Freitag, 12. April 2013

Iran: Wahljahr 2013

Mullahkratie, Diktatur,  Staatsterroristen sind nur einige wenige Synonyme unter welchen der Iran hauptsächlich in den USA bekannt ist. Es gibt noch viele weitere mit negativer Konnotation, welche das iranische Pendant des "Grossen Satan" (so werden die USA vielfach im Iran bezeichnet) fast als harmlos wirken lassen. Diese gezielte negative Rhetorik dient aber einem einfachen Zweck, nämlich der Übermittlung eines gänzlich falschen Bildes hauptsächlich für die eigene Bevölkerung. Und wenn andere Bürger aus anderen Staaten dieses Narrativ übernehmen, um so besser.
Wenn dann das Weisse Haus, oder auch der unter der Fuchtel der zionistischen Lobby (pro-Israel trifft den Nagel nicht auf den Kopf, da diese Lobby Israel mehr schadet als Gutes tut, aber dem zionistischen Projekt sehr wohl dient) stehende Kongress, irgendwelche drastische Massnahmen gegen den Iran ergreift, dann werden sich die amerikanischen Durchschnittsbürger kaum in Kritik üben. Ganz im Gegenteil, Washington darf auf breite Zustimmung hoffen solange es nicht unbedingt einen Krieg vom Zaun brechen will.  

Das Bild welches suggeriert werden soll ist eindeutig und klar definiert: der Iran ist ein Staat, in welchem bärtige Mullahs eine Diktatur errichtet haben und jegliche Opposition im Keim ersticken, und obendrein noch Nuklearwaffen haben wollen um entweder Israel auszulöschen oder sie Terroristen zur Verfügung zu stellen.

Stimmt dieses Bild aber auch? Das ist eine Frage die offensichtlich nur sehr wenige Menschen in den USA, Kanada, Grossbritannien aber auch Deutschland und Frankreich interessiert. Jedes falsche Wort aus dem Iran wird in diesen Ländern für bare Münze genommen und als Beweis dafür gewertet, dass das suggerierte Bild auch tatsächlich der Wahrheit entspricht. Mitunter wird dann auch krampfhaft an Lügen festgehalten, wie das Beispiel mit dem "Israel muss von der Landkarte getilgt werden" gezeigt hat. Und DAS macht die ganze Sache dann erst so richtig gefährlich, da diese Lüge als Rechtfertigung für verschiedenste Akte der Aggression herhalten muss und den europäischen Ländern als bequemer Vorwand für Rüstungsgeschäfte mit Ländern wie Saudi Arabien und den anderen Scheichtümer dient.

Wie sehr dieses Bild verzerrt ist, zeigt (und wird in der "heissen Phase" erst richtig zeigen) die Präsidentschaftswahl dieses Jahr im Iran, welche am 14.06.2013 statt finden soll. Denn die vielen negativen Beschreibungen dieser zugegebenermassen komplizierten politischen Landschaft im Iran entsprechen schlichtweg nicht den vorherrschenden Gegebenheiten . Es gibt sehr wohl einen demokratischen und äusserst lebhaften Prozess im Land, der nur nicht der westlichen Vorstellung einer Demokratie entspricht. Eine Bezeichnung von einer Diktatur oder sonstigen negativen Bezeichnungen wird dieser politischen Landschaft einfach nicht gerecht. Und was im Westen einfach nicht wahrgenommen werden möchte ist die Tatsache, dass je mehr man den Iran mit Sanktionen belegt oder die Medien dem kriegerischen Hype aus Israel folgen, desto mehr Legitimität erreichen jene Neokonservativen die erst Präsident Mahmoud Ahmadinejad ins Amt brachten. Seine Regierung spiegelt ziemlich gut die erste Administration von George W. Bush wieder, welche durch und durch mit Neocons (wie sie in den USA bekannt waren) durchsetzt war und eine für die USA desaströse Politik durchsetzten.
Und trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass beide Staatspräsidenten ins Amt gewählt wurden. Unvergessen dabei auch das Drama um die erste Wahl zwischen Bush und Al Gore, welche nur so von Wahlmanipulation strotzte und schliesslich vom Obersten Gericht entschieden werden musste. Passiert das gleiche Drama aber im Iran, wird gleich die ganze Welt verrückt gemacht und lauthals "FOUL" geschrien.

