Mittwoch, 25. Juni 2014

ISIS: Dilemma für USA und Westen

ISIS beherrscht die Auslandsnachrichten in den letzten Tagen fast auf der ganzen Welt. Und das völlig zurecht. Nur unterscheidet sich die Story die sich auf dem Boden abspielt mit jener, die uns in den Nachrichten gezeigt werden.

So versuchte beispielsweise die schweizer Neue Zürcher Zeitung das "Erfolgsrezept" von ISIS zu ergründen, wobei in diesem Artikel nicht formuliert wird was genau als "Erfolg" definiert wird. Vermutlich wird es sich um die grosse territoriale Kontrolle der ISIS handeln und die "Eroberungen" der letzten Tage im Irak. Aber bereits der erste Satz in diesem Artikel ist völlig falsch und führt schliesslich auch zu falschen Schlüssen: "Der Krieg in Syrien hat der jihadistischen Internationale einen noch nie da gewesenen Energieschub verpasst."

Es ist nicht erst der Krieg in Syrien der "jihadistische Internationale" angezogen und einen "noch nie dagewesenen Energieschub" verpasst hat. Dieser Prozess begann bereits mit der US-Invasion des Iraks im Jahr 2003, welcher den Irak im Laufe der US-Besatzung zu einem Magneten von internationalen Jihadisten verwandelt hat, die dem Aufruf zur Befreiung von muslimischem Land vom Joch der amerikanischen "Ungläubigen" gefolgt sind. Diese Art von Jihad ist ein fester Bestandteil des muslimischen Glaubens weltweit; jedes muslimische Land das von Nicht-Muslimen angegriffen oder besetzt wird, gilt es zu verteidigen und den Aggressor zu vertreiben.

Der Bürgerkrieg der 2006 zwischen Sunniten und Schiiten im Irak ausbrach, diese sektierische Gewaltorgie die es zuvor unter der gewöhnlichen Bevölkerung nicht gab, wurde erst von den USA ermöglicht und sogar aktiv geschürt wie eine Dokumentation des britischen Guardian gezeigt hat. Selbst ein Kommandeur der ISIS in Bagdad, Abu Baqr al-Janabi, sagte dass es vor der US-Invasion nicht so etwas wie einen Kampf zwischen Sunniten und Schiiten gab. Er sagte aber auch, dass zumindest nach seiner Meinung dieser Graben nie wieder geschlossen werden kann. Dieser extreme Hass auf die Schiiten, wurde durch solche Aktionen wie sie in der Doku des Guardian gezeigt wurden nur weiter geschürt, wobei die Indoktrination der ISIS-Extremisten direkt aus wahhabitischen Madrassen und von Saudi Arabien finanzierten "Islamischen Zentren" stammt (siehe auch meinen Bericht "Warum Saudi Arabien gefährlich ist").

Den zweiten "Energieschub" erhielten die Jihadisten durch die NATO-Bombardierung von Libyen im Jahr 2011, die die jihadistischen Kräfte auf dem afrikanischen Kontinent erst so richtig entfesselt haben. Während der langjährige Diktator von Libyen das Land durch sein System beisammen hielt und die Menschen ihren Alltag in relativem Frieden und, verglichen mit anderen afrikanischen Ländern, in relativem Wohlstand verbracht haben, zerstörte die NATO genau dieses System. Die jihadistischen Strömungen die von Qaddhafi noch in Schach gehalten wurden, konnten sich anschliessend frei entfalten und stürzten benachbarte Länder ins Chaos oder zogen dorthin wo der Westen eine neue Front schuf wo ihre Kräfte gebraucht wurden: Syrien.


Es ist also ein vollkommener und weitverbreiter Irrtum der in unseren Medien herumgeistert und den Aufstieg der ISIS dem vom Westen unterstützten Krieg (und natürlich der Türkei, Israel und der Petromonarchien der Arabischen Halbinsel) gegen den syrischen Präsidenten Assad in die "Schuhe schieben".

