Dienstag, 28. Oktober 2014

Amerikas Doppelstandard bei US-Opfern in Israel

Glenn Greenwald hat auf The Intercept einen Artikel geschrieben, in welchem er den amerikanischen Doppelstandard im Umgang bei US-Opfern in Israel und Palästina festhält. Innerhalb von nur einer Woche sind amerikanische Staatsbürger in Jerusalem und Silwad Opfer einer Gewalttat geworden. Doch anstelle einer universellen Verurteilung der Gewalttat gegen amerikanische Staatsbürger werden vom US-Aussenministerium Unterschiede in der Beurteilung und Verurteilung der Gewalttat gemacht, abhängig davon ob die Urheber der Tat Palästinenser oder israelische Juden sind. Da sich diese zwei schlimmen Vorfälle innerhalb kürzester Zeit ereignet haben, ist es wichtig auf diesen Doppelstandard des US-Aussenministeriums hinzuweisen und deshalb hier der von mir übersetzte Artikel von Glenn.

"Vergleiche wie die USA auf die Tötung von amerikanischen Kids auf der Grundlage der Identität der Mörder antworten

Letzten Mittwoch wurde in Jerusalem ein dreimonatig altes amerikanisches Baby getötet und acht weitere Personen verletzt, als sich ein Fahrzeug durch einen vollen Fussweg pflügte. Der Fahrer, ein  20-jähriger Palästinenser mit dem Namen Abed e-Rahman a-Shaludi wurde von der Polizei getötet als er von dem Tatort fliegen wollte. Die Familie des Fahrers beharrt darauf, dass es sich um einen Unfall handelte, aber israelische Offizielle bezeichneten es umgehend als einen "Terrorakt". Einige Israelis spekulierten dass es sich um eine Vergeltung für die Ermordung eines 5-jährigen palästinensischen Mädchens durch einen israelischen Siedler handelt, der (nur einige) Tage zuvor mit seinem Wagen in sie hinreinraste (und ein anderes palästinensisches Mädchen schwer verletzte) und dann vom Tatort geflüchtet ist (palästinensische Offizielle verurteilen diesen Vorfall als "Terrorismus"). 

Gestern (am 24.10.14) erschoss ein Soldat der israelischen Armee einen 14-jährigen Jungen in der West Bank der an einem Protest gegen die fünf Jahrzehntelange Besatzung teilnahm. Der Junge, Orwah Hammad, war ein US-Bürger und ein Palästinenser; er wurde in New Orleans geboren und zog mit seiner Familie in die West Bank als er 6 Jahre alt war. Die IDF (Israel Defence Forces) behauptet, er habe mit Steinen auf israelische Soldaten geworfen und dass ein anderer Mann sich vorbereitete um einen Molotov-Cocktail zu werfen, und dass das die scharfe Munition rechtfertigen würde die sie benutzt haben.

Das US-Aussenministerium erliess jeweils eine Stellungnahme zu den beiden Vorkommnissen. Hier ist diejenige die zum Vorfall von letzter Woche erlassen wurde als ein palästinensischer Fahrer das amerikanische Baby in Jerusalem getötet hat; veröffentlicht am gleichen Tag des Vorfalls (d.h. noch bevor irgendeine Untersuchung durchgeführt wurde):
Terroristische Attacke in Jerusalem                                                                                   Die Vereinigten Staaten verurteilen auf das Schärfste den heutigen Terroranschlag in Jerusalem. Wir bekunden unser tiefstes Beileid der Familie des Babys, wie verlautet ein amerikanischer Bürger, das durch diesen verachtenswerten Anschlag getötet wurde, und übermitteln unsere Gebete für eine vollständige Genesung den anderen Verletzten. Wir fordern von allen Seiten die Ruhe zu bewahren und zur Vermeidung einer Eskalation der Spannungen aufgrund dieses Vorfalles.


Hier ist die deutlich andere Stellungnahme des US-Aussenministeriums die letzte Nacht (am 24.10.14) veröffentlicht wurde über die fatale Erschiessung eines 14-jährigen amerikanischen Jungen durch einen israelischen Soldaten:
Tod eines US-Minderjährigen in Silwad                                                                                                                               Die Vereinigten Staaten äussern ihr tiefstes Beileid der Familie eines US-Minderjährigen der von den Israeli Defence Forces bei Zusammenstössen in Silwad am 24. Oktober getötet wurde. Offizielle des US-Generalkonsuls in Jerusalem stehen im Kontakt mit der Familie und bieten die ganze erforderliche konsularische Unterstützung an. Wir fordern eine schnelle und transparente Untersuchung und bleiben im engen Austausch mit den Lokalbehörden welche die Führung über die Untersuchung innehaben. Wir bleiben dabei alle Parteien zur Erhaltung der Ruhe zu drängen und zur Vermeidung der Eskalation von Spannungen aufgrund der kürzlichen tragischen Vorfällen in Jerusalem und der West Bank.

Es ist sicherlich nichts falsch dabei um die Resultate einer Untersuchung abzuwarten bevor man endgültige Stellungnahmen abgibt, aber das ist nicht das was das Aussenministerium im Jerusalem-Fall gemacht hat, welcher umgehend als "verachtenswerter" Akt des "Terrors" bezeichnet wurde. Vielmehr wollen die USA wenn sie nach einer "schnellen und transparenten Untersuchung" der West Bank-Schiesserei rufen, dass die IDF - die Besatzungsmacht die den amerikanischen Teenager getötet hat - (den Fall) selbst untersucht (und unausweichlich sich selbst von jeglicher Schuld befreit). (Rania Khalek dokumentierte heute wie reflexiv die israelischen Behörden israelische Siedler und Soldaten (von jeglicher Schuld) befreien, während Palästinenser in ähnlichen Umständen umgehend für schuldig befunden werden) 
Wie die Familie des Fahrers den israelischen Medien erzählt hat:
Vor ein paar Tagen überfuhr ein jüdischer Siedler in der Nähe von Ramallah zwei Mädchen. Er tötete eine und die andere ist schwer verletzt. Die Polizei sagte umgehend es wäre ein Unfall gewesen. In unserem Fall sagten sie in Sekunden (genau) das Gegenteil. Das ist weil der Fahrer ein Araber war. Als ein jüdischer Fahrer in einen Unfall verwickelt war, war das Verhalten anders und niemand erschoss ihn.
Was auch immer wahr ist, IDF-Soldaten sollten nicht in der West Bank sein weil die Besatzung die sie dort durchführen von nahezu der ganzen Welt als illegal betrachtet wird. 

Am Wichtigsten (aber ist), dass die US-Regierung eine bemerkenswerte Geschichte der ausgestellten Gleichgültigkeit, oder sogar Unterstützung aufweist, wenn Israel amerikanische Bürger tötet. Das Aussenministerium hat niemals auch nur einen Piepser des Protestes über die Tötung der Friedensaktivistin Rachel Corrie durch einen israelischen Bulldozer im Jahr 2003 abgegeben, und dann implizit die Tötung des amerikanisch-türkischen Teenagers Furkan Dogan gebilligt der sich an Bord der anti-Blockade Flotilla der Mavi Marmarra befand (in starkem Kontrast zur türkischen Regierung die - wie es normalerweise die meisten Regierungen tun würden - wütend darüber war dass Israel ihre Staatsbürger getötet hat).

Normalerweise werden Länder ungehalten wenn man andere Nationen ihre Staatsbürger töten. Aber all diese normalen Gesetze werden nicht anwendbar wenn es sich bei den betreffenden Ländern um die USA und Israel handelt. Wenn also ein Palästinenser seinen Wagen in ein amerikanisches Kind steuert, dann wird das umgehend als ein "verachtenswerter Akt" von "Terrorismus" bezeichnet, das auf  "das Schärfste" verurteilt wird: eine Untersuchung wird nicht benötigt. 
Aber wenn ein israelischer Besatzungssoldat auf ein amerikanisches Kind schiesst und es tötet, wird die laueste, wertungsfreieste und vorsichtigste Sprache benutzt um freundlich nach einer "Untersuchung" bei der gleichen Besatzungsmacht anzufragen die für die Tötung verantwortlich ist."

Palästinensischer Junge wird von israelischen Polizisten nach Zusammenstössen nach dem Freitagsgebet am 24.10.14 in Ost-Jerusalem verhaftet / Photo von Reuters: Finbarr O`Reilly

Montag, 27. Oktober 2014

"Israelische Gesellschaft ist krank"

"Es ist an der Zeit ehrlich zuzugeben dass die israelische Gesellschaft krank ist - und es ist unsere Pflicht diese Krankheit zu behandeln."

Ich kann schon fast die helle Aufregung bei einigen Kritikern hören die sehr gerne die Antisemitismus-Keule schwingen würden. Dabei stammt diese Aussage von niemand geringerem als dem israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin höchstpersönlich. Das hätte vermutlich niemand nicht einmal im Traum daran gedacht, dass der von der Likud stammende, der rechtsgerichteten Partei von Binyamin Netanyahu (aber alles andere als Parteifreund des Ministerpräsidenten), Politiker und ehemaliger Nachrichtendienstlicher Offizier der IDF solche Worte in solch einer Position äussern würde. Diese wahrlich unglaubliche Aussage machte Rivlin an der Israel Academy of Sciences and Humanities am 19. Oktober 2014 zum Thema "Von der Xenophobie zur Akzeptanz des Anderen".

Weshalb er solch eine ungewöhnlich scharfe und für die meisten Israelis auch völlig schockierende Wortwahl benutzte, erklärte Rivlin ebenfalls ziemlich deutlich:
"Die Spannung zwischen Juden und Arabern innerhalb des Staates von Israel ist auf Rekordhöhe gestiegen und die Beziehung zwischen allen Parteien hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Wir haben alle die schockierenden Sequenzen von Vorfällen und Gewalt bezeugt die auf beiden Seiten stattfanden. Die Epidemie der Gewalt ist nicht auf den einen oder anderen Sektor beschränkt, sie durchdringt jedes Gebiet und überspringt kein (einziges) Gebiet. Da ist die Gewalt in Fussballstadien sowie in der Akademie. Da ist die Gewalt in den Sozialnetzwerken und im täglichen Diskurs, in Krankenhäusern und Schulen."
Was der israelische Staatspräsident da angesprochen hat ist nichts weiter als eine Bestandesaufnahme der aktuellen Situation in Israel. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen was Reuven Rivlin damit gemeint hat. Im Artikel "Rassismus in Israel ist kein Randphänomen" vom 10.07.14 hatte ich folgendes geschrieben: "Dieses Eisen ist so heiss, dass sich sämtliche westliche Medien weigern von dieser Tatsache zu berichten."
Daran hat sich auch heute nichts geändert. Man findet nicht einen einzigen Bericht in irgendeinem deutschsprachigen Medium - abgesehen von einigen Blogeinträgen - die das so wichtige Eingeständnis des israelischen Staatspräsidenten erwähnt haben. Nicht einen! Dabei könnte es nicht Wichtiger sein. Wir haben eine Situation in der ein mit Nuklearwaffen bestücktes Land seit seiner Geburt ein kolonialistisches Projekt verfolgt und im Zuge dessen die eigene Bevölkerung radikalisiert wurde, was schliesslich im offenen Rassismus und religiösem Nationalismus endete, deren Auswirkungen solche Ausmasse erreicht haben dass sogar der eigene Staatspräsident von einer "Epidemie der Gewalt" spricht. Das war nicht nur eine Feststellung von Reuven Rivlin, sondern eine eindringliche Warnung!

