Mittwoch, 5. Dezember 2012

Reaktionen auf Post vom 04.12.12

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei allen bedanken die ihre Reaktionen auf den gestrigen Post per E-Mail kund getan haben. Ich lade euch alle ein, gerne auch die Möglichkeit direkt unter den jeweiligen Posts zu nutzen um eure Kommentare und Gedanken mit uns allen zu teilen.

Der Grund weshalb ich mich hier öffentlich dazu äussern möchte liegt darin, dass es einige Fragen gab die eventuell auch andere Leser und Leserinnen interessieren könnte. Insbesondere eine Frage möchte ich hier gerne beantworten. Diese ist in Fettschrift dargestellt (natürlich ohne Namen oder E-Mail Adresse) und meine Einschätzung oder Meinung dann direkt darunter.

- Wieso denken sie das einige salafistischen Splintergruppen in Syrien an die Macht kommen könnten? Sie schreiben das es sich um die gleichen Gruppen handelt wie im Irak, müsste sie also nicht das gleiche Schicksal ereilen wie im Irak? Auch dort haben sunnitische Extremisten versucht die Macht an sich zu reissen und wurden aber besiegt.

Zunächst habe ich von einer bestimmten Gruppierung gesprochen deren Hintermänner ebenfalls im Irak aktiv waren und Beziehungen zur Al Qaida pflegten, nämlich Jabhat-al Nusra. Diese Gruppe hat sich der selben wahhabitischen Ideologie verpflichtet wie Al Qaida, in einigen Kreisen wird sogar vermutet dass es sich bei der syrischen Gruppe effektiv um Al Qaida`s ersten Ableger in der Levante handelt. Die Indizien würden diese Theorie sogar bekräftigen: sie verwenden die gleichen Methoden wie im Irak, sie erhalten generöse Unterstützung aus den Scheichtümern des Persischen Golfes (wie im Irak), die Ziele sind die selben geblieben (Errichtung eines Kalifates) sowie die Feinde sind die selben geblieben (säkulare muslimische Führer, USA, Israel und Schiiten).
In den letzten Wochen gab es insbesondere aus Aleppo unterschiedliche Meldungen der Islamisten, die mal ein "Islamisches Kalifat Aleppo" ausriefen und nichts mit der erst kürzlich in Qatar gegründeten "Nationalen Koalition" (eine bunt zusammengewürfelte Gruppe die auf grossen internationalen Druck zustande kam und umgehend von Frankreich als einzig legitimes Sprachrohr des syrischen Volkes anerkannte) zu tun haben wollte. Dann zogen sie ihre Behauptung zurück (vermutlich ebenfalls auf Druck von Saudi Arabien und Qatar, den grössten Geld- und Waffengebern) aber bestanden auf den Standpunkt, dass sie von Demokratie nichts wissen wollen und es nur als "Westliche Verschwörung" einstufen. Das "Islamische Kalifat Aleppo" bzw. die eroberten Stadtgebiete Aleppo`s erhielten dann den Namen "Befreite Zone", was in den Ohren der Europäer und Amerikaner einfach besser und vertrauter klingt. Das aber am 22. November 2012 von dem neu gegründeten "Komitee zur Bestimmung von Guten und Verbot von Ungläubigen Taten" in Aleppo bereits das erste Dekret zur Einführung der Scharia nach dem Vorbild Saudi Arabiens verkündet wurde, scheint bisher in der Medienlandschaft noch niemanden gross zu interessieren. Mit diesem Dekret danken sie verschiedenen saudisch-wahhabitischen Gelehrten für ihre entsprechenden "Fatwas" und führten als allererstes ein Fahrverbot für Frauen ein.

Und das ist einer der grossen Unterschiede zum Irak. Dort wurden Al Qaida und ihr nahestehende Gruppierungen von den USA und den Briten gnadenlos gejagt. In Syrien wurden aber die selben Terroristen in Rebellen umgetauft und erhalten breite internationale Unterstützung. Auch die ethnische Landschaft sieht im Irak total anders aus als in Syrien. Nach hunderten Jahren der Unterdrückung schaffte es endlich die schiitische Mehrheit an die Macht, in Syrien hingegen hat die den Schiiten zugeordete Alewitische Minderheit vor 40 Jahren die Macht an sich gerissen. Das bedeutet, dass vielen Menschen die zwar mit der wahhabitischen Ideologie von Gruppen wie Jabhat-al Nusra ansonsten nichts (zumindest bisher) am Hut hatten, die herrschende Clique von Alewiten aber sehr wohl ein Dorn im Auge war, dass Teile von diesen Menschen durchaus für den Moment nicht abgeneigt sind die neuen "Herrscher in der Strasse" zu unterstützen.
Und so wie es aussieht scheint gerade das in Aleppo passiert zu sein. Denn aus anderen Teilen des Landes wo die Gruppe Dörfer, Städte oder Stadtteile erobert hat, sind die meisten Bewohner aus Angst vor dem drohenden Unheil geflohen. Nachdem aber in Aleppo die Gebiete unter wahhabitischer Kontrolle von dem christlichen Teil und anderen Minderheiten der Bevölkerung "gesäubert" wurde, scheint es aber eine beträchtliche Anzahl zu geben die dennoch geblieben ist und die neue Realität vorerst akzeptiert zu haben.
Und genau DAS ist in meinen Augen das gefährliche an der Situation wo man nicht weiss wie diese und ähnliche Gruppierungen, allesamt dem einen und vereinten Ziel verschrieben (nicht nur Sturz von Assad, sondern auch Errichtung eines Kalifats), reagieren werden sollte es tatsächlich zu einem Machtwechsel in Syrien kommen. Werden sie ihre bereits errichteten "Befreiten Zonen" nach dem Vorbild Saudi Arabiens zugunsten einer "Nationalen Koalition" aufgeben? Oder wird es zu einer Aufteilung der Gebiete nach dem Recht des Stärkeren kommen, aber um westliche Legitimität zu erlangen verpackt unter dem Mantel der Muslimbruderschaft? Sollte sich die syrische Geschichte zum Letzteren entwickeln, was meiner Meinung nach nicht im Geringsten ins Reich der Träumerei anzusiedeln ist, dann hätten diese Elemente Zugang zu einem für sie riesengrossen Waffenarsenal wo bestehende Geheimabsprachen zwischen Syrien und den verschiedenen Nachbarn keine Gültigkeit mehr hätten.

Noch kurz der letzte Satz zur Al Qaida im Irak: sie wurde dort nicht besiegt. In die Enge getrieben und dezimiert, ja, aber nicht besiegt. Nach wie vor gibt es viele Anschläge mit zahlreichen Opfern die der Organisation zugeschrieben werden. Nur sind sie grösstenteils aus der Berichterstattung verschwunden. 

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