Um die iranische politische Kultur besser verstehen zu können, muss man die verschiedenen Institutionen und deren Wirken erst kennen lernen:

Oberster Rechtsgelehrter:  Das ist eine in der Geschichte des Irans neuartige Position und wurde von Imam Chomeini eingeführt, basierend auf seiner Theorie des Velajat-e Faqih (Führung durch Rechtswissenschaft). Diese Theorie besagt, dass ein Ayatollah mit einer breiten Folgschaft, welcher durch seinen Intellekt und Urteilsvermögen hervorsticht, auch das Land politisch regieren kann bis zur Rückkehr des zwölften Imams (oder des Entrückten, oder des mehdi). Durch sein Charisma und seiner Rolle im Sturz des verhassten Schah`s war natürlich diese Beschreibung wie auf ihn persönlich zugeschnitten. Doch nach seinem Tod 1989 fingen auch schon die Probleme mit dieser Position an. Der heutige Oberste Rechtsgelehrte, Ali Chamenei, wurde von dem Expertenrat als Nachfolger bestimmt, obwohl er weder die nötige Voraussetzung als Gelehrter mitbrachte noch über den geforderten Rückhalt in der Bevölkerung verfügte.
Die Machtfülle des Obersten Rechtsgelehrten umfasst folgende Bereiche:
- "Commander in Chief", d.h. er hat das Kommando über die regulären Streitkräfte als auch über die Revolutionswächter.
- Das Atomprogramm untersteht seiner Kontrolle. Das heisst er gibt die Richtung vor, ob ein Waffenprogramm verfolgt werden soll oder nicht, bzw. ob überhaupt ein Atomprogramm verfolgt werden soll oder nicht.
- Das letzte Wort in der Aussenpolitik hat er. Zwar kann der Präsident und sein Kabinett die Richtung vorgeben die ihrer Meinung nach die Richtige ist, doch in Fragen der Nationalen Sicherheit wie es eine Annäherung an die USA wäre, hat der Oberste Rechtsgelehrte ein Veto-Recht nachdem eine von der Mehrheit des Obersten Nationalen Sicherheitsrats beschlossene Empfehlung berücksichtigt wurde. In diesem Obersten Nationalen Sicherheitsrat befinden sich der Präsident, Parlamentssprecher, Aussen/Innen- und Verteidigungsminister, Direktoren der Geheimdienste, Generalstabschefs der regulären Armee wie auch der Revolutionswächter, und zwei ausgewählte Vertreter des Obersten Rechtsgelehrten.

Präsident: Erst nach dem Tod von Imam Chomeini errang diese Position eine dominantere Stellung in der modernen Politik des Irans. Bis zur Revolution war es der Ministerpräsident der die Politik gestaltete, danach wurde diese Position zugunsten des Präsidialamtes gestrichen, welche bis zu diesem Zeitpunkt eher repräsentativen Charakter hatte. Er wird alle 4 Jahre gewählt und darf höchstens zwei Amtszeiten hintereinander im Amt bleiben. Allerdings könnte er zu einem späteren Zeitpunkt wieder zur Wahl antreten.
Die Machtfülle des Präsidenten umfasst folgende Bereiche:
- Er beruft sein eigenes Kabinett, welches aber von den gewählten Vertretern des Parlaments (Majlis) bestätigt werden muss.
- Der Präsident und sein Stab planen und führen sämtliche Innenangelegenheit des Landes durch, welche aber ebenfalls vom Parlament gutgeheissen werden müssen oder Absetzungen von Regierungsvertretern aufgrund von verschiedensten Vorkommnissen durchführen kann.
- Er repräsentiert das Land nach Aussen und kann die Aussenpolitik zum grossen Teil auch definieren.

Wächterrat: Ein von Imam Chomeini eingeführtes Gremium, welches während der Revolution durchaus Sinn gemacht hatte. Der Zweck des Wächterrates besteht darin, die beschlossenen Gesetze des Parlaments zu überwachen und gegebenenfalls zu streichen sollten sie nicht Systemkonform oder als unislamisch betrachtet werden, sowie die Kandidaten für öffentliche Ämter zu überprüfen und ihre Zulassung entweder an- bzw. abzulehnen. In der Hitze der Revolution 1979/1980 machte dieses Gremium aus Sicht Chomeinis Sinn, sicherte es das erst junge System davor ab gleich wieder in Bedrängnis zu bringen.
Heute besteht der Wächterrat aus 12 Personen: 6 Kleriker werden direkt vom Obersten Rechtsgelehrten bestimmt, die anderen 6 bestehen aus Anwälten die vom Justizminister ernannt werden und vom Parlament bestätigt werden müssen.
Aus heutiger Sicht erscheint die Rolle des Wächterrates als der reinen Form der Demokratie, zumindest nach dem Verständnis des Westens, nicht unbedingt dienlich. Es muss aber an dieser Stelle betont werden, dass die Zusammensetzung des Wächterrates, und damit dessen Wirkung auf der politischen Bühne, absolut und vollkommen von dem Halter der Position des Obersten Rechtsgelehrten abhängig ist. Wenn beispielsweise sich der Oberste Rechtsgelehrte entschliesst eine Annäherung an den Westen zu suchen, wird er bestimmt kleine Kleriker in den Wächterrat entsenden die politisch im rechten Flügel angesiedelt sind. Und das bedeutet, dass die Besetzung des Wächterrates mit moderateren Klerikern und entsprechend moderateren Anwälten ein anderes Klima bei Wahlen oder im Parlament erzeugen, als wenn es sich um Neokonservative wie beispielsweise Ayatollah Mesbah Yazdi handelt.

Expertenversammlung: Dieses Gremium, bestehend aus 86 Vertretern aus dem klerikalen Umfeld aus dem ganzen Iran, wird direkt von der Bevölkerung alle 8 Jahre gewählt. Die Aufgabe der Expertenversammlung ist es, den Obersten Rechtsgelehrten zu bestimmen, seine Taten und seine Performance zu bewerten und notfalls ihn auch abzusetzen. Es ist also ein mächtiges Instrument, welches die Weichen für das gesamte Land und Nation stellen kann und dafür sorgt, dass der Oberste Rechtsgelehrte seine Machtfülle nicht missbraucht.
Die nächste Wahl zur Expertenversammlung ist für Dezember 2014 angesetzt und diese dürfte für den Iran wegweisend werden. Auch die diesjährige Präsidentschaftswahl steht im Schatten der Wahl der Expertenversammlung nächstes Jahr, denn bereits dieses Jahr geht der Machtpoker los, um einen geeigneten Teamplayer für einen möglicherweise neuen Obersten Rechtsgelehrten zu finden. Ali Chamenei wird dann sein 75. Lebensjahr erreichen und er gilt seit längerer Zeit als schwer krank (er soll unter Leukämie leiden). Sollte Chamenei diese Wahl nicht mehr erleben oder sogar aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten, stellt sich die Frage was die Expertenversammlung aus dieser Situation machen wird. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: es wird ein neuer Oberster Rechtsgelehrter gewählt der auch tatsächlich über die entsprechende Statur und Rückhalt in der Bevölkerung geniesst, oder es wird eine Machtteilung an der Spitze geben. Beide Varianten wären als positiv für den Iran zu werten. Sollte aber ein ähnlicher Schachzug gemacht werden wie mit Chamenei, dann wäre das äusserst schädlich für das System und dürfte unter der Bevölkerung für massive Aufruhr sorgen. 

Das Parlament - Majlis: Die Parlamentsmitglieder werden ebenfalls von der Bevölkerung alle 4 Jahre gewählt. Die aktuelle Majlis besteht aus 290 Parlamentarier (Männer und Frauen), inklusive jeweils einem jüdischen und zoroasthrischen Vertreter. Assyrische und Chaldäische Christen bestimmen zusammen einen Vertreter, armenische Christen können jeweils einen Vertreter aus den Norden und einen aus dem Süden nach Teheran entsenden. In der Majlis findet eine äusserst lebhafte Diskussion in sämtlichen Belangen des Staates statt und man scheut sich auch nicht, Kritik am Präsidenten oder anderen mächtigen Personen des Landes zu üben.

 Politische Gruppierungen: Im Iran gibt es in diesem Sinne keine politische Parteien wie man das beispielweise aus Europa kennt. Es gibt aber verschiedenste Gruppierungen aller Couleur, von welchen die wichtigsten sich aber hinter einer Schlüsselfigur aus der politischen Landschaft formen. Und genau darin liegt das grosse Problem für die vielen sogenannten "Iran Experten" im Ausland. Von aussen gibt es einfach keine Einsicht in dieses Kaleidoskop von Gruppierungen, welche sich nach Bedarf formen, auflösen oder sich splitten; geschweige denn eine objektive Beurteilung der loyalen Gefolgschaft hinter diesen Schlüsselfiguren.
Diese "Experten" geben dann in ihren Wahlheimaten ihre Einschätzung ab und die Regierungen stellen diese "Wunschkandidaten" als Heilsbringer dar, vergessen aber dass jeder Kandidat zuvor vom Wächterrat genehmigt wurde und somit sich innerhalb des Systems bewegen wird. Das ist genau der Fehler gewesen bei der sogenannten Grünen Bewegung bei der Präsidentschaftswahl 2009. Solange die Anführer der Grünen, Mehdi Karrubi und Mir Hossein Mussavi, der Basis ihrer Bewegung treu waren und ihre Vision eines Irans vertraten die mit der der Basis korrespondierte, blieben sie populär. Sobald aber das Ausland, Regierungen wie auch die iranischen Exilanten, versucht haben die Grüne Bewegung für ihre eigenen Zwecke und Vorstellungen zu missbrauchen, nämlich nichts anderes als einen "Regimewechsel" unter dem Deckmantel der Grünen Bewegung im Iran vorzunehmen, brach die Basis der Bewegung wie ein Kartenhaus zusammen und führte so zum Niedergang von Mussavi und Karrubi. Und ironischerweise führte der Eingriff von Aussen nicht nur dazu, dass die Grüne Bewegung zusammenbrach, sondern dass die Basis massenweise in Ahmadinejad`s Lager wechselte und ihm so zum klaren Sieg verhalf.

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