Während ISIS in Syrien anfänglich dafür benutzt wurde um Präsident Assad zu stürzen und deshalb aus verschiedenen Staaten Unterstützung erhielt, steht jetzt die gleiche Organisation im Irak am Pranger der Weltöffentlichkeit. Dabei fehlt genau dieses wichtige Element in der Berichterstattung unserer Medien. Ohne diese Unterstützung hätte es ISIS nie soweit geschafft und hätte das gleiche Schicksal erlebt wie Al Qaida. Im Yemen, Afghanistan, Pakistan und Somalia wird von den USA eine regelrechte Jagd nach Al Qaida Mitgliedern betrieben und mit Drohnen zugeschlagen, während in Syrien und im Irak solche Gruppierungen bestenfalls in Ruhe gelassen oder schlimmstenfalls sogar unterstützt werden.

Was George W. Bush nicht gelungen ist, ist in den letzten Tagen ausgerechnet ISIS gelungen: nämlich einen "Dominoeffekt" (die aberwitzige Vorstellung der Bush-Administration durch den Sturz von Saddam Hussein die anderen arabischen Länder zu demokratisieren) zu erzielen. Bisher ist dieser Dominoeffekt auf sunnitische Gebiete im Irak beschränkt geblieben. Wenn es der ISIS aber gelingt ihre brutalen Methoden die in Syrien unter ihrer Herrschaft angewendet wurden abzustreifen, dann könnte sich der Dominoeffekt über eine grössere Fläche hinwegziehen. Erste Hinweise dass genau das passiert gibt es aus der irakischen Stadt Mosul, die von ihren irakischen "Verteidigern" aufgegeben wurde.
Wie John Beck vom Vice-Magazin berichtet, sind die brutalen Übergriffe der neuen Machthaber ausgeblieben und die Menschen zeigen sich durchaus positiv überrascht. Sollte sich dieser Trend weiter entwickeln und ISIS dafür Sorge tragen dass es in der Stadt Ruhe und Ordnung gibt, Läden geöffnet sind und auch die allgemeine Versorgung gewährleistet bleibt, dann gibt es für einen grossen Teil der Bevölkerung keinen Grund weshalb man sich gegen ISIS und für die Zentralgewalt in Bagdad entscheiden müsste. Dieses Model liesse sich dann erfolgreich weiter "verkaufen".

Und hier fängt das Problem für die USA und den Westen an, aber auch für alle Länder des Mittleren Ostens die bisher mit Wohlwollen oder aktiver Unterstützung der Entwicklung von ISIS gegenüberstanden.

Was will ISIS überhaupt? Diese Frage ist relativ schnell beantwortet, findet man doch die Antwort bereits im Namen der Organisation: Islamic State of Iraq and al-Shams.
Was mit Irak gemeint ist, ist klar. Aber was ist mit al-Shams? Mit Al-Shams wird auf arabisch das historische Gebiet von Gross-Syrien bezeichnet, welches sich über eine ganze Reihe von heutigen, modernen Staaten erstreckt.

Davon betroffen wären die modernen Staaten Syrien, Libanon, Israel-Palästina, Jordanien und Teile der Türkei. Und ISIS macht keinen Hehl über ihre Absichten, es liegt nur an unseren Medien dass diese Absichten bisher unerwähnt blieben. Die künstlichen Grenzen die von den Kolonialmächten nach dem Ersten Weltkrieg gezogen wurden, erweisen sich nun als nicht zu verteidigende Linien auf Landkarten. Die Staaten die aus den Ruinen des Osmanischen Reiches errichtet wurden, hätten nie in dieser Form, ohne Rücksicht auf Stammesstrukturen oder kulturellen Gegebenheiten, entstehen dürfen. Der ungelöste Konflikt zwischen Juden und Palästinensern, zwischen Israel und Palästina, treibt seit 100 Jahren Stosswellen in den arabischen Raum, die nur durch die herrschende Elite in diesen Ländern abgefangen wurde aber in der Bevölkerung gewaltige Auswirkungen hatte und nach wie vor hat.

Um den ungelösten Konflikt mit Israel zu klären, gründete ISIS bereits letztes Jahr eine Sondereinheit (Al Quds Unit) die in den palästinensischen Flüchtlingscamps in Syrien, Libanon, Jordanien, der West Bank und Gaza das Elend der Palästinenser ausnutzt, um sich deren Rückhalt für den Tag X zu sichern. Obwohl die Palästinenser alles andere als dem Wahhabismus der ISIS freundlich gesinnt sind, so könnte durchaus eine Allianz mit einem Akteur in der Region entstehen, der sich als potent und engagiert zeigt. Wenn der Pan-Arabismus von Gamal Abdel Nasser das Joch der zionistischen Unterdrückung nicht beenden konnte, ebenso wenig wie der Islamismus, von den palästinensischen Parteien und Aufständen ganz zu Schweigen, dann könnte für diese Menschen die Idee eine islamischen Kalifats durchaus zu einer überlegenswerten Alternative werden. Vorausgesetzt natürlich, dass tatsächlich der Islam im Vordergrund steht und nicht der Wahhabismus, ansonsten hätte man ein oppressives Regime mit einem anderen ausgewechselt.