Offensichtlich reicht dieser sehr gefährliche Mix nicht aus um Eingang in unsere Berichterstattung zu finden. Stattdessen beschreibt der deutsche Tagesspiegel "ein nach der Atombombe strebender Iran bleibt aus israelischer Sicht die grösste Bedrohung." Und obwohl die Autorin Juliane Schäuble den israelischen Staatspräsidenten in ihrem Artikel erwähnt, klammert sie vermutlich bewusst dessen Warnung aus. Es will einfach nicht in die Vorbereitungen der Feierlichkeiten der 50-jährigen deutsch-israelischen Beziehungen passen was Rivlin zu seinen jüdisch-israelischen Landsfrauen und Landsmänner noch weiter zu sagen hatte:
"Ich frage nicht ob sie vergessen haben wie man Jude sein soll, sondern ob sie vergessen haben wie man (ein) anständiges menschliches Wesen sein kann. Haben sie vergessen wie man sich unterhält?"
 Während sich der Artikel des Tagesspiegel auf die Zeitzeugen des Holocausts und des Antisemitismus bezieht, um ebenfalls eine Warnung zu formulieren die sich aber einem ganz anderem Thema widmet (dem Vergessen der "unvergleichlichen Schuld und dem Wunder der Wiederannährung"), so bezieht sich Reuven Rivlin auf dieselben jüdischen Zeitzeugen und meint, "dass sie sensitiver mit den Gefahren der Aufhetzung" umgehen sollten und impliziert mit seiner rhetorischen Frage "Sind es wir?", dass die jüdisch-israelische Gesellschaft es eben nicht ist. Aber davon liest man beim Tagesspiegel nichts.

Natürlich hat Rivlin absolut recht damit wenn er sagt dass die "israelische Gesellschaft krank ist". Und natürlich trifft auch die Frage "ob sie vergessen haben wie man ein anständiges menschliches Wesen sein kann" auf alle diejenigen zu, die im Sommer diesen Jahres ihr wahres Gesicht gezeigt haben als sie marodierend durch die Strassen von Jerusalem und Tel Aviv zogen und "Tod den Arabern skandierten" (siehe auch "Wie Israel den Tod von 3 Jugendlichen ausgenutzt hat"). Oder wie die israelische Besatzungsmacht gezielt gegen palästinensische Fussballer vorgeht, wohlwissend dass in einer fussballverrückten Nation die jungen Talente wie Helden gefeiert werden, weil sie so etwas wie die Propheten einer besseren Zukunft sind und sie deshalb zerstört werden müssen um immer wieder zu beweisen wer der Herr im Ring ist.

                                     Palästinensisches Nationalteam (Bild von AP/Tara Todras-Whitehill)

Diese gezielten Attacken auf palästinensische Fussballer sorgte sogar fast zum Ausschluss von Israel bei der FIFA und konnte nur im letzten Moment von Sepp Blatter abgewendet werden, da er sich nicht der politischen Konsequenzen stellen wollte die solch ein Ausschluss mit sich gezogen hätte. 
Die Gewalt gegen palästinensische Sportler macht nicht einmal Halt vor israelischen Fussballvereinen, die palästinensische oder muslimische Spieler verpflichten. Als Beitar Jerusalem, einer der berüchtigsten Fussballclubs von Israel aufgrund seiner "Fangemeinde" La Familia, letztes Jahr zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte zwei muslimische Tschetschenen verpflichten wollte (im Jahr 2005 verpflichtete man einen Nigerianer der aber wegen den rassistischen Parolen schnell wieder ging), reagierten die "Fans" empört und streckten beim nächsten Spiel Banner in die Höhe mit dem Aufdruck "Beitar bleibt für immer pur". Aber nicht nur bei Beitar Jerusalem kommt es zu solchen rassistischen Übergriffen. Maharan Radi, ein palästinensisch-israelischer Mittelfeldspieler bei Maccabi Tel Aviv wird immer wieder ausgepfiffen und mit "Fuck the Arabs" beschimpft oder angespuckt.

Und wieder war es Reuven Rivlin der damals als Parlamentssprecher das offensichtliche aussprach:
"Stellt euch vor, stellt euch nur mal vor was passiert wäre wenn (Fussball-) Vereine in England und Deutschland angekündigt hätten, dass ein Jude nicht ihrem Team beitreten kann."
Insbesondere Deutschland hat die allergrösste Mühe das Offensichtliche auch entsprechend auszusprechen. In einer Bundespressekonferenz vom 14. Oktober 2014 erinnerte Tilo Jung von Jung&Naiv den Sprecher des Auswärtigen Amtes, Dr. Martin Schäfer, der zuvor schon einer Frage ausgewichen ist ob denn die West Bank nicht "besetztes Land" ist, mit der Feststellung dass doch "die Besatzung international anerkannt ist". Bei der Antwort von Dr. Schäfer wurde die gesamte Verbiegungskunst der deutschen Politik offenbart:
"Ich sprach davon dass es besetzte Gebiete gibt, aber ich habe mir ausdrücklich den Begriff der Besatzung nicht zu eigen gemacht. Ich bitte Sie, das einfach zur Kenntnis zu nehmen."
 Die Appeasement-Politik der deutschen Regierung gegenüber Israel geht sogar soweit, dass man nicht einmal ein "Existenzrecht für Palästina" zugesteht, weshalb dann auch nicht von einem "besetzten Land" die Rede ist, sondern nur von "besetzten Gebieten".

 Schweden, Irland, Spanien und Kroatien haben angekündigt einen palästinensischen Staat anzuerkennen und Frankreich und Russland sind für diesen Schritt "grundsätzlich bereit". Grossbritannien hat erst vor knapp zwei Wochen mit einer klaren Mehrheit bei einer Abstimmung in dieser Frage die Weichen gesetzt, als das Parlament mit 274 zu 12 Stimmen ein Signal an die Regierung von David Cameron und insbesondere an die Adresse der Vereinigten Staaten von Amerika gesetzt wurde. Wie lange Deutschland noch die Augen vor der Besatzung - auch wenn Dr. Martin Schäfer sich diesen "Begriff nicht zu eigen gemacht" hat - und vor dem gewaltigen Problem der "kranken israelischen Gesellschaft" verschliessen will, wird massgeblich davon abhängen wie lange Berlin die Appeasement-Politik gegenüber Israel betreiben will.

Als Partner einer "einzigartigen Beziehung" die "eine neue Qualität erlangt hat", wäre es eigentlich die Pflicht Deutschlands die Warnungen seines anderen Partners ernst zu nehmen und ihm, um bei den Worten des israelischen Staatspräsidenten zu bleiben, bei "der Behandlung der Krankheit" behilflich zu sein. Die Negierung dieses Problems wird nur zu noch mehr Leid und Blutvergiessen führen.

Dienstag, 21. Oktober 2014

Ölpreisverfall ist kein US-Saudi Komplott gegen Russland und Iran

In den letzten Tagen hört und liest man immer wieder, dass der rapide Preisverfall von Öl und Gas etwas mit einer "Geheimabsprache" zwischen den USA und Saudi Arabien zu tun hat, um in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Washington und Moskau eine Waffe einzusetzen, die nicht nur Moskau schadet, sondern auch Teheran. Zugegeben, diese These wurde viel mehr in den USA behandelt als in unseren deutschsprachigen Medien, dennoch hält sie sich in einigen Blogs erstaunlich lange am Leben.
Das liegt daran, weil diese These durchaus ein realistisches Szenario wäre und ganz gewiss alles andere als illusorisch ist.

Das grösste Problem an dieser These ist aber ein Aspekt, der nicht mitberücksichtigt wurde: es trifft nicht nur Russland oder den Iran, sondern auch die USA selbst!
Und man kann sich nur sehr schwer vorstellen wie die Obama-Administration ein Geheimabkommen mit Saudi Arabien getroffen haben soll, welches mit voller Absicht die wirtschaftliche Stabilität der USA gefährden könnte. Es muss andere Gründe für diesen Preisverfall geben als diese These des US-Saudi Geheimabkommens.

Nebst dem einfachsten ökonomischen Grundsatz von Angebot und Nachfrage, spielt auch die europäische Rezession und das verlangsamte Wirtschaftswachstum in China eine wesentliche Rolle in dem Preisverfall. Seit die USA zu einem Ölgiganten aufgestiegen sind, mit einer Förderung von 8.7 Millionen Barrel pro Tag im September 2014 (im Vergleich: Saudi Arabien mit 9.7 Millionen Barrel; Iran mit 3.2 Millionen Barrel; Russland mit 10.09 Millionen Barrel), war es nur eine Frage der Zeit bis es ein Überangebot an Öl auf dem Markt geben und die Preise dadurch unter Druck geraten würden. Tatsächlich äusserte sich bereits im Juli der Leiter der Commodities Abteilung der Banc of America, Francisco Blanch, dass "solch ein grosses Wachstum in der Energieversorgung die Preise runter bringen sollte", doch dass die geopolitischen Umstände ausserhalb der USA dies nicht zulassen würden.

Die Zeichen für einen Preisverfall des Ölpreises waren also schon seit längerem sichtbar, aber die Preis- und Produktionspolitik der OPEC liess die Anpassung nicht zu. Und natürlich spielte auch die geopolitische Situation eine Rolle in der Strategie der OPEC. Die These des "Geheimabkommens" zwischen Washington und Riad besagt, dass die geopolitische Situation sich insofern verändert hat, als dass mit dem Preisverfall Russland zur gewünschten Politik der USA gezwungen wird und im Gegenzug die Saudis natürlich auch etwas erhalten was sie gerne hätten: Bashir al-Assad.
Folgt man dieser These, dann entspräche dieses Ergebnis genau jener Interpretation der Dinge, die einige Analysten aus dem Besuch von US-Aussenminister John Kerry kurz vor dem Start der Luftangriffe im Irak und Syrien in Saudi Arabien zogen. Wie ich aber bereits in dem Bericht "Einblick in das syrische Chaos" geschrieben habe, vertrete ich eine andere Meinung diesbezüglich und kann daher auch nicht diese These mit dem "Geheimabkommen" zwischen den USA und Saudi Arabien stützen.

USA ist das wirkliche Ziel
Natürlich würde der Al-Saud Klan nichts lieber sehen als dass die USA den syrischen Präsidenten Bashir al-Assad aus seinem Palast in Damaskus bomben würden, wie sie es bereits mit Saddam Hussein im Irak getan haben. Und für einen kurzen Augenblick im Sommer 2013 sah man sich in Riad diesem Ziel schon fast zu greifen nah, als die USA anfing die Kriegsmaschinerie langsam aber sicher in Bewegung zu setzen. Doch im allerletzten Augenblick entzog das britische Parlament der Regierung solch ein Mandat, und Barack Obama nutzte diese Chance und spielte den Ball schnell auf die Seite des Kongresses, wo die Kongressabgeordneten bereits mit Telefonanrufen ihrer Wählerschaft überschattet wurden um ja nicht für einen erneuten Krieg in der Region zu stimmen. Die saudischen Herrscher und Strategen hinter dem Drahtzieher des von Saudi Arabien gesteuerten Terrorregimes der wahhabitischen Extremisten, Prinz Bandar bin Sultan, mussten hilflos zuschauen wie ihre Pläne zunichte gemacht wurden. Dabei bestätigte sich nur weiter der Eindruck den sie ohnehin von Obama hatten, als er ihrer Meinung nach den ägyptischen Diktator Hosni Mubarak ohne mit der Wimper zu zucken fallen liess als die Revolution in Ägypten ausbrach.
Das Obama im letzten Moment den Angriff auf Syrien abblies, war eine schwere strategische Niederlage für die Saudis.

Die aus saudischer Sicht zweite, äusserst schmerzvolle Niederlage folgte nur kurze Zeit später, als im November das Genfer Abkommen zwischen dem Iran und den Ländern des P5+1 (Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, China + USA) unterzeichnet wurde. Allein die Tatsache, dass die USA bereits Monate zuvor geheime Treffen mit iranischen Unterhändlern führten und weder Israel noch Saudi Arabien darüber informiert hatten, jagte den Saudis einen grossen Schrecken ein. Als dann nicht einmal die israelischen Sabotageakte gepaart mit saudischen Milliarden die Unterzeichnung des Genfer Abkommens verhindern konnten (siehe hier, hier und hier), war spätestens jedermann klar dass die Monopolstellung Saudi Arabiens als wichtigster Partner der USA im Persischen Golf seit 1979 (zuvor war es der Iran und Saudi Arabien eher der Juniorpartner) zu bröckeln beginnt.
Im Artikel "Warum Iran für gewisse Kreise als Feind nützlicher ist als Freund" vom 21.12.2012 habe ich die Gründe dargelegt weshalb Saudi Arabien alles unternehmen wird, um eine potentielle (und damals noch völlig hypothetische) Annäherung zwischen den USA und dem Iran zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt erschien das was wir heute erleben, direkte und schon fast freundschaftliche Gespräche auf hoher Regierungsebene (Aussenministerebene) zwischen den beiden Ländern absolut undenkbar. Und das galt nicht nur für die Amerikaner und die Iraner, sondern eben auch für alle Länder des Mittleren Ostens.

Iran`s Aussenminister Mohammad Javad Zarif mit US-Aussenminister John Kerry am 14.07.14 in Wien (Photo des US-State Department)

Das wichtigste Mittel des Al-Saud Klans in der Durchführung ihrer Pläne war von Anfang an das Erdöl und später natürlich die Milliarden Einnahmen davon. Indem Ibn Saud den Amerikanern in den 1930er Jahren das gab was die Briten nicht haben wollten, nämlich die Ölkonzession für die gigantischen Ölfelder in der von Schiiten bewohnten Region im Osten des erst kürzlich eroberten Gebietes auf der Arabischen Halbinsel (es ist eine Ironie der Geschichte dass britische Geschäftsmänner bereits die Konzession erhalten haben und sie aufgrund einer Fehleinschätzung über die Ölvorkommen wieder verkauft haben), schuf er den Grundstein für die saudisch-amerikanische Beziehung.  Später wurden die Milliardeneinnahmen aus der Erdölförderung dafür benutzt, um die Herrschaft des Al-Saud Klans zu sichern und sich das Überleben durch die Vereinigten Staaten von Amerika garantieren zu lassen. Im Gegenzug holte sich Washington immer wieder saudische Milliarden für verdeckte Operationen, die entweder vor dem US-Kongress geheim gehalten werden sollten oder einfach die Kosten abgewälzt werden sollten solange auch Saudi Arabien davon profitieren konnte. Zudem kaufte Saudi Arabien im grossen Stil amerikanische Waffensysteme und natürliche andere US-Produkte, unabhängig davon ob vieles davon überhaupt für die klimatischen Besonderheiten von Saudi Arabien geeignet war oder nicht, um sich so eine gewisse und wechselseitige Abhängigkeit zu schaffen.

Das konnte aber nur solange gut gehen bis Saudi Arabien das liefern konnte was die USA dringend gebraucht haben: Erdöl und Geld.

Fast gleichzeitig mit den geopolitischen Niederlagen im Jahr 2013 machte sich noch eine andere Angst in Riad breit. Eine Angst die Präsident Barack Obama in seiner fünften State of the Union Ansprache (Rede zur Lage der Nation) im Januar 2014 nur weiter bestärkte:
"Es wurde mehr Öl zu Hause produziert als wir vom Rest der Welt einkaufen. Die gesamte Energiestrategie die ich vor ein paar Jahren angekündigt habe funktioniert, und heute ist Amerika näher an der Energieunabhängigkeit (dran) als wir es Jahrzehnte (lang) waren."
Mit dem technischen Fortschritt in der Ölförderung wie dem fracking entwickelten sich die Vereinigten Staaten innerhalb von kürzester Zeit von einem Importabhängigen Land zu einem der grössten Öl- und Gasproduzenten der Welt. Insbesondere die angestrebte Energieunabhängigkeit die Obama in seiner Rede ansprach ist es die Riad grösste Sorgen bereitet. Damit würde der Al-Saud Klan mit einem Schlag eines der wichtigsten Druckmittel verlieren die man in Washington verfügt und so viele Jahre lang erfolgreich umgesetzt hat: Erdöl.
Meldungen aus den USA beweisen, dass diese Furcht vor dem Verlust dieses Druckmittels nicht unbegründet ist:
"Die Tage als die Ölproduzierenden Diktaturen des Mittleren Ostens und ihre Freunde in der OPEC einfach ihre Macht über einen zitternden, Öldurstigen Westen ausüben konnten sind auf dem Weg ein Relikt der Vergangenheit zu werden."
 Damit einhergehend wächst naturgemäss auch die Sorge wegen dem Geld. Denn sollte Amerika Energieunabhängig werden, kann und wird der produzierte Energieüberschuss exportiert und würde damit zur direkten Bedrohung für die Herrschaft der Al-Saud`s werden. Mit dem Verlust von Marktanteilen, welcher zwangsläufig folgen würde, käme Saudi Arabien finanziell wahnsinnig unter Druck da das Erdölgeschäft über 40% des Bruttoinlandprodukts und fast 90% der Exporteinnahmen ausmacht. (Zum Vergleich: Iran 20% des BIP`s und knapp 80% der Exporteinnahmen, beides inkl. Gas ; Russland: knapp 30% des BIP`s und 50% der Exporteinnahmen, beides inkl. Gas / Stand 31.12.2013).

Die aktuelle ökonomische wie auch geopolitische Lage erlaubt es Riad nun, den Spiess etwas umzudrehen um den Amerikanern zu zeigen dass man alles andere als "ein Relikt der Vergangenheit" werden möchte. Durch den allgemeinen Rückgang der Ölnachfrage, der Rezession in Europa und den aktiven Konflikt zwischen USA und Russland in der Ukraine sowie in Syrien und der Atomverhandlung mit dem Iran, ergeben sie einige Gründe weshalb ein Preisverfall der Erdöls äusserst opportun erscheint. Aus Europa werden die Saudis mit Sicherheit keine Klagen wegen niedriger Ölpreise zu hören bekommen, und wenn es Russland schadet werden sich die politischen Klagen aus Washington zumindest vorübergehend im Zaun halten.

Aber der Druck auf das Weisse Haus wird unweigerlich steigen. Sollte es Saudi Arabien tatsächlich mit der Ankündigung ernst meinen, solange den Markt mit Öl zu überfluten bis der Preis auf 76-77 USD pro Barrel Öl gefallen ist, dann wird die amerikanische Ölförderung zu einem Milliardengrab für sehr viele Grossinvestoren die in den letzten 4 Jahren 250-300 Milliarden US-Dollar in die amerikanische Ölförderung gesteckt haben. Denn im Gegensatz zur Ölförderung im sandigen Boden der arabischen Petromonarchien oder auch im Iran, sind die Produktionskosten der amerikanischen Förderung deutlich höher (etwa das 2,5fache bis 3fache). 


Diese hohen Produktionskosten für das fracking waren gerechtfertigt und brachten den Produzenten und Investoren höchst ansehnliche Renditen solange die Preise über 100USD/Barrel lagen. Aber bei einem Preis unter 80USD/Barrel wird es so gut wie keine Gewinne mehr geben und aufgrund der Unrentabilität einige Produzenten vom Markt fegen, und andere dazu zwingen die Ölförderung massiv zurückzuschrauben in der Hoffnung auf bessere Preise. Beide Szenarien sind den Saudis willkommen.



Auch wenn der Al-Saud Klan mit den niedrigen Ölpreisen nach wie vor hohe Gewinne einfährt verglichen mit den Produktionskosten und über ein finanzielles Polster von 740 Milliarden US-Dollar verfügt, lange wird man diese niedrigen Preise nicht aushalten können. Auch der saudische Multi-Milliardär Prinz Al Waleed bin Talal warnte vor den Konsequenzen eines solchen immensen Preisverfalls für einen Staat, dessen "Staatsbudget für 2014 zu 90% von (geplanten) Erdöleinnahmen abhängt." Dazu kommt, dass das Al-Saud Herrscherhaus die Bevölkerung ständig bei Laune halten muss um keine Bedrohung im Stile einer Revolution aufkommen zu lassen. Und dafür benötigt man einen Ölpreis zwischen 80-85 USD/Barrel um die ganzen Projekte und Subventionen auch zu bezahlen die man im Budget einkalkuliert hat. Das finanzielle Polster von 740 Milliarden US-Dollar wäre sehr schnell aufgebraucht wenn man dadurch nicht nur die sinkenden Staatseinnahmen auffangen müsste, sondern auch die zahlreich budgetierten Projekte und Subventionen.

Ein weiteres Zeichen dass das Ziel nicht Russland oder der Iran ist und deshalb das "Geheimabkommen" an sich obsolet ist, ist die Tatsache dass kurz nachdem Saudi Arabien für ihre wichtigsten Kunden in Asien die Preise reduziert hat, auch der Iran nachgezogen ist. Und nicht nur nachgezogen, man hat die Preise der Vereinigten Arabischen Emirate für das leichte und schwere Rohöl sogar unterboten, um die Marktanteile zu behalten oder sogar leicht auszubauen. Und das sind dann Preise, wo sich die amerikanischen Mitbewerber äusserst schwer tun um noch profitabel mithalten zu können.
Auch der Punkt den manche Kommentatoren aufgeworfen haben dass Saudi Arabien den produzierten Überschuss als Ersatz für russisches Öl nach Europa liefern könnte, ist bei näherem Betrachten nichts weiter als ein Wunschdenken. Saudi Arabien fördert "süsses" Rohöl, während Russland "saures" Rohöl fördert und nach Europa verkauft. Das bedeutet dass die europäischen Abnehmer von russischem Öl über Raffinerien verfügen, die auf das "saure" Öl ausgelegt sind und gar nicht das "süsse" Öl aus dem Persischen Golf aufnehmen können. Natürlich könnten die Raffinerien auf das "süsse" Öl umgestellt werden, aber das würde Millioneninvestionen nach sich ziehen und wäre nicht über Nacht machbar.

Das wirkliche Ziel hinter der saudischen und kuwaitischen Marktüberflutung sind also die amerikanischen Ölproduzenten denen man die Grenzen aufzeigen möchte. Dass Iran und Russland sich momentan in einer delikaten geopolitischen Situation befinden und sie die Einnahmenverluste mit Sicherheit belasten werden, ist nur eine zusätzliche Befriedigung für den Al-Saud Klan. Die Freude könnte aber von kurzer Dauer sein wenn die "Ölwaffe" zu einem "Ölboomerang" für Saudi Arabien wird.

Donnerstag, 16. Oktober 2014

"Ebola ist Strafe Gottes weil Obama Israel aufteilen will"

Der Gründer der grössten zionistischen Organisation in den Vereinigten Staaten, Pastor John Hagee von der Christians United for Israel, erklärte seinem Millionenpublikum die Gründe weshalb der Ebola Virus in die Vereinigten Staaten von Amerika kam. Über seinen TV-Sender Hagee-Hotline gab der Pastor seine Version bekannt:
"Ich möchte dass das jeder Amerikaner klar versteht. (Das biblische Buch) Joel 3 zeigt, dass Gott jede Nation bestrafen wird die versucht Israel zu teilen und unserem Präsident ist es todernst mit mit der Aufteilung von Jerusalem. Gott beobachtet und wird über Amerika urteilen. Es gibt Anhaltspunkte dass das Urteil bereits begonnen hat, weil er, unser Präsident, schon seit Jahren dafür kämpft um Jerusalem aufzuteilen. Wir erfahren jetzt die Ebola-Krise sowie die Bedrohung von islamischen Radikalen und sogar zivile Unordnung in Ferguson/Missouri, alles das Resultat von Gottes Urteil aufgrund Obama`s Politik."
 Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie christlich-zionistische Führer wie Pastor Hagee ihre Anhänger manipulieren und alles daran setzen, dass die rechtsgerichtete Politik von Israel auch weiterhin von den USA unterstützt wird. Obwohl Israel nahezu ohne Konsequenzen zehntausende von Menschen in der Vergangenheit umgebracht hat und auch weiterhin tut, ohne Konsequenzen das Land der Palästinenser besiedelt und zwangsenteignet und im Falle von Gaza einen schleichenden Genozid betreibt, geht es für die Zionisten in den USA schon viel zu weit wenn ihre politische Führung in Washington auch nur in der Theorie von einer Zwei-Staaten-Lösung träumt.
Da kommt die Ebola-Hysterie gerade richtig um Bibelpassagen umzudeuten um gutgläubigen Anhängern Angst einzujagen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung die den Status von Hagee nur noch weiter in die Höhe schraubt.


Über welchen Einfluss die Christians United for Israel verfügt, bezeugt der israelische Ministerpräsident Binyamin Netanyahu selbst der immer wieder entweder persönlich, oder per Live-Übertragung zu den Teilnehmern des jährlichen CUFI-Summit in Washington spricht.



Dienstag, 14. Oktober 2014

Parellele zu Afghanistan 1979 und Ukraine 2014

Obwohl eine Distanz von 3500 Kilometern (Luftlinie) die Ukraine von Afghanistan trennt, die Völker der beiden Länder unterschiedlicher nicht sein könnten, so teilen sie dennoch eine Gemeinsamkeit. Zwar liegen 35 Jahre zwischen diesen Ereignissen, doch die Absicht ist dieselbe geblieben.

Afghanistan 1979
In Afghanistan regierte 1979 das Regime von Nur Mohammed Taraki, der sich erst ein Jahr zuvor an die Macht geputscht hatte. Nur Mohammed Taraki unterhielt enge Beziehungen zur damaligen Supermacht Sowjetunion (weil sein Regime ohne die Rückendeckung der UdSSR nicht überlebt hätte), welche sich bekanntlich mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Kalten Krieg befand. Für die Sowjetunion war Afghanistan ein wichtiges strategisches Land im Kampf um die Vorherrschaft in der Region. Man träumte in Moskau von einem direkten Zugang zu den warmen Gewässern des Indischen Ozeans und Afghanistan bot aus sowjetischer Sicht die einzige Möglichkeit dazu.
Nur Mohammed Taraki konnte sich jedoch nicht lange an der Macht halten. Bereits im September 1979 stürzte ihn sein Mitverschwörer von 1978 und wegen seiner Brutalität berüchtigter Chef der Geheimpolizei, Hafizullah Amin und liess kurz daraufhin Taraki ermorden.

Mit dem Ende der Herrschaft von Taraki endete auch die "gute" Beziehung zwischen Kabul und Moskau, die Hafizullah Amin als "Gefahr für die Stabilität von Afghanistan" betrachteten. Als ob Amin diese Einschätzung bestätigen wollte, startete er nach der Machtergreifung einen gnadenlosen Kampf gegen die Aufständischen ausserhalb von Kabul, die von der pro-sowjetischen Regierung nichts wissen wollten und seit dem Putsch 1978 verfolgt wurden.
Während bereits Nur Mohammed Taraki ab Ende 1978 immer wieder um sowjetische Militärunterstützung gegen die Aufstände bat, lehnte Moskau diese Möglichkeit jedesmal ab und forderte eine politische Lösung. Mit Hafizullah Amin aber verschärfte sich die Situation drastisch und führte zu einem Bürgerkrieg gegen die kommunistische Regierung in Kabul. Die Führung in Moskau traute Hafizullah Amin aber nie über den Weg und vermutete immer, dass er geheime Kontakte zu den USA aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes dort und Studiums an der Columbia University unterhielt. Mit der zusehends schlechteren Lage in Afghanistan und der potentiellen Gefahr, dass Amin die USA und somit die NATO ins Land holt und somit den grössten Widersacher direkt an der südlichen Grenze des Riesenreiches vorgefunden hätte, entschied man sich in Moskau Anfang Dezember 1979 Hafizullah Amin zu liquidieren und das Land zu "stabilisieren".
Dieser Entschluss mündete schliesslich in der sowjetischen Invasion von Afghanistan an Heiligabend 1979.

                Spetsnaz Eliteeinheit am 24.12.1979 in Bagram: 3 Tage vor der Eroberung des Präsidentenpalastes in Kabul

Die offizielle Story der CIA lautete, dass man erst nach der sowjetischen Invasion, irgendwann im Jahr 1980 anfing die afghanischen Mujahedin im Kampf gegen die Sowjets zu unterstützen.

Doch 1998 bestätigte Zbigniew Brzezinski, der 1979 nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter war, dass die US-Hilfe bereits 6 Monate vor der sowjetischen Invasion für die Opposition anlief. Am 3. Juli 1979 unterzeichnete Jimmy Carter eine präsidiale Direktive zur Unterstützung der Opposition, und machte damit lediglich das zur präsidialen Angelegenheit - zwar noch im Geheimen - was aber schon 1978 seinen Anfang durch die CIA nahm, also über ein Jahr vor der sowjetischen Invasion!
So sagte Brzezinski selbst, dass er an dem Tag an dem Präsident Carter die Direktive unterzeichnete, ihm ein Memo zukommen liess in welchem er darauf hinwies, dass "diese Hilfe (US Hilfe für afghanische Opposition) meiner Meinung nach das sowjetische Militär zur Intervention veranlassen wird." Weiter meinte Brzezinski, dass "diese geheime Operation eine exzellente Idee war", weil diese die "Russen dazu gebracht in die afghanische Falle zu tappen".

Damit gab Brzezinski das zu, was die Sowjets 19 Jahre zuvor schon vermutet und sich davor gefürchtet haben. Es war eine "afghanische Falle" in die das Riesenreich "getappt" ist. Das Ziel war also nicht die Unterstützung des "afghanischen Volkes" wie es immer wieder hiess, sondern von Anfang an die Sowjetunion. Wen man da in Afghanistan und Pakistan für dieses Ziel unterstützte spielte nur eine untergeordnete Rolle, wenn überhaupt. Es ist aber bemerkenswert dass die Baltimore Sun sich 1992 über diese Frage den Kopf zerbrach und feststellte, dass er (Gulbuddin Hekmatyar, grösster Nutzniesser der amerikanischen "Hilfe" schon seit 1978) in den "kommenden Tagen von den US-Politikern als Monster gebrandmarkt wird. Einer der größtenteils von den USA geschaffen wurde."

Ukraine 2014
Während Afghanistan seit 1978 Schauplatz des US-Stellvertreterkrieges gegen das "Reich des Bösen" war - so wurde die UdSSR von Ronald Reagan genannt - ist es heute prinzipiell die Ukraine (und zum Teil auch in Syrien und Iran) wo Washington den Versuch unternimmt, Russland wieder in eine Falle tappen zu lassen. Doch wir leben heute in einer anderen Zeit als das der Fall vor 35 Jahren war. Der Kalte Krieg ist seit 25 Jahren zu Ende und Russland zählte offiziell seitdem nicht mehr zu den Feinden der USA.

Was auffällt sind die Parallelen zum Vorgehen in Afghanistan und jetzt in der Ukraine. In Kiev regierte auch eine pro-russische Regierung, die sich nicht dem westlichen Diktat beugen wollte. Im Unterschied zu Afghanistan aber wurde die Regierung von Viktor Janukovitsch 2010 demokratisch gewählt und legitimiert. Wie ich im Bericht "Warum Ukraine?" geschrieben habe, war es noch vor der Wahl von Janukovitsch und erst Recht danach das Ziel der USA, die NATO an die Grenzen von Russland auszuweiten. Wie in Afghanistan unterstützte die USA dabei die Opposition der Zentralregierung, um die eigenen Ziele zu verwirklichen. Während es sich in Afghanistan hauptsächlich um militärische Hilfe (Waffen, Ausbildung usw.) handelte, waren es in der Ukraine moderne Massnahmen wie die "Farbenrevolutionen" und politische Koerzion, einhergehend mit wirtschaftlichen Verlockungen.
Auch die militärische Dimension der amerikanischen Hilfe, oder der "5 Milliarden US-Dollar Investition" wie es Victoria Nuland, Leiterin der Europa-Abteilung des US-Aussenministeriums, nannte, liess nicht lange auf sich warten. Nach dem erfolgreichen Putsch gegen die gewählte Regierung von Viktor Janukovitsch (auch wenn er korrupt und mit anderen Mängeln behaftet war, er war nichtsdestotrotz demokratisch gewählt) und der Installation der Putschistenregierung unter Arseniy Jatsenjuk, konnte die militärische "Hilfe" anlaufen. Dass dabei auf Faschisten und Neo-Nazis zurückgegriffen werden musste die zwar gerne die Handlanger von Washington spielten solange ihre eigene Agenda davon unberührt blieb, störte die Amerikaner ebensowenig wie die Islamisten in Afghanistan des Typs Gulbuddin Hekmatyar die heute als "Terroristen" bezeichnet würden. (Hekmatyar wurde sogar die Ehre zuteil und traf sich in London mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher.)

                 Gulbuddin Hekmatyar bei einem Treffen mit CIA-Vizedirektor Richard J. Kerr in Islamabad/Pakistan 1988.

                  John McCain trifft sich mit Arseniy "Jats" Jatsenjuk und Oleh Tyahnybok am 15.12.2013 in Kiev

                Victoria Nuland mit Arseniy Jatsenjuk, Oleh Tyahnybok und Vitali Klitschko am 05.02.2014 in Kiev

Natürlich wusste Washington dass der neue Partner in der Ukraine nicht dem demokratischen Ideal entsprach welches man gerne der eigenen Bevölkerung verkaufen wollte. Insbesondere Oleh Tyahnybok der Partei Svoboda war der problematischste Aspekt der Partnerwahl, die 1999 von der israelischen Tel Aviv Universität als "extremistische, rechtsgerichtete, nationalistische Organisation die ihre Identifikation mit der deutschen Nationalsozialistischen Ideologie hervorhebt" eingestuft wurde. Das hinderte aber weder den als Kriegstreiber berüchtigten Senator John McCain bereits im Dezember 2013 diese Opposition zu unterstützen, noch Victoria Nuland der Partei an die Macht zu verhelfen. Wie gesagt, der Zweck heiligte die Mittel bereits in Afghanistan vor 35 Jahren und tat es auch in der Ukraine im Jahr 2014. Nicht die Ukraine war das Ziel, sondern Russland, und dafür war jedes Mittel recht.

Nach dem Putsch liefen die Vorbereitungen in der CIA-Zentrale in Langley auf Hochtouren. Der Direktor des Geheimdienstes, John Brennan, flog Anfang April nach Kiev und tauschte mit Sicherheit nicht nur Nettigkeiten aus. Es ging um die Planung wie man es zusammen gegen Russland aufnehmen könnte. Und dafür schien Brennan genau der richtige Mann zu sein. Mit seiner Erfahrung in der Bewaffnung von "Aufständischen in Libyen, Syrien und Venezuela, verfügt er über eine Reputation das er auf verbrecherische Taktiken zurückgreift um die Ziele der CIA zu erreichen", meinte Wayne Madsen. Auch der Umstand das zum selben Zeitpunkt Söldner von Greystone in der Ukraine auftauchten, zeugt von der Handschrift von Brennan`s CIA. 
Nur kurze Zeit später zeigte sich der Grund von Brennan`s Besuch in Kiev, als das Putschistenregime einen als "Anti-Terror-Operation" bezeichneten Krieg gegen die russischsprachige Bevölkerung der Ost-Ukraine begann. Sinn und Zweck dieses Krieges war es eine "ukrainische Falle" für Russland zu stellen, ähnlich wie es in Afghanistan schon einmal zum Erfolg aus amerikanischer Sicht geführt hat. Nur war der Einsatz diesesmal noch viel höher, da es im Gegensatz zu Afghanistan nicht nur um strategische Fragen ging, sondern auch um den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine. Diesen Punkt hatte man offensichtlich als Achillesferse des russischen Präsidenten Vladimir Putin ausgemacht und kalkuliert, dass Russland nicht lange zuschauen wird wie unschuldige "Brüder und Schwestern" getötet werden und erneut in die Falle tappt. Brutale Morde wie jene durch die Neo-Nazis des Pravy Sektor in Odessa nahm man dabei billigend in Kauf in der Hoffnung, dass diese die gewünschte Entscheidung in Moskau herbeiführen werden. 




Bis jetzt ging diese letzte Analogie zwischen Afghanistan und Ukraine für die USA aber nicht auf. Man hat in Washington und Langley offensichtlich vergessen, dass in Moskau nicht mehr das Sowjetregime herrscht das auf kommunistische Ausweitung des Riesenreiches aus war, sondern ein knallharter Realist im Kreml sitzt der zwar nationalistische Töne spuckt, aber ganz genau weiss was den Zusammenbruch des sowjetischen Regimes herbeigeführt hat.

 

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Was ISIS so erfolgreich macht

Es sind genau solche Szenen die ISIS überhaupt erst so erfolgreich und manchmal sogar populär machen. Und das nicht nur in den Strassen von Saudi Arabien, Qatar oder Jordanien, sondern auch bei den sozialen Netzwerken die im Schutz der Anonymität ihre Bewunderung für ISIS kundtun können ohne die Befürchtung zu hegen, dass entweder die Staatsmacht oder der Geheimdienst plötzlich vor der Türe steht.

Als der britische Premierminister David Cameron auf die Hinrichtung von Alan Henning mit martialischer Kampfansage reagierte, müssen diejenigen die diese Hinrichtung geplant haben, vermutlich selbstzufrieden in die Runde ihrer Rekruten geblickt und Zustimmung geerntet haben. Cameron`s Reaktion war essentiell die gleiche wie Obama`s vor einem Monat, was ja von den Propagandisten der ISIS auch beabsichtigt war, bevor er dann dem Druck der Kriegstreiber nachgab und Luftschläge gegen die wahhabitischen Extremisten anordnete.

Natürlich hat Cameron damit recht wenn er sagt dass diese Hinrichtung von Alan Henning "absolut ungeheuerlich" ist. Auch der genutzte Terminus "barbarisch" trifft zu, insbesondere für die Hinterbliebenen von Henning die den Mord sozusagen live mitansehen mussten (sofern sie verständlicherweise überhaupt diese Kraft dazu gehabt haben). 

Aber ab diesem Punkt gehen die beiden Narrative dann auch schon auseinander. Während der britische Premier versucht die ISIS als ein Monster darzustellen welches sich auf den niedersten "Ebenen der Verderbtheit" bewegt, wird bewusst die eigene Geschichte und Verantwortung ausgeklammert, die nicht weniger verdorben und barbarisch als die der ISIS war und ist. Das gleiche gilt natürlich auch für die Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Nährboden von ISIS
Was Cameron und Obama in ihren öffentlichen Auftritten nicht sagen, ist die Rolle ihrer eigenen Staaten die den Weg für die ISIS erst geebnet und zu ihrem schon fast kometenhaften Aufstieg gesorgt haben. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit des Mittleren Ostens ist deshalb dringend notwendig, um den "Erfolg" der ISIS (und warum sie zu den professionell gestalteten Hinrichtungen greifen) im richtigen Kontext verstehen zu können.

Obwohl die USA ihre Fingerabdrücke im Mittleren Osten bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hinterlassen haben, welche mit der Rolle der USA die zur Gründung von Israel im Herzen der arabischen Welt führte unweigerlich verbunden war, und schon sehr früh eine erste Indikation ermöglichte wohin die amerikanische Reise führen wird, so rückte die aktive und offensive Rolle Washington`s erst nach der irakischen Besetzung von Kuwait im Jahr 1990 ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Region. Die amerikanischen Machenschaften hinter der irakischen Invasion sollen hier nicht Gegenstand der Analyse sein.
Der Irak war zu diesem Zeitpunkt ein offenes, säkulares Land und die Irakerinnen und Iraker konnten zurecht stolz auf ihren im Vergleich mit anderen arabischen Ländern hohen Lebensstandard, sehr guter Ausbildung und für das ganze Volk frei zugänglichem Gesundheitssystem sein. An der Spitze des Landes stand aber ein Mann, Saddam Hussein, der ebenso wie die ISIS heute den rasanten Wandel vom einstigen Günstling zum Staatsfeind Nr. 1 vollzogen hatte, den es zu zerstören galt.

Der damalige US-Präsident George H.W. Bush, erklärte in einer Fernsehansprache an die Nation weshalb die US-Armee einschreitet:
"Vor weniger als einer Woche, in den frühen Morgenstunden des zweiten August (1990), fielen irakische Streitkräfte ohne Provokation oder Warnung im friedvollen Kuwait ein. ... Es geht um sehr viel. Irak ist bereits ein reiches und mächtiges Land das die zweitgrössten Ölreserven der Welt besitzt und über eine Million Männer bewaffnet hat. Unser Land (USA) importiert heute nahezu die Hälfte des Öls welches wir konsumieren und könnte einer gewaltigen Bedrohung für die wirtschaftliche Unabhängigkeit begegnen. Viele Länder der Welt sind noch abhängiger von importiertem Öl und sogar noch verwundbarer vor der irakischen Bedrohung. ... Wir beginnen eine neue Ära. Diese neue Ära kann vielversprechend sein, ein Zeitalter der Freiheit, eine Zeit des Friedens für alle Menschen. Aber wenn uns die Geschichte etwas lehrt, dann dass wir der Aggression widerstehen müssen oder sie zerstört unsere Freiheiten. Beschwichtigung funktioniert nicht. Wie das der Fall in den 1930er war, sehen wir in Saddam Hussein einen aggressiven Diktator der seine Nachbarn bedroht. ... Aber wir müssen anerkennen dass der Irak nicht damit aufhören könnte weiterhin Gewalt anzuwenden um seine Ambitionen durchzusetzen. Irak hat eine enorme Kriegsmaschinerie an der saudischen Grenze massiert, die mit wenig oder gar keinen Vorbereitungen mit Feindseligkeiten losschlagen könnte. Betrachtet man die Geschichte der Aggression der irakischen Regierung gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung sowie gegenüber den Nachbarn, wäre es unklug und unrealistisch anzunehmen dass der Irak nicht wieder losschlägt. Und deshalb habe ich, nachdem ich König Fahd konsultiert habe, Verteidigungsminister Dick Cheney (nach Saudi Arabien) entsandt um kooperative Massnahmen zu diskutieren die wir unternehmen könnten. Nach diesen Gesprächen forderte die saudische Regierung unsere Hilfe an, und ich habe mit der Anordnung der Entsendung von US-Luft- und Bodentruppen in das Königreich Saudi Arabien auf diese Anforderung reagiert."
Diese Rede von George H.W. Bush strotzte nur so vor Zynismus, aber sie gab auch erste Anzeichen dafür wie die USA unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Welt betrachtete. Bush war sicherlich von den Worten überzeugt die ihm seine Redensschreiber vorbereitet haben, als er sagte dass "wir eine neue Ära beginnen". Auch der Rest der Welt wird diese Worte gutgeheissen haben, immerhin wurde gerade erst der Kalte Krieg beendet und man hoffte tatsächlich auf eine neue Ära des Friedens und Prosperität für alle Menschen. In dieser freudigen Erwartung einer neuen Ära war natürlich kein Platz mehr für einen Diktator, der weit entfernt ein kleines friedliches Scheichtum erobert und ganz nebenbei noch Ambitionen hegt, eine Bedrohung für die ganze Welt zu werden indem er die Ölfelder Saudi Arabiens gleich mitbesetzt und somit jene Länder in die Knie zwingt, die vom Import dieses schwarzen Goldes abhängig sind. Und indem der Präsident der aus dem Kalten Krieg siegreich hervorgegangenen Supermacht Vergleiche mit der Entwicklung Europas der 1930er Jahre anstellt, und ganz nebenbei die bereits begangenen Verbrechen dieses aggressiven Diktators aufgezählt hat, muss auch noch den letzten Pazifisten davon überzeugt haben dass nach dem Kalten Krieg ein heisser Krieg gegen diesen Diktator unausweichlich ist, um die Freiheit der neuen Ära zu verteidigen.

Dass es aber ausgerechnet diese Supermacht war die diesen Diktator jahrelang gefördert hat, ihn bei den schlimmsten Kriegsverbrechen im Krieg gegen den iranischen Nachbarn unterstützt und selbst bei der Vergasung seines eigenen Volkes weggeschaut hat, schien niemanden wirklich zu stören. Auch nicht die Absicht der Supermacht USA, die vitale Ölregion des Persischen Golfes mit eigener militärischer Präsenz für die Ölfelder der Region abzusichern. Das Problem aber war, dass die arabischen Petromonarchien des Persischen Golfs ganz und gar nicht der selben Meinung waren wie die Planer in Washington. Sie wussten wieso Saddam Hussein in Kuwait einmarschiert ist, weil auch sie ihn während des Irak-Iran Krieges mit Milliarden US-Dollars enthusiastisch unterstützt haben damit er sie vor der Bedrohung des "islamistischen Revolutionsfiebers" beschützt. Sie wussten dass diese Aggression nicht gegen sie gerichtet war, sondern ausschliesslich gegen Kuwait welches unmittelbar nach dem Ende des Irak-Iran Krieges einen eigenen Wirtschaftskrieg gegen den Irak begonnen hat. Und das hätte der Herrscherklan der Al-Sabah niemals ohne Sicherheitsgarantien einer Macht getan, die im Bedarfsfall auch tatsächlich diese Sicherheit liefern könnte. Das einzige Land auf der Erde die das hätte tun können waren die Vereinigten Staaten von Amerika.

Kuwait - oder der Al-Sabah Klan - war den USA gleichgültig. Es hätte genausogut ein militärischer Diktator an der Spitze in Kuwait stehen können, hätte es denn eine nennenswerte Armee gegeben, der die Interessen der USA durchsetzt. In Wirklichkeit ging es von Anfang an einzig und allein um den Irak, der nach dem Krieg gegen den Iran plötzlich als stärkste Macht in einer der wichtigsten Regionen der Welt da stand. Das bestätigte auch ein hochrangiger Regierungsbeamter der Bush I- Regierung gegenüber der New York Times am 9. August 1990, nur zwei Tage nach der Rede von George H.W. Bush:
"Die Bedrohung für die Vereinigten Staaten ist nicht unmittelbar. Die Iraker in Kuwait sind keine Bedrohung für die Interessen der Vereinigten Staaten. Die (wirkliche) Bedrohung ist, was aus ihnen (den Irakern) in den nächsten 10 bis 20 Jahren werden würde und was für eine Macht sie erreichen würden, dass sie im Grunde genommen das Öl übernehmen, die OPEC übernehmen, den Mittleren Osten dominieren, die Bedrohung für Israel. Und Saddam Hussein will eine Atombombe."
Selbst vor dieser Aussicht waren die anderen Petromonarchien nicht wirklich beängstigt. Insbesondere Saudi Arabien war der Überzeugung, dass man auch mit einem mächtigen Saddam Hussein umgehen könnte, so wie man das auch bis zur Invasion (und sogar noch währenddessen) ohne Weiteres getan hat. Also musste eine andere Bedrohung für die hartnäckigen Saudis her: die Invasion von Saudi Arabien!
In diesem Artikel der New York Times wird deutlich wie hart die Regierung von Bush, insbesondere Dick Cheney, daran gearbeitet hat um diese Bedrohung an die Saudis zu verkaufen:
"Von diesem Zeitpunkt an arbeiteten Mr. Bush und seine Helfer fieberhaft über das Wochenende um das möglich zu machen (US-Truppen für Saudi Arabien), den Widerstand von König Fahd und anderen arabischen Führern zu überkommen, dass sie die weitere Bedrohung von Mr. Hussein anerkennen und Hilfe von Aussen akzeptieren."
Diese Bedrohung wurde von Dick Cheney und General Norman Schwarzkopf am 6. August 1990 bei einem Treffen mit König Fahd und Prinz Bandar bin Sultan (Bandar Bush) in Riad besprochen, wo Cheney Satellitenbilder präsentierte die angeblich eine 200`000 Mann starke irakische Truppenpräsenz an der Grenze zu Saudi Arabien zeigte. Es war Prinz Bandar der König Fahd schon zuvor davon zu überzeugen versuchte, die Amerikaner ins Land zu holen und Saddam Hussein zu zerstören, weil dieser ihn offensichtlich angelogen hatte. Er war auch derjenige, der den letzten Versuch von Präsident Bush eine diplomatische Lösung mit Saddam Hussein zu finden sabotiert hatte, als er einen wohlformulierten Brief von Bush an Hussein an die Presse durchsickern liess um den irakischen Diktator öffentlich blosszustellen.
Das Problem an der ganzen Sache war, dass es Beweise von sowjetischen Satelliten gab die belegten, dass es in Kuwait zu keinem Zeitpunkt mehr als 100`000 Mann mit ein paar Panzern in Kuwait gab, wovon gut ein Fünftel am gleichen Tag zurück in den Irak beordert wurde, als Dick Cheney in Riad weilte weil es Aussicht auf Erfolg durch diplomatische Verhandlungen unterhalb der arabischen Staaten gab. Und das allergrösste Problem: es gab überhaupt keine irakischen Soldaten die sich an der Grenze zu Saudi Arabien befanden!

Alles andere ist Geschichte. Wir wissen dass König Fahd dem Drängen der Amerikaner nachgab und US-Truppen ins Land holte, und somit die Weichen auf Krieg stellte. Für die Wahhabiten Saudi Arabiens war das die grösste Demütigung überhaupt. Schon die Teilnahme von einer kleinen Zahl französischer Elitesoldaten die den Sturm auf die Grosse Moschee in Mekka 1979 leiteten, musste vom Herrscherhaus zuerst geleugnet und anschliessend verteidigt werden, da die Wut riesengross war dass "Ungläubige" das grösste Heiligtum des Islams betreten und "beschmutzt" haben. Wie gross war dann erst die Entrüstung über hunderttausende US-Soldaten auf "heiligem Boden"? Zwar waren die US-Soldaten relativ weit weg von den Städten in irgendwo in der Wüste stationiert, doch allein das Bewusstsein dass unter den Soldaten sogar Frauen und Juden waren, radikalisierte viele wahhabitische Anhänger schon sehr früh.

Es war diese Zeit in der Osama bin Laden den Zeitgeist der Wahhabiten aufnahm und ihn schliesslich ein paar Jahre später zuerst zu zwei Fatwas, dann zu seinem Manifest nach den Anschlägen von 9/11 veranlasste. Darin nimmt bin Laden Bezug auf Fakten, die nicht von der Hand zu weisen sind und dennoch bis zum heutigen Tag von den meisten westlichen Präsidenten oder Ministerpräsidenten ignoriert werden. Die besten Beispiele sind zuletzt natürlich Barack Obama oder David Cameron. Es braucht nicht viel Vorstellungsvermögen um zu verstehen, dass die völlige Ignoranz des Leides die der Westen, unter verschiedensten Konstellationen und Bezeichnungen, den Völkern des Mittleren Ostens zugefügt hat. Ein sehr gutes Beispiels lieferte die ehemalige UN-Botschafterin und Aussenministerin in der Regierung von Bill Clinton, Madeleine Albright, als sie 1996 gefragt wurde ob denn der Tod von 500`000 Kindern die amerikanische Politik rechtfertigen würde. Die Antwort von Albright: "Ich denke das ist eine harte Wahl, aber ich denke - wir denken - es ist es wert."

Es ist genau dieser Standpunkt den die Völker des Mittleren Ostens auf die harte Weise lernen mussten. Für sie galt die von George H.W. Bush verkündete neue Ära der Freiheit offensichtlich nicht. Egal welchen Krieg man auch zum Vergleich in der Region heranzieht, jedesmal wenn abertausende Araber ums Leben kamen spielte das eine eher untergeordnete Rolle in unserer Wahrnehmung. Aber sobald westliche Todesopfer oder auch israelische Todesopfer zu beklagen waren, dann war und ist auf gut deutsch "der Teufel los". Und genau das monierte Osama bin Laden in seinem Manifest. Zwar schoss er mit einigen Behauptungen übers Ziel hinaus und benutzte auch teilweise antisemitische Rhetorik, aber den Kern seiner Aussage kann niemand leugnen. Im Gegenteil, insbesondere amerikanische Politiker lieferten und liefern nach wie vor genügend Beispiele die seiner Behauptung recht gaben.

Und das ist einer der wichtigsten Rückschlüsse die man auch heute noch ziehen muss. Diejenigen die Osama bin Laden oder Al Qaida insgeheim gut hiessen, taten das nicht primär aus religiösen Gründen weil sie seine vom Wahhabismus geformte Weltsicht teilten, sondern aus den historischen Fakten die er nannte und der Tatsache, dass er es gewagt hatte den Kampf gegen diese Doppelmoral und Ungerechtigkeit des Westens aufzunehmen. Noch während das mächtigste Land der Welt Osama bin Laden wie einen Fuchs jagde, tötete es hunderttausende Menschen im Irak und Afghanistan und folterte, inhaftierte und deportierte unzählige Männer. In den Augen vieler Menschen war das in der Tat wie ein moderner Kreuzzug gegen sie.

                             US-Soldat in Fallujah mit einer Aufschrift die nach Rache sinnt auf seinem Helm

Eine gewisse Abneigung gegenüber dem Stil von Al Qaida kam erst auf, als der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi brutale Terroranschläge im Irak ausführte, die einer ganz klaren sektiererischen Linie folgte. Das Ziel waren nicht nur die amerikanischen und britischen Besatzer, sondern insbesondere die schiitische Bevölkerung des Iraks.
Ähnlich wie mit dem heutigen "Kalifen" des ausgerufenen Islamischen Staats, tauchte Abu Musab al-Zarqawi scheinbar aus dem Nichts auf und schloss sich und sein Netzwerk nach der US-Invasion offiziell Al Qaida an. Der Terror den das Netzwerk von al-Zarqawi entfachte war fürchterlich und brutal, aber alles andere als wahl- oder planlos. Sein Ziel war es einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten im Irak zu entfachen, was von den USA sogar noch weiter geschürt und somit direkt unterstützt wurde. Es war genau dieser Bürgerkrieg der erst die von den US-Militärs von Anfang an geforderte Truppenaufstockung (in den USA ging der Begriff "the surge" in die Geschichtsbücher ein) möglich machte und von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zuvor vehement abgelehnt wurde, welche dann zusammen mit moderaten sunnitischen Stämmen für ein fragiles Ende des Bürgerkrieges sorgten indem sie das Terrornetzwerk von al-Zarqawi isolierten.

Während wir in Europa am Anfang gegen die US-Invasion noch protestiert haben, verschloss sich mit der Zeit unser Blick in den Irak und wir wurden der täglichen Bilder von Tod und Zerstörung etwas überdrüssig. Was uns dabei entging war nicht nur die Rolle der USA im Irak die für hunderttausende Todesopfer direkt und indirekt verantwortlich war, sondern dass der Irak zu einem Magneten für ausländische Jihadisten wurde. Sie alle folgten dem Ruf ihrer wahhabitischen Mullah`s (ähnlich wie unsere Pfarrer oder Pastoren), den Irak von den "Ungläubigen" zu befreien. Während aber 13 Jahre zuvor ausschliesslich die amerikanischen Soldaten in Saudi Arabien damit gemeint waren, wurde nunmehr auch die schiitische Bevölkerung des Iraks (die Mehrheit im Irak) zum Ziel legitimiert. Und nicht nur sie, auch alle arabischen Despoten die mit den USA paktierten und ihre Bevölkerung unterdrückten sollten ausgeschaltet werden.
Doch für diese Pläne gab es keinen Rückhalt in der Bevölkerung der arabischen Staaten, nicht einmal in dem direkt betroffenen Irak.

Aber was jede Umfrage bewies, war die Tatsache dass sich die USA in der arabischen Strasse zu einem Feindbild entwickelt haben. Und das hat überhaupt gar nichts damit zu tun gehabt (und hat es auch heute nicht) dass die Menschen den amerikanischen "way of life" oder die westlichen Werte hassen würden wie das von einigen behauptet wurde. Es war die Politik der USA die verhasst war und der so viele Menschen zum Opfer fielen. Es waren die Bilder von Abu Ghraib und Guantanamo die die arabische Welt gegen die USA aufbrachte. Und es waren die tausenden von Familien die entweder ein Familienmitglied verloren haben, oder einen ihrer Liebsten irgendwo in irgendeinem US-Gefängnis ausser Landes wissen, oder mit der ständigen Angst leben müssen dass sie durch einen Anschlag getötet oder ihre Kinder entführt werden. Das war das wirkliche "shock and awe" (das Konzept von Schock und Ehrfurcht aus dem Pentagon) das durch die Amerikaner verursacht und ausgelöst wurde, nicht das erdbebenartige Bombardement der US Air Force.

Hezballah wird zum arabischen Vorbild
Es war in dieser kataklystischen Zeit des Bürgerkriegs im Irak als ein anderes arabisches Land nach dem Konzept von "shock and awe" angegriffen wurde: der Libanon.

Es war nicht der erste Krieg den Israel gegen einen arabischen Nachbarn im Sommer 2006 entfachte (Ägypten 1956; Ägypten, Syrien und Jordanien 1967; Libanon 1982-2000). Aber es war der erste Krieg in dem der arabische Gegner - und das nicht einmal die staatliche Armee sondern ein nicht-staatlicher Akteur - nicht besiegt werden konnte und Israel kein einziges, sich vor dem Krieg gesetztes Ziel umsetzen konnte. Natürlich kannte Israel den Gegner, immerhin war er mitverantwortlich dafür dass Israel die 18-jährige Besatzung des Süd-Libanons im Jahr 2000 aufgeben musste. Die Rede ist von Hezballah, der schiitischen "Partei Gottes".


Das Hezballah diesen taktischen Sieg gegen die militärische Supermacht in der Region davontragen konnte, und das trotz der politischen wie auch militärischen Unterstützung die Israel während den Kampfhandlungen aus den USA erhalten hat, führte zu einer unglaublichen Bewunderung weit über den Mittleren Osten hinaus für die "Partei Gottes".
Das einzige was die Euphorie schon nach kurzer Zeit abkühlte war die Tatsache, dass es sich um Schiiten handelte die den spätestens seit 1967 (Verlust von grossen Landesteilen im Junikrieg an Israel) vorherrschenden Fatalismus in der arabischen Welt gebrochen haben.

Nichtsdestotrotz diente dieser aus arabischer Sicht historische Sieg gegen Israel als Modell wie man es gegen eine militärische Übermacht aufnehmen und bestehen kann. Fast noch wichtiger als die militärische Rolle dabei war der soziale Aspekt der diesen "Erfolg" erst ermöglicht hat. Ohne Unterstützung der Lokalbevölkerung hätte es Hezballah niemals geschafft zu dieser Stärke heranzuwachsen. Sie sind es auch die die Hauptlast (er)tragen müssen wenn es zu Kampfhandlungen kam und kommen wird, denn die israelische "Dahiya-Doktrin" (nach dem komplett zerstörten Stadtteil von Beirut durch Israel 2006) sieht eine überproportionale Bombardierung von zivilen Zielen vor, die gemäss dem israelischen Maj.Gen. Gadi Eisenkot von der Regierung gebilligt wurde um ein "erneutes Fiasko" wie 2006 zu vermeiden.

Diese Dahiya-Doktrin wurde zuletzt auch im Gaza Streifen angewendet.

Was wir heute bei ISIS sehen und auch bei der Hamas im Sommer 2014 gesehen haben, ist die Adaption der von Hezballah entwickelten Taktiken um in einem asymmetrischen Krieg zu bestehen. Während aber Hezballah und Hamas beides indigene Organisationen sind, die als Widerstandsgruppen gegen die israelische Besatzung und Unterdrückung entstanden sind und sich im Laufe der Jahre zu politischen Parteien entwickelt haben, mit dem Ziel sich der Besatzung zu entledigen (was im Libanon geglückt ist), führt ISIS etwas ganz anderes im Schilde.

ISIS ist keine einheimische, sondern eine pan-wahhabitische Organisation die es sich zum Ziel gesetzt hat die politische Karte des Mittleren Ostens komplett neu umzuschreiben, und sich nicht wie Hezballah oder Hamas innerhalb dieser modernen Grenzen zu bewegen.
Der Anführer der ISIS, Abu Bakr al-Baghdadi oder "Kalif Ibrahim" wie er sich heute nennt, kam ebenso scheinbar aus dem Nichts wie zuvor schon sein Vorgänger Abu Musab al-Zarqawi. Doch wie schon im Fall al-Zarqawi, ist das nur die halbe Wahrheit. Während al-Zarqawi von der CIA in Afghanistan in den 1980er Jahren rekrutiert wurde und sogar in der grossen Lüge des Colin Powell vor dem Irak Krieg auftauchte (gemeint ist die Rede vor dem UN-Sicherheitsrat), scheint auch der Kalif der ISIS ein Produkt der Geheimdienste zu sein. Gemäss dem Whistleblower Edward Snowden soll ISIS von den Geheimdiensten der USA und Israel ins Leben gerufen worden sein, um ein "Hornissen Nest" für alle Extremisten der Welt an einem Platz zu bilden.

Während ISIS eine pan-wahhabitische Organisation ist, ist al-Baghdadi aber ein Mann der die US-Invasion und Besatzung - und des ganzen damit verbundenen Schreckens - selbst miterlebt und vielleicht sogar al-Zarqawi gekannt hat. Auch wenn es stimmen sollte dass er eine Kreation der CIA und des Mossad ist, seine Anhänger und der fortlaufende Strom an weltweiten Rekruten sind es nicht. Sie alle vereint aber nicht nur die wahhabitische Ideologie, sondern die Erfahrung der letzten 24 Jahre die eigentlich eine neue Ära der Freiheit hätte einläuten sollen, auch wenn sie vielleicht 1990 noch nicht einmal auf der Welt waren.
Auch die normalen Menschen im Irak und Syrien, jenen Gebieten wo sich heute der Islamische Staat gebildet hat, teilen diese Erfahrung auch wenn sie nicht die brutalen Methoden der ISIS gutheissen. Sie wurden vom Westen angegriffen (direkt oder durch Stellvertreter), verraten und schliesslich im Stich gelassen. Millionen von Sunniten im Irak, die unter Saddam Hussein Privilegien genossen und diese nach der US-Invasion verloren haben und zusehen mussten wie ihre Zukunftsperspektiven vernichtet wurden, sahen und sehen in ISIS eine Möglichkeit, in diesem Islamischen Staat wieder ihre gewohnte Stellung zu erreichen. Die Scharia, welche bei uns im Westen schon fast verteufelt wurde, ist für diese Menschen aber ein Gesetzeswerk, welches für Stabilität und Ordnung sorgt und somit der bestehenden Instabilität und Unordnung der vom Westen durchgesetzten "Demokratie" vorzuziehen ist. Junge Sunniten die arbeitslos sind, keine Perspektive haben und Hunger leiden, werden von ISIS wie ein Magnet angezogen.

Millionen von Arabern wurden in den letzten Jahrzehnten vom Westen enttäuscht. Hunderttausende mussten durch die vom Westen und Israel entfachten Kriege ihr Leben lassen. Hunger und im Falle des Iraks auch Perspektivlosigkeit bringen die Sunniten gegen ihre politische Führung auf und treiben sie in die Hände der ISIS. Der sogenannte Arabische Frühling entledigte sich zwar schnell zweier langjähriger Diktatoren in Tunesien und Ägypten, doch in Ägypten wurde jetzt im Nachhinein nur der eine Diktator mit dem anderen ausgetauscht. Hezballah hat gezeigt wie man eine Aggression von Aussen bezwingen kann, was bei der ISIS sehr wohl in ihrer Planung mitberücksichtigt wird. Was ISIS ebenfalls gelernt hat, ist die Wirkung von "shock and awe" auf das Zielpublikum. Ihre Hinrichtungen von westlichen Geiseln die mit den Symbolen der amerikanischen Ungerechtigkeit versehen werden (der gleiche Häftlingsanzug wie in Guantanomo), erreichen genau das was gewünscht wird: "shock and awe" in der amerikanischen und britischen Bevölkerung. 

Sie wissen dass die Regierungen in Washington und London auf diese Morde genauso reagieren werden wie sie es eben getan haben, was den Menschen im Mittleren Osten als Beweis dient, dass ein einziges westliches Menschenleben mehr wert ist als hunderttausende eigene Menschenleben.
Das alles macht den "Erfolg" der ISIS aus, welcher sich nicht durch militärisches Eingreifen der USA und der "Koalition der Willigen" wegbomben lassen wird.

Freitag, 3. Oktober 2014

Türkei macht mit... Deutschland auch

"Türkei macht mit!", hörte ich heute Morgen zum wiederholten Male aus dem Radio. Gemeint ist die Entscheidung des türkischen Parlaments, der Regierung ein Mandat für Kampfeinsätze im Irak und Syrien zu erteilen.
Beinahe feierlich wurde dieses "Türkei macht mit!" verkündet, als ob es sich um einen wichtigen gesellschaftlichen Festakt handeln würde wo noch der letzte Star seine Zusage erteilt hat. Was wohl in dieser mir schleierhaften Euphorie über diese Entscheidung des türkischen Parlaments völlig untergegangen ist, ist die kritische Hinterfragung dieser Meldung. Es scheint sich offensichtlich niemand daran zu stören dass diese Entscheidung einer Mandatserteilung absolut illegal ist, sofern sie denn in die Tat umgesetzt werden würde. Ohne Mandatserteilung für einen Kriegseinsatz der Vereinten Nationen kann kein Parlament irgendwelche Mandate für einen Kriegseinsatz ihrer Streitkräfte in einem anderen souveränen Land erteilen. Einzige Ausnahme würde eine direkte Bedrohung für die eigene Souveränität darstellen, die von diesem anderen Staat ausgeht.

Doch Syrien unter der Regierung von Bashir al-Assad stellt keine Bedrohung für die Türkei dar, genausowenig wie das der Fall Ende 2012 war als die Türkei ganz plötzlich Patriot-Raketen der NATO zur Verteidigung einer syrischen Aggression anforderte.
Die ISIS kann auch nicht plötzlich zu einer glaubhaften Bedrohung geworden sein. Bis vor Kurzem verhandelte die türkische Regierung sogar noch mit der ISIS über die Freilassung der im irakischen Mosul gefangengenommenen Diplomaten. Präsident Erdogan sagte selbst dass es "diplomatische und politische Verhandlungen" mit der ISIS gab, die dann schliesslich zur Freilassung der Geiseln geführt haben. Diplomatische und politische Verhandlungen? Wie können diplomatische Verhandlungen zwischen einem Staat und einer selbst von der UN-deklarierten Terrororganisation geführt werden? Natürlich sieht sich ISIS nicht selbst als eine Terrororganisation, sondern als eben den ausgerufenen Islamischen Staat (IS). Wenn nun ein Staatspräsident wie Erdogan hingeht und sagt dass es "diplomatische und politische Verhandlungen" gab, dann kommt das einer stillschweigenden Anerkennung dieser Terrororganisation zu einer politischen Entität ziemlich nahe. "Es war ein diplomatischer Erfolg", doppelte Erdogan nochmal nach.

Und wieso auch nicht? Immerhin spielte die Türkei nebst den USA, Saudi Arabien und Qatar die wichtigste Rolle im Krieg gegen Bashir al-Assad (siehe auch "Türkei`s Rolle in Syrien"). Die wahhabitischen Extremisten in Syrien sind ebenso ein Kind der Türkei wie von Saudi Arabien und Qatar, nur das die Türkei sozusagen im Tagesgeschäft mit ihnen stand. Wie sonst könnte Jabhat al-Nusra direkt an der Grenze zur Türkei einen so langen Krieg gegen die syrische Armee führen wie in Aleppo, wo im Norden die kurdischen Kämpfer der YPG und im Osten und Süden die syrische Armee und Einheiten der Hezballah stehen? Da bleibt nur der Nachschubweg aus der Türkei übrig.
Es ist ja nicht so als ob die türkische Rolle ein Geheimnis gewesen wäre. Selbst die türkische Opposition beschuldigte die Regierung Erdogan der Kollaboration mit der ISIS und Jabhat al-Nusra, was für Erdogan ziemlich peinlich wurde als schliesslich Bilder aus einem staatlichen Krankenhaus in Hatay/Türkei auftauchten, die einen verletzten Kommandeur der ISIS zeigten.

                                        ISIS-Kommandeur Abu Muhammed im Krankenhaus in Hatay: 16.04.2014

Eine türkische Krankenschwester aus einer Privatklinik in Mersin beschwerte sich bei den Lokalbehörden und sogar vor dem Parlament, dass es "sie krank macht ISIL Militante zu versorgen". Auch eine der besten deutschen Nachrichtensendungen, MONITOR, dokumentierte bereits letztes Jahr die Rolle der Türkei im Zusammenhang mit den wahhabitischen Extremisten. Und was zu diesem Zeitpunkt offensichtlich niemandem in Deutschland grossartige Sorgen machte: die deutsche Rolle dabei. Indem Deutschland bewusst die Augen vor den "ausreisewilligen Jihadisten" verschloss und teilweise sogar aktiv unterstützt hat, trug die deutsche Bundesregierung indirekt auch genau dazu bei dass dieses Monster das man jetzt aus dem Weg räumen möchte, erst so stark werden konnte.

Auch wenn Erdogan sich jetzt vor seinem Parlament für eine Mandatserteilung für den "Krieg gegen Terror" der ISIS stark gemacht hat, es darf stark bezweifelt werden dass er es damit ernst meint. Erdogan forderte nicht nur ein Vorgehen gegen die ISIS, sondern gegen alle Terroristen und insbesondere auch gegen Assad. Dazu muss man wissen dass die Türkei schon seit längerem auch im Irak immer wieder Kampfeinsätze durchführt, aber nicht gegen die wahhabitischen Extremisten. Seine Ziele dort waren die Kurden.

Kann es also sein dass sein wahres Ziel nicht die ISIS ist, mit denen er ja erst vor ein paar Tagen noch einen "diplomatischen Erfolg" feierte, sondern die Kurden auf syrischem Gebiet? Denn mit seiner Rhetorik gegen Assad feuert er genau in die entgegengesetzte Richtung als das was die Vereinigten Staaten eigentlich vorhaben, was auch der türkischen Zeitung Todays Zaman aufgefallen ist.
Erdogan hat keine Angst vor den wahhabitischen Extremisten, aber wovor er Angst hat ist eine Entwicklung die ihm und dem türkischen Militär überhaupt nicht schmeckt: Kurdistan.

Mit Schrecken hat Ankara zur Kenntnis nehmen müssen wie die Kurden im Irak plötzlich militärisch ausgerüstet werden, was wie ich auch schon geschrieben habe weniger für einen Kampf gegen ISIS taugen wird, als zur Verteidigung des eigenen kurdischen Gebietes, welches de facto bereits heute ein eigenständiger Staat im Irak ist.
Die syrischen Kurden welche heute einen bemerkenswerten Kampf gegen die ISIS führen und in den letzten Tagen Unterstützung der türkischen Kurden der PKK (welche von der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist) erhalten haben, könnten Morgen zusammen mit den türkischen Kurden ein Gross-Kurdistan fordern. Bereits jetzt ist die Grenze zwischen der Türkei und Syrien stellenweise erodiert, wo auf beiden Seiten der Grenze Kurden leben und nun zusammen eine Stellung gegen die ISIS bilden.

              Türkische und syrische Kurden reissen einen Grenzzaun bei Suruc nieder: Foto von Reuters 26.09.14

Könnte es also sein, dass Erdogan mit seiner anti-Assad Rhetorik einen Handel mit Washington zu erzielen versucht, indem er sich der Strategie der US-geführten "Koalition der Willigen" offiziell unterordnet und man dafür nicht genau hinschauen wird was die Türkei gegen die Kurden plant? Die Kurden selbst scheinen diese Gefahr auch als solche erkannt zu haben.
Für Deutschland als NATO-Partner der Türkei kann dieses türkische Roulette sehr gefährlich werden, zumal die NATO eine Chance wittert aktiv in das Kriegsgeschehen in Syrien einzusteigen.