von 1979 bis heute konnte der Wahhabismus sich in folgenden Ländern ausserhab des Persischen Golfes dominant (d.h. mehr als 1/3 des Territoriums unter theologischer oder effektiver Kontrolle) etablieren: Pakistan, Indien, Afghanistan, Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien. Weniger dominant, aber dennoch spürbar präsent: Philippinen, Indonesien, Malaysia, Süd-Thailand, Bosnien, Niederlande, Grossbritannien, Deutschland, Tunesien, Ägypten, Libyen, Sudan, Algerien.


 Missionierung in Bosnien durch die wahhabitische Organisation "Poziv u Raj", was soviel bedeuted wie "Einladung ins Paradies". Gastredner war u.a. der deutsche "Prediger" Sven Lau

Auflauf und Demonstration von Wahhabiten im bosnischen Zenica im Jahr 2011











Der bislang grösste Erfolg für die wahhabitische Expansion ist der Sturz des ägyptischen Präsidenten Mursi und die anschliessende Welle der Zerstörung der Muslimbruderschaft, welche sich zwei Jahre lang an der Spitze des Erfolges wähnte. Das grösste arabische Land mit 83 Millionen Einwohnern, verglichen mit 29 Millionen in Saudi Arabien, steht nun unter enormen Einfluss der Saudis. Das machte sogar König Abdullah in einer ungewöhnlichen Ansprache klar:
"Die ganze Welt soll es wissen, dass die Bevölkerung und die Regierung des Königreiches Saudi Arabien an der Seite unserer Brüder in Ägypten stand und auch heute noch steht, (im Kampf gegen) Extremismus, Terrorismus und Aufwiegelung, und gegen jeden der es versucht in Ägyptens interne Angelegenheiten sich einzumischen."

Klarer können Worte nicht sein. Und angesichts der Entwicklung und Verbreitung des Wahhabismus seit 1979, insbesondere aber der Tatsache dass sich diese Entwicklung nicht einmal durch die Amerikaner seit 9/11 stoppen liess, zeigt wie strategisch das Haus Al Saud den Wahhabismus in die Welt exportiert. In Syrien zeigt sich dieser Export von seiner hässlichsten Seite. Und trotzdem stehen die USA und einige Länder der EU an der Seitenlinie und klatschen begeisterten Beifall, ohne begriffen zu haben, dass die Milliarden von Dollars oder Euros die durch Rüstungsgeschäfte mit Saudi Arabien verdient werden, auch ihren Preis haben wie es erst vor einigen Tagen das Rüstungsgeschäft mit Frankreich zeigte. Just in dem Moment als sich die Anzeichen auf einen Angriff auf Syrien erhärten, wo Frankreich nach dem Absprung Grossbritanniens momentan noch der letzte verbliebene "Partner der Willigen" für Obama geblieben ist, wird dieses Rüstungsgeschäft nach jahrelangen Querelen unter Dach und Fach gebracht.