Aber auch, oder insbesondere für Saudi Arabien stellt ISIS eine enorme Bedrohung dar. Im Gegensatz zu Israel, welches über eine hochgerüstete und kampferprobte Armee verfügt, ruht Saudi Arabiens Sicherheit auf zwei Schultern: der Nationalgarde und der Armee.
Das Problem aus saudischer Sicht ist aber, dass die Nationalgarde prinzipiell dafür da ist den König vor einem Putsch zu beschützen, und die Aufgabe der saudischen Armee ist die Verteidigung des Staates. Während die Nationalgarde von den USA gut ausgerüstet und trainiert wurde, stellt die Armee eher ein Sicherheitsrisiko dar. Die Nationalgarde besteht hauptsächlich aus den Nachfahren der Ikhwan, der wahhabitischen Eiferer die zusammen mit Ibn Saud in den 1930er Jahren die anderen Stämme der Arabischen Halbinsel vernichtend geschlagen und sie zum Wahhabismus gezwungen haben. Sie sind nach wie vor der strengen Ideologie verpflichtet, während die Armee auch aus Soldaten besteht die durchaus kritisch der Staatsreligion gegenüber stehen können.
Was passiert aber, wenn ISIS die ebenso künstlichen Grenzen zwischen Irak und Saudi Arabien überrennt und den Nachfolgern der Ikhwan, die schon einmal von dem Gründer (Ibn Saud) des modernen Saudi Arabien im Stich gelassen und sogar bekämpft wurden, eine bessere wahhabitische Führung in Aussicht stellen? Dass das Herrscherhaus Al-Saud korrupt und alles andere als streng religiös ist, ist für die Saudis schon längst kein Geheimnis mehr und der Unmut darüber aber dafür ziemlich gross. Wie genau sich die Offiziere der Nationalgarde verhalten würden sollte die ISIS in das saudische Staatsgebiet eindringen und ihnen ein "unmoralisches Angebot" unterbreiten, kann niemand voraussagen.


Es kann also nicht im Interesse der USA sein, dass es überhaupt zu so einer Situation kommt wo die ISIS einen Flächenbrand in einer der wichtigsten Regionen der Welt entfachen kann, indem an staatlichen Strukturen gerüttelt wird die sich zu Amerikas "Freunden" zählen. Die amerikanischen Optionen für eine Antwort auf diese Bedrohung sind aber denkbar schlecht. Das Chaos dass die USA im Irak hinterlassen haben und das Chaos dass in Syrien geschürt wurde, haben den Raum für Handlungen massiv eingeschränkt. Zumal der Aufstieg und Vorstoss der ISIS der Regierung von Barack Obama bekannt war und ultimativ zugelassen wurde, auch wenn John Kerry das Gegenteil behauptete (es wäre aber nicht das erste Mal dass der Aussenminister gelogen hat), nur um den iranischen Einfluss auf die Regierung von Nouri al-Maliki durch dessen Sturz einzudämmen. Diese Form von regime change wurde von Washington kurz nach dem Fall von Mosul an die ISIS von Washington gefordert, obwohl er und sein politischer Block die Parlamentswahlen im April klar gewonnen haben. Die offizielle Linie des Weissen Hauses ging dann doch nicht soweit um seinen Rücktritt zu fordern, aber die Obama-Administration drängte ihn zu einer "Nationalen Rettungs Regierung", indem die Resultate der Parlamentswahlen ausser Acht gelassen werden und auf die Forderungen der Sunniten eingegangen wird. Doch auch hier lässt sich Maliki bis jetzt nicht in die Ecke treiben, er kündigte an die Regierungsbildung nach den Ergebnissen der demokratischen Wahlen vom April voranzutreiben. Ausserdem würde ein Rücktritt oder Sturz von Nouri al-Maliki kaum etwas an der Situation mit der ISIS ändern, wie dieser Artikel zeigt.

Maliki`s Politik (nicht nur die Politik, sondern allein die Tatsache dass sie nicht mehr an die absolute Macht im Irak kommen können) trieb zwar viele Sunniten in die Hände der ISIS, doch ein Wechsel an der Macht würde die Ziele der Organisation nicht ändern. Ebensowenig liesse sich das Problem mit der Aufteilung des Iraks in drei Staaten ändern; einen kurdischen Staat im Norden, einen sunnitischen im Westen und einen schiitischen Staat im Süden mit Bagdad als Hauptstadt. Die ISIS wäre nach wie vor präsent und würde die Kontrolle über das sunnitische Gebiet ausüben.

Nachdem ich versucht habe aufzuzeigen dass das nicht im Interesse der USA, des Westens im Allgemeinen und der arabischen Staaten im Besonderen sein kann, bleibt also im Grunde nur noch ein militärisches Eingreifen übrig um die ISIS zu zerstören. Solch ein Eingreifen wird von der ISIS aber geradezu freudig erwartet, weil sie das propagandistisch ausschlachten können um den Sunniten in der Region zu beweisen, dass die USA es auf die Sunniten abgesehen haben während gleichzeitig mit dem schiitischen Iran verhandelt wird. Für die wahhabitischen Extremisten wird das den Hass auf die Schiiten nur weiter anheizen und sie in noch grösseren Zahlen in die Hände der ISIS treiben. Washington wurde vor dieser Tatsache von sämtlichen Ländern der Region gewarnt. Egal ob es sich um Saudi Arabien, Qatar oder auch dem Iran handelte, sie alle warnten die USA vor den Konsequenzen einer US-Intervention.
Zumal es nicht ausreichen würde nur im Irak zuzuschlagen um das Kaliphat der ISIS zu zerstören, sondern eben auch in Syrien. Und das würde bedeuten, dass eine vollkommene politische Neuorientation von Washington in Syrien stattfinden muss, eine in der die USA zumindest im Geheimen mit Assad arbeitet um gemeinsam gegen ISIS vorzugehen. Aber das erscheint mir eher unwahrscheinlich.

Was für andere Möglichkeiten hat Washington also noch? Im Grunde bleibt nur der politische Weg übrig. Die Regierungsstrukturen des Iraks müssen gestärkt werden, Iran`s Einfluss im Irak und Syrien muss anerkannt und genutzt werden, sowie die Unterstützung für sämtliche Jihadistische Strömungen in Syrien unterbunden werden. Oder eine "Globale Grosse Allianz gegen den wahhabitischen Terror" wie es in der Huffington Post in einem Artikel gefordert wurde.
Diese Stärkung der irakischen Regierungsstrukturen beinhaltet selbstverständlich auch die Stärkung der irakischen Armee, für welche die Amerikaner "intensive und nachhaltige" Hilfe zugesprochen haben. Auch Russland sicherte der Regierung Maliki "komplette Unterstützung im Kampf gegen die Jihadisten" zu. Will Washington das bisschen Einfluss das im Irak noch geblieben ist auch behalten, werden die Strategen wohl oder übel einen Weg finden müssen wie sie ISIS zurückdrängen können. Ansonsten dürfte sehr schnell der russische Bär in Bagdad vor der Tür stehen und die versprochene Hilfe auch in die Tat umsetzen. Dass Moskau zu seinem Wort steht, hat man in Syrien bewiesen.


1 Kommentar:

  1. Araber sind Ikonoklasten -- d.h. sie lehnen Bilder ab.

    Dummerweise liebt aber der westliche Mensch die Bilderflut (Youtube, Kunstaustellungen etc.) -- und damit terrorisiert er die lieben Araber, die sich kaum an diese Bilderflut gewöhnen können sondern sogar jetzt selbst Youtube etc. für ihre Zwecke einsetzen.

    Irgendwann einmal wird der westliche Mensch hoffentlich seine vielen INDIREKTEN methodischen Umwege (Bilder, Kunst, Schrift, Bücher ,„Geschichte“, Genetik, etc. etc.) vielleicht nicht mehr brauchen…

    Die alten Araber (die Religion des Mondes) haben uns gezeigt, wie man auch ohne Bilder und korrupte Kunstausstellungen sowie Medien-Overkill überall leben kann...

    Kein Wunder, dass jetzt die armen bild-terrorisierten Araber überall Amok laufen... (ISIS, IS, el Kaida, etc.